DOMRADIO.DE: Kann man denn eigentlich von Seemännern sprechen oder begegnen einem auch schon mal Frauen?
Monica Döring (Leiterin der katholischen Seemannsmission Stella Maris): Tatsächlich begegnen uns auch Frauen. Ungefähr zwei Prozent der Menschen, die zur See fahren, sind Frauen. Sie sind noch die Minderheit auf den Schiffen. Aber um genügend qualifizierte Besatzung haben zu können, schauen immer mehr Länder danach, dass sie auch Frauen ausbilden. Vor kurzem bin ich auf einem Schiff gewesen, auf dem mehr als 50 Prozent der Besatzungen weiblich war. Aber das war schon die große Ausnahme.
DOMRADIO.DE: Was hat dieses Schiff ausgemacht?
Döring: Das war ein Tankschiff und eine Reederei, die mutig ist, das auszuprobieren. Sie schauen, wie es geht, wenn ein so großer Anteil von Frauen an Bord ist. Das macht es auch sicherer für die Frauen. Es ist ein wirklich spannender und vielfältiger Beruf, der viel mit sich bringt.
Aber es gibt Umfragen unter Frauen, aus denen deutlich wird, dass das Thema sexuelle Belästigung genauso wie auf dem Land auch an Bord ein Thema sein kann. Daran wird international gearbeitet, damit es klarere Wege gibt, wie sich Frauen beschweren können und besser geschützt werden.
DOMRADIO.DE: Deswegen sprechen wir also besser von Seeleuten. Wie wäre das denn für eine Besatzung, wenn eine Seefahrtsstraße wie die "Straße von Hormus", wie der Iran jetzt droht, oder der Suezkanal geschlossen würde?
Döring: Die Seeleute betrifft es insoweit, als dass die Strecken, in denen sie auf See sind, zum Teil sehr viel länger werden. Seitdem keine Schiffe oder kaum mehr Schiffe durch den Suezkanal fahren, ist die Strecke zwischen Asien und Europa um zwei Wochen länger geworden. Das heißt zwei Wochen länger an Bord, ohne Landgang für die Seeleute.
Andere Situationen betreffen die Seeleute sehr viel direkter: Wenn der Eigner eines Schiffes überlegt, durch den Suezkanal zu fahren, fahren sie durch ein ausgewiesenes Kriegsgebiet im Roten Meer. Dort herrscht Bedrohung durch die Huthis. Dann haben die Seeleute die Wahl, ob sie entweder mehr Geld bekommen – das steht ihnen bei solchen Bedingungen zu – oder ob sie vom Schiff absteigen. Das darf dann nicht zu ihrem Nachteil sein.
Das sind oft sehr schwierige Entscheidungen für die Seeleute. Denn das Geld, was für die Familien zur Verfügung steht, ist ein ganz großer Motivator dafür, warum man überhaupt zur See fährt.
DOMRADIO.DE: Inwiefern betrifft das auch ukrainische Seeleute? Müssen die auch diese Entscheidung treffen?
Döring: Die ukrainischen Seeleute müssten diese Entscheidung nur treffen, wenn sie durch den Suezkanal fahren oder wenn ihr Schiff direkt ins Schwarze Meer fährt. Das ist aber die Seltenheit. Für die ukrainischen Seeleute steht ganz oben die Frage, ob sie jemals wieder in ihr Heimatland kommen können. Wo ihre Familie untergebracht ist und wo momentan ihr Zuhause ist, sind eher die Fragen, die sie beschäftigen.
Die ukrainischen Seeleute werden in der maritimen Wirtschaft dringend gebraucht. Wenn sie aber in die Ukraine zurückkehren, ist die Frage, ob sie das Land wieder verlassen dürfen oder Kriegsdienst leisten müssen, nicht eindeutig zu beantworten.
DOMRADIO.DE: Was passiert, wenn ein Seemann ernsthaft auf dem Schiff erkrankt? Vermutlich gibt es eine Krankenstation, aber die kann auch irgendwann nicht mehr helfen.
Döring: Krankenstation ist positiv ausgedrückt. Die Offiziere haben eine besonders gute Ausbildung für Erste Hilfe. Es gibt Telemedizin, sodass nachgefragt werden kann und Handbücher. Aber ein Blinddarm mitten auf dem Pazifik ist sehr schwierig zu behandeln. Ansonsten wird dafür gesorgt, dass die Seeleute in den Häfen zunächst zum Arzt und wenn nötig ins Krankenhaus kommen.
Rein äußerlich ist gut für die Seeleute gesorgt. Aber wenn man sich vorstellt, dass man von heute auf morgen in einem fremden Land ins Krankenhaus muss, wo man die Sprache nicht spricht, die Kultur nicht kennt und das Schiff mit den Menschen, die man kennt, schon wieder wegfährt, man also wirklich alleine ist, ist das eine große Herausforderung.
Da bieten wir als Seemannsmission einen Besuch der Seeleute vor Ort an. Um Beistand zu leisten, um vielleicht eine Banane vorbeizubringen und dafür zu sorgen, dass die Seeleuten auch im Krankenhaus Internetverbindung mit der Heimat haben. In lebensbedrohlichen Situationen tritt die Seelsorge natürlich nochmal ganz anders in den Vordergrund.
DOMRADIO.DE: Sie betreten auch die Boote der Reedereien im Hamburger Hafen. Wie ist es auf einem Handelsschiff? Fühlen Sie sich da wohl?
Döring: Da erleben wir große Unterschiede. Manche sind wohnlich und gemütlich. Manchmal steht sogar eine Pflanze in der Ecke oder man sieht die Tabelle der letzten Kniffelergebnisse, wo gemeinsam miteinander gespielt wird.
Dann gibt es aber auch Speise- und Wohnräume oder den gemeinsamen Aufenthaltsraum, der alles in einem ist, womöglich mit zerrissenen Gardinen und Löchern in den Stühlen. Alles ist ein bisschen schmuddelig. Da zögern wir manchmal schon, ob wir den angebotenen Kaffee annehmen können, falls der uns nicht krank macht. Aber wir erleben wirklich alles auf den Schiffen.
Das Interview führte Tobias Fricke.