Roberta Metsola ist neue Präsidentin des EU-Parlaments

Katholikin an der Spitze

Nach dem Tod von David Sassoli hat das EU-Parlament die maltesische Christdemokratin Roberta Metsola zu seiner neuen Vorsitzenden gewählt. Sie ist die dritte Frau, die das protokollarisch höchste Amt der Europäischen Union übernimmt.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 © Philipp von Ditfurth (dpa)
© Philipp von Ditfurth ( dpa )

Das EU-Parlament hat Roberta Metsola zu seiner neuen Vorsitzenden gewählt. Am Dienstag votierten 458 Delegierte bei 616 gültigen Stimmen für die maltesische Politikerin der konservativen Partit Nazzjonalista, die in Straßburg der Fraktion der christdemokratischen Europäischen Volkspartei (EVP) angehört. Als Parlamentspräsidentin hat Metsola das Gesetzgebungsorgan der EU bis zu den Wahlen 2024 durch dornige Debatten zu führen. Es geht um die Rechtsstaatlichkeit in einigen Mitgliedsländern, um die militärische Ausrichtung der Union, um Migrationspolitik, Digitalisierung und die Klimawende.

Persönliche Würdigung des verstorebenen Sassoli

Metsola sitzt seit 2013 im Europäischen Parlament und war seit November 2020 dessen Erste Vizepräsidentin. In dieser Funktion rückte sie nach dem Tod des bisherigen Parlamentsvorsitzenden David Sassoli kurz vor Ende seiner regulären Amtszeit als geschäftsführende Präsidentin nach. Ihre Wahl, mit der die Leitung der Kammer zur Halbzeit der Legislatur vereinbarungsgemäß von den Sozialdemokraten auf die Christdemokraten übergeht, galt als sicher. Da die EVP über 177 der 705 Sitze im Parlament verfügt, brauchte und erhielt Metsola Unterstützung der anderen großen Blöcke, neben den Sozialdemokraten (S&D) vor allem der Liberalen (Renew).

Dafür, dass Metsola aus einer anderen Parteifamilie stammt, klang ihre Würdigung des verstorbenen Sassoli bei einer Gedenkstunde am Montagabend sehr persönlich - und ehrlich: "Europa hat eine Führungsfigur verloren, die Demokratie einen Vorkämpfer und wir alle einen Freund", sagte sie. In ihrer italienischen Ansprache erinnerte sie an Sassolis Kampf gegen Armut und für soziale Gerechtigkeit, seinen Einsatz für das Recht auf Asyl, sein ökologisches Engagement. Sie nannte ihn einen "Mentor". Sich und das Parlament verpflichtete sie, sein Vermächtnis zu ehren und zu nutzen.

Nach den Französinnen Simone Veil (1979-1982) und Nicole Fontaine (1999-2002) ist Metsola die dritte Frau auf dem protokollarisch höchsten Posten der Europäischen Union, den typischerweise Männer fortgeschrittenen Alters bekleiden. Von allen 34 Parlamentspräsidenten ist sie die jüngste; der Tag ihrer Wahl war zugleich ihr 43. Geburtstag.

"Glühende Europäerin, verwurzelt im christlichen Glauben"

Metsola ist auch die erste Malteserin in dem Amt. Acht ihrer Vorgänger kamen aus Deutschland, acht aus Italien, sechs aus Frankreich; allein diese drei Länder repräsentieren zugleich fast die Hälfte der EU-Bevölkerung. Dass Malta mit seinen 515.000 Einwohnern die Parlamentsvorsitzende stellt, ist ein Signal, dass auch Angehörige kleiner Staaten eine große Rolle übernehmen können.

Dabei darf man Metsola nicht für eine Insulanerin vom Südrand Europas halten. Nach dem Jurastudium in Malta wechselte sie ans College of Europe in Brügge, eine Kaderschmiede der Europäischen Union. Noch während der Uni-Zeit warb sie für den EU-Beitritt Maltas, der 2004 erfolgte. Ihre ersten beruflichen Stationen absolvierte sie in der EU-Vertretung Maltas und als Beraterin der damaligen EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton. Politisch großgeworden ist Metsola in der EU-Blase.

Ihre Fraktionskollegin Christine Schneider beschreibt sie als zielstrebig, verlässlich und als "glühende Europäerin". Metsola steht laut Schneider für ein modernes Frauenbild, ist zugleich "stark verwurzelt im christlichen Glauben" und eine liebevolle Mutter. Mit ihrem finnischen Ehemann Ukko, Manager in der internationalen Kreuzfahrtbranche, zieht sie vier Söhne auf.

Außerhalb der Fraktion gilt Metsola als Politikerin, die in der EVP ihren eigenen Kopf behält und über Parteigrenzen hinweg Brücken zwischen den pro-europäischen Kräften zu bauen vermag. Insbesondere beim Thema Migration sei die Malteserin "offener als andere EVP-Abgeordnete", heißt es im sozialistischen Lager. Aus der Perspektive der Mittelmeerstaaten Malta, Italien, Zypern, Griechenland und Spanien setzte sie sich für einen gesamteuropäischen Verteilmechanismus ein, auch für eine Stärkung und Reform der Grenzschutzagentur Frontex.

In die Debatte um die ermordete maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia brachte sich Metsola intensiv ein; sie engagiert sich im Kampf gegen Korruption. Wiederholt meldete sie sich zur Rechtsstaatlichkeit in Polen und zur Lage der Freiheitsrechte in Belarus zu Wort, aber auch zur Verteidigung des Kreml-Kritikers Alexander Nawalny in Russland.

Einsatz für LGBTQ-Szene

Metsolas Heimat Malta ist stark katholisch geprägt; aber auch dort sind die Dinge in Bewegung. Maltas Erzbischof Charles Scicluna stellte Anfang Januar einen seiner Priester wegen Verunglimpfung von Homosexuellen öffentlich in den Senkel; ein für katholische Oberhirten ungewöhnlicher Schritt. Metsola geht weiter: Mit einer von ihr eingereichten Entschließung des Parlaments setzte sie sich vergangenen März für die Gleichstellung von Homo-, Bi- und Transsexuellen sowie für die EU-weite Anerkennung ihrer Lebensgemeinschaften und ihres Rechts auf Familie ein.

Für Diskussionen in katholischen Kreisen dürfte Metsolas Haltung zum Schwangerschaftsabbruch sorgen. Bislang verweigerte sie strikt ihre Zustimmung zu Gesetzentwürfen oder Resolutionen, die legale Abtreibungsmöglichkeiten vorsehen. Sie verteidigte auch die Klausel im EU-Beitrittsvertrag, die Malta das Recht gibt, gegen den Rest der EU an seinem Abtreibungsverbot festzuhalten. Laut einem Meinungsbild der Zeitung "Malta Today" vom Juni 2021 sind 18 Prozent der Malteser für eine Liberalisierung, knapp 67 Prozent dagegen.

Metsola nannte Abtreibung früher eine "rote Linie". Zuletzt votierte sie im Juni gegen den Matic-Bericht, der einen allgemeinen Zugang zu medizinischen Dienstleistungen für Frauen fordert, darunter Abtreibungen. Mehrere Abgeordnete kündigten an, Metsola bei der Wahl des Parlamentspräsidenten nicht zu unterstützen, weil sie einen Rückschritt beim Selbstbestimmungsrecht der Frauen fürchteten. Metsola erklärte nun im Vorfeld, sie werde als Präsidentin die Mehrheitsmeinung des Hauses respektieren.

Quelle:
KNA