Religionssoziologe über Wege aus der Austrittswelle

"Schnupperabo“ auf katholisch?

​Die evangelische Kirche debattiert ermäßigte Kirchensteuern für junge Leute. Eine Überlegung wäre das auch für Katholiken wert, findet Religionssoziologe Detlef Pollack.

Junge Frau betet in einer Kirche / © encierro (shutterstock)
Junge Frau betet in einer Kirche / © encierro ( shutterstock )

Um die Austrittswelle zu stoppen, müsse man aber andere Wege gehen.

DOMRADIO.DE: Glauben Sie, dass die jungen Menschen sich aktiv gegen einen Austritt entscheiden, wenn die Kirchensteuer bei ihnen wegfällt oder niedriger ist?

Prof. Dr. Detlef Pollack (Religionssoziologe): Das ist nicht sehr wahrscheinlich. Aber die Überlegung, dass man etwas tun muss, um die 18 bis 30-Jährigen an die Kirche zu binden, weil bei denen die Austrittswahrscheinlichkeit am höchsten ist, die ist richtig. Nicht die Kirchensteuer ist der entscheidende Austrittsgrund, sondern, dass man mit der Kirche nicht so viel anfangen kann, dass einem die Kirche gleichgültig geworden ist. Dass auch der Glaube einem nicht so viel sagt. Das ist entscheidender.

Wenn die Menschen austreten, dann ist die Kirchensteuer meistens nur nachgeordnet als Motiv oder ist manchmal sogar ein vorgeschobenes Motiv. “Ja, ich trete aus, weil die Kirchensteuer mir zu hoch ist.“ Das kann man gut kommunizieren. Über Glaubensfragen sprechen, über die innere existenzielle Befindlichkeit, wenn es um die Kirche geht, das ist schwieriger.

DOMRADIO.DE: Machen wir es doch noch mal konkret. Wieso treten in gerade in diesem Alter so viele Menschen aus der Kirche aus? Wo sehen Sie da genau die Gründe?

Pollack: Das hängt damit zusammen, dass man sich aus der Herkunftsfamilie herauslöst, dass man einen eigenen Weg finden muss. Beruf ergreifen, die Ausbildung steht an. Die Gründung einer Familie. Eine eigene Familie hat man in diesem Alter zwischen 20 und 30 Jahren oft noch nicht gegründet. Die Familie ist eigentlich die wichtigste Vermittlungsinstanz zwischen dem Individuum und der Kirche. Genau in dieser Zeit, wo sowohl die Herkunftsfamilie als auch die eigene Familie nicht diese zentrale Rolle spielt, da treten die Menschen vermehrt aus der Kirche aus.

DOMRADIO.DE: Die Kirchensteuer zu senken - oder eben auch wegfallen zu lassen - bei jungen Menschen ist also nicht die ultimative Lösung, sagen Sie. Aber Sie unterstützen trotzdem die Debatte darüber. Warum?

Pollack: Ich finde es richtig, dass man sich Gedanken darüber macht, wie man diejenigen halten kann, die zwar in einer großen Distanz zur Kirche stehen, aber immer noch in der Kirche sind. Das habe ich eigentlich in den vergangenen Jahren immer vermisst, bei den kirchlichen Verlautbarungen, dass sie versucht hat, an diese Menschen heranzukommen.

Man hat sich Gedanken gemacht über diejenigen, die Atheisten sind, über die Ausgetretenen, über die Konfessionslosen, die ganz weit von der Kirche entfernt sind. Die kriegt man in meinen Augen ohnehin nicht. Die Eintrittswahrscheinlichkeit für diese Menschen tendiert gegen null. Ein bis zwei Prozent denken überhaupt darüber nach, jemals wieder in die Kirche einzutreten. Aber solange man noch in der Kirche ist, kann man sie zum Teil vielleicht doch noch erreichen. Und sich darüber Gedanken zu machen, das finde ich sehr richtig.

DOMRADIO.DE: Was kann, was muss denn die Kirche Ihrer Meinung nach tun, um diese Menschen dann eben doch noch zu halten?

Pollack: Das ist kompliziert. Glaube, Kirche, Religion, Fragen nach dem Sinn des Lebens - das sind Dinge, die den Menschen nicht so wichtig sind in diesem Alter, sondern da geht es gewissermaßen um den Aufbau einer eigenen Existenz. Die Kirche muss sich fragen, was sie in dieser Situation für die Menschen bedeuten kann. Sie wird mit ihrer traditionalen, mit ihrer konventionellen Botschaft bei den jungen Menschen nicht so gut ankommen können. Man muss fragen, warum die Menschen in der Kirche sind. Da sind es vor allen Dingen zwei, drei Motive.

Erstens: Man weiß nicht ganz genau, ob man die Kirche nicht in bestimmten Lebenswenden, in Krisen, doch mal gebrauchen kann. Das zweite ist, dass man also doch die Kommunikation mit dem Heiligen, mit dem Göttlichen, hoch schätzt, auch wenn man sie im Augenblick nicht so braucht. Und das dritte ist – und das könnte eventuell ein Punkt sein, an dem die Kirche anknüpfen kann – dass die Kirche Gutes tut für die Armen, für die Schwachen, dass sie da ist, für die Kranken. Vielleicht kann man darüber, dass man das diakonische, das karitative Engagement verstärkt herausstellt, die Menschen irgendwie ansprechen. Aber man muss ganz ehrlich sagen: Es ist äußerst kompliziert in dieser Situation, die Menschen wirklich zu erreichen.

DOMRADIO.DE: Also ein "Schnupperabo" auf katholisch oder evangelisch? Wäre das eine Lösung? In der evangelischen Kirche wird sowas ja diskutiert.

Pollack: Das wäre eigentlich gut. Ich finde es ziemlich gut, dass man da auch neue Wege beschreitet. Man muss aber damit rechnen, dass insgesamt das Interesse an diesen Fragen so gering ist, dass man immer nur kleine Zahlen erreichen kann. Aber die Kirchen sind noch immer personell ziemlich gut ausgestattet. Auch die evangelische Kirche mit ihrem Pastorinnen und Pastoren. Die haben möglicherweise die Kapazität, die Menschen im persönlichen Gespräch anzusprechen.

Meine Erfahrung ist: Wenn man auf die persönlichen und auf die beruflichen und existenziellen Probleme der Menschen eingeht, dann öffnen sich die Menschen auch. Dann ist es auch gar nicht so wichtig, dass derjenige oder diejenige von der Kirche kommt. Dann kann man über die Lebensfragen, über das, was die Menschen gerade beschäftigt, vielleicht auch indirekt dann das Evangelium transportieren. Wenn man das denn will.

Das Gespräch führte Carsten Döpp.

 

Religionswissenschaftler Detlef Pollack / © Brigitte Heeke (epd)
Religionswissenschaftler Detlef Pollack / © Brigitte Heeke ( epd )
Quelle:
DR
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