Russische Aktivistin Scherbakowa kritisiert orthodoxe Kirche

"Orthodoxe Verherrlichung des Staates"

Die Menschenrechtlerin und Historikerin Irina Scherbakowa hat die Regierungsnähe und kriegsbejahende Haltung der russisch-orthodoxen Kirche verurteilt. Die Rechtfertigungen von Kyrill I. seien unannehmbar.

Orthodoxe Kirche ragt inmitten von Trümmern heraus / © Alex Chan (dpa)
Orthodoxe Kirche ragt inmitten von Trümmern heraus / © Alex Chan ( dpa )

Die Kirche unter dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. habe die repressive Politik von Präsident Wladimir Putin stets unterstützt und sei in der russischen Geschichte "immer angepasst" gewesen, sagte Scherbakowa in einem Interview der Zeitung "Neues Ruhrwort" (Samstag).

"Antimodernistische Sichtweise"

"Viele Theorien haben ihren Ursprung in der orthodoxen Verherrlichung des Staates", fügte die inzwischen aus Russland nach Israel geflüchtete Aktivistin hinzu. Die wiederholten Rechtfertigungen Kyrills I. für den Angriff auf die Ukraine bezeichnete sie als "unannehmbar". Zugleich spreche aus Putins Sichtweise auf den Westen "die klare antimodernistische Sichtweise der Orthodoxen Kirche".

Die Weltsicht des russischen Präsidenten bezeichnet Scherbakowa als "eine Giftmischung aus Nationalismus, Imperialismus, Ressentiments und Verachtung anderer Völker und Republiken, die sich aus der Sowjetunion befreit haben". Putin sehe sich als Retter, der nach der Katastrophe des Zusammenbruchs der Sowjetunion das russische Imperium wieder erstehen lass, und sei dabei von messianischen Vorstellungen getrieben.

Ukrainisches Kirchenoberhaupt: Kyrill I. als Patriarch untragbar

Das Oberhaupt der eigenständigen orthodoxen Kirche der Ukraine, Metropolit Epiphanius, hat die orthodoxen Kirchenführer anderer Länder zum Bruch mit dem Moskauer Patriarchen Kyrill I. aufgerufen. Kyrill habe von Anfang an Russlands Krieg gegen die Ukraine unterstützt und somit "diejenigen, die ihm als ihren Hirten vertrauten, in den Tod geführt", schreibt Epiphanius in einem am Dienstag in Kiew veröffentlichten Brief zum orthodoxen Osterfest an die Vorsteher der rund ein Dutzend eigenständigen (autokephalen) Kirchen.

Epiphanius Dumenko, Metropolit der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU), feiert einen Ostergottesdienst am 18. April 2020 in der Klosterkirche Sankt Michael in Kiew. / © Sergey Korovayny (KNA)
Epiphanius Dumenko, Metropolit der Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU), feiert einen Ostergottesdienst am 18. April 2020 in der Klosterkirche Sankt Michael in Kiew. / © Sergey Korovayny ( KNA )

"Bevölkerung stellt sich nicht gegen Putin"

Nach den Worten Scherbakowas sollen seit Kriegsbeginn bereits 300.000 Menschen Russland verlassen haben, darunter viele Regimegegner aus Angst vor Repressionen. Inzwischen wirkten sich der Krieg und die westlichen Wirtschaftssanktionen auch auf die Versorgungslage und den Arbeitsmarkt aus. Aber: "Die Bevölkerung will die Veränderungen nicht wahrnehmen und stellt sich nicht gegen Putin."

Scherbakowa, 1949 in Moskau als Kind jüdischer Eltern geboren, ist Mitbegründerin der inzwischen verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial. Die Gruppe setzt sich für eine Aufarbeitung der Verbrechen während der Sowjetzeit und die Opferfürsorge ein. Im Dezember 2021 löste das oberste russische Gericht Memorial wegen des Vorwurfs der Beeinflussung aus dem Ausland offiziell auf.

Als Autorin und Herausgeberin hat Irina Scherbakowa zahlreiche Bücher zu den Themen Stalinismus und Erinnerungskultur veröffentlicht, viele davon sind in deutscher Sprache erschienen.

Quelle:
KNA
Mehr zum Thema