Hilfswerke pochen auf humanitäre Visa für Afghanen

Schnelle Ausreisen und beschleunigte Verfahren

Viele Afghanen, vor allem Menschenrechtsaktivisten, sind von den Taliban bedroht, können das Land nicht verlassen. Hilfswerke pochen daher auf die Vergabe humanitärer Visa sowie die Fortführung der humanitären Hilfe im Land.

Evakuierte aus Afghanistan steigen in Spanien aus einem Flugzeug der US-Luftwaffe aus / © María José López/EUROPA PRESS (dpa)
Evakuierte aus Afghanistan steigen in Spanien aus einem Flugzeug der US-Luftwaffe aus / © María José López/EUROPA PRESS ( dpa )

Der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, hat einen Tag vor der UN Afghanistan-Konferenz in Genf gefordert, die humanitäre Hilfe für das Land möglichst bald wieder aufzunehmen. Neher sagte dem Evangelischen Pressedienst (epd), niemand wisse, wie viele Menschen unter den gegenwärtigen Bedingungen Afghanistan verlassen wollten oder könnten.

Es sei auch fraglich, ob vorwiegend die Nachbarländer die Menschen aufnehmen sollten, erklärte Neher. Viele seien selbst in einer prekären Lage. "Wir plädieren dafür, möglichst rasch wieder mit der humanitären Hilfe zu beginnen", sagte der Caritas-Präsident. In Afghanistan seien 18 Millionen Menschen von Hunger bedroht.

Bis zur Machtübernahme der Taliban betrieb die Auslandshilfe des katholischen Wohlfahrtsverbands, Caritas International, zwölf Projekte in Afghanistan, davon laufen Neher zufolge derzeit noch zwei. Von den Ortskräften der Caritas habe es bisher niemand mit den Evakuierungen aus dem Land geschafft, sagte Neher. Einschließlich ihrer Familienmitglieder gehe es um 180 Menschen, von denen aber nicht alle Afghanistan verlassen wollten.

Auf Einladung von UN-Generalsekretär António Guterres soll in Genf an diesem Montag über humanitäre Hilfen für Afghanistan beraten werden. Auch Außenminister Heiko Maas (SPD) reist zu dem Treffen.

Humanitäre Hilfe in Afghanistan verhandeln

Auch die Welthungerhilfe fordert, die humanitäre Hilfe in Afghanistan dringend fortzusetzen und aufzustocken. Mehr als die Hälfte der Menschen sei auf Nahrung, Trinkwasser, medizinische Versorgung und Unterkünfte angewiesen, teilte die Organisation am Sonntag in Bonn mit. Die Rahmenbedingungen, unter denen Hilfe geleistet werden kann, müssten mit der neuen Regierung verhandelt werden. Dazu gehöre der freie und ungehinderte Zugang zu den Bedürftigen, die Neutralität der humanitären Hilfe und Sicherheitsgarantien für die Helfer.

Diese Verhandlungen sollten die Bundesregierung und auch die internationale Staatengemeinschaft weiterführen", so die Welthungerhilfe. Die humanitäre Hilfe habe eindeutig Priorität. Unter welchen Bedingungen und wann die bilaterale staatliche Entwicklungshilfe fortgeführt werden könne, müsse in einem zweiten Schritt entschieden werden.

Seit Beginn 2021 sind laut der Welthungerhilfe 590.000 Menschen wegen der Kämpfe im Land aus ihren Dörfern geflohen, viele nach Kabul. Vor allem in den ländlichen Regionen sei die Not groß. Erkundungsmissionen von lokalen Mitarbeitern der Organisation in den letzten beiden Wochen im Norden Afghanistans zeigen demnach eine dramatische humanitäre Lage: Viele Häuser wurden durch die Kämpfe zerstört und müssen vor dem anstehenden Winter repariert werden. Die Mehrheit der besuchten Dörfer hat keinen Zugang zu Trinkwasser. Viele Frauen leben allein mit ihren Kindern, im Durchschnitt betrifft das jeden vierten Haushalt.

Keines der Dörfer erhält derzeit Nahrungsmittelhilfe von außen, weil staatliche Hilfen und Lebensmittelverteilungen durch die UN eingestellt worden seien, so die Welthungerhilfe. Am Montag will die internationale Staatengemeinschaft in Genf zu einer Geberkonferenz zusammenkommen.

Appell: Stichtag für Meldung aufheben

Das Kinderhilfswerk terre des hommes, die Frauenrechtsorganisation terre des femmes und die Stiftung Medico International haben die Bundesregierung aufgefordert, den Stichtag für die Meldung von Menschenrechtsaktivisten und anderen schutzbedürftigen Staatsbürgern aus Afghanistan aufzuheben.

"Der Stichtag des 26. August 2021 für die Meldung von Fällen ist weder sachlich begründbar noch einhaltbar", heißt es in einem Brief der Organisationen an Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU), der dem Evangelischen Pressedienst (epd) vorliegt. Zuerst berichtete die "Neue Osnabrücker Zeitung" (Samstag) darüber.

Evakuierungen für beendet erklärt

Am 26. August erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Evakuierungen aus Kabul für beendet. Man verhandele mit Hochdruck, wie weiter Menschen das Land verlassen könnten, sagte Merkel auf der Pressekonferenz.

Indessen schrieben die Hilfsorganisationen, dass der Fokus während der Evakuierungsflüge der Bundeswehr auf der Meldung von Fällen aus dem Raum Kabul an das Auswärtige Amt gelegen habe. "Zugleich erreichten uns und viele weitere zivilgesellschaftliche Organisationen landesweit Fälle aus anderen Provinzen, die für die Evakuierungsflüge nicht infrage kamen."

Vergabe humanitärer Visa ohne Beschränkung

Demnach hätten die Organisationen nach dem Stichtag 1.320 Fälle schutzbedürftiger Personen an die Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe gemeldet. Unter diesen seien Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, Distriktgouverneure und Juristen, die in den vergangenen Jahren Terroristen ins Gefängnis gebracht haben. "Diese Menschen wechseln ständig ihre Verstecke und können sich und ihre Familien kaum versorgen. Ihnen muss schnellstmöglich eine Aufnahme ermöglicht werden", fordern die Unterzeichner des Briefes.

Die Organisationen fordern Minister Seehofer auf, die Vergabe humanitärer Visa ohne Beschränkung auf vorab festgelegte Kontingente zu unterstützen. Zudem müsse das Innenministerium schnelle Ausreisen und beschleunigte Verfahren durch die Einrichtung von Bundesaufnahmeprogrammen und Zustimmung zu Landesaufnahmeprogrammen ermöglichen.


Quelle:
epd
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