Zum Tod von EU-Parlamentspräsident David Sassoli

Ein Italiener für Europa

Mit 65 Jahren ist David Sassoli kurz vor Ende seiner Amtszeit als Präsident des EU-Parlaments gestorben. Als Mann der Mitte und als liberaler Katholik wirkte er für ein solidarisches und offenes Europa.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
Nach Tod von EU-Parlamentspräsident Sassoli / © Mark Carlson (dpa)
Nach Tod von EU-Parlamentspräsident Sassoli / © Mark Carlson ( dpa )

EU-Parlamentspräsident David Sassoli ist tot. Er starb nach längerer Krankheit und doch für viele überraschend im Alter von 65 Jahren am Dienstag in einem Krebszentrum im italienischen Aviano.

Dort war er nach Angaben seines Sprechers seit dem Zweiten Weihnachtstag in Behandlung, wegen einer "schweren Komplikation aufgrund einer Funktionsstörung des Immunsystems". Seine Amtszeit hätte regulär diesen Monat geendet. Auf einer erneute Kandidatur verzichtete der Sozialdemokrat gemäß einer Absprache mit der christdemokratischen EVP-Fraktion, um, wie er sagte, eine Spaltung der proeuropäischen Kräfte im Parlament zu verhindern.

"Europa hat eine Führungsfigur verloren"

Die maltesische EVP-Politikerin Roberta Metsola (42), die Sassoli nun als Vize-Parlamentspräsidentin vertritt und kommenden Dienstag aller Voraussicht nach auf seinen Posten gewählt werden wird, äußerte sich erschüttert über seinen Tod: "Europa hat eine Führungsfigur verloren, ich habe einen Freund verloren, die Demokratie hat einen Vorkämpfer verloren." EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen würdigte Sassoli als "großen Europäer und Italiener". Für sie sei er "vor allem ein lieber Freund" gewesen, schrieb sie auf Twitter.

Sassoli, am 30. Mai 1956 in Florenz geboren und in Rom aufgewachsen, studierte Politikwissenschaft, engagierte sich für die katholische Pfadfinderschaft und in der Christdemokratie. Leitbilder waren ihm Ministerpräsident Aldo Moro - entführt und ermordet 1978 von den Roten Brigaden -, Giorgio La Pira, der zu den Vätern von Italiens Verfassung zählt, der spätere EU-Kommissionspräsident Romano Prodi und der amtierende Staatspräsident Sergio Mattarella.

Beruflich schlug Sassoli eine journalistische Laufbahn ein, schrieb für römische Tageszeitungen und eine Agentur, bevor er 1992 zum öffentlich-rechtlichen TV-Sender RAI wechselte. Als Moderator der Hauptnachrichtensendung war er über zehn Jahre allabendlich auf den Bildschirmen präsent - weshalb Sassoli auch als Parlamentspräsident in seiner Heimat bekannt blieb.

Der Einstieg in die Politik: Italiens Sozialdemokraten nominierten ihn 2009 für einen Sitz im EU-Parlament. 2013 scheiterte Sassoli als Bürgermeisterkandidat in Rom; dafür wurde er 2014 erst Vizepräsident des EU-Parlaments, 2019 dann Präsident und Nachfolger seines rechtskonservativen Landsmanns Antonio Tajani.

In seiner Antrittsrede erinnerte Sassoli an die Mahnung der Geschichte zu einem geeinten Europa, warb für eine Stärkung von Demokratie und Solidarität in der EU, aber auch über ihre Grenzen hinaus. Das behielt er als Linie auch in aktuellen Debatten um Rechtsstaatlichkeit, Migrations- und Asylpolitik.

Mensch mit "sehr klaren Überzeugungen"

Parlaments-Vizepräsidentin Katarina Barley (SPD) nannte Sassoli einen Menschen mit "sehr klaren Überzeugungen". Auch in der heiklen inneritalienischen Debatte habe er sich "immer für einen menschlichen Umgang mit Geflüchteten eingesetzt", sagte Barley im Deutschlandfunk.

Sie beschrieb Sassoli als humorvoll, offen und verbindend, als einen Präsidenten, der die Debatten im Parlament klar geführt und sich zugleich für einvernehmliche Lösungen eingesetzt habe.

Dass sich Sassoli in Straßburg und Brüssel treu seiner Muttersprache Italienisch bediente, schränkte seine Wahrnehmung in anderen Ländern ein. Gleichwohl war er ein beherzter Europäer: Ein Foto von 1989 zeigt ihn beim Mauerfall in Berlin, damals 33 Jahre alt, als Mauerspecht mit Hammer und Meißel.

Seinen Antrieb für ein einiges und solidarisches Europa bezog Sassoli nach eigenen Worten auch aus dem Bewusstsein, Sohn eines Vaters zu sein, der als junger Mann gegen andere Europäer kämpfen musste, und einer Mutter, die Zuflucht bei anderen Familien fand. Im Juli 2021 gedachten er und Ursula von der Leyen gemeinsam in Fossoli bei Modena des SS-Massakers 1944 an italienischen Widerstandskämpfern. Über den historischen Rahmen hinausgehend, erinnerte Sassoli an die Rettung von Migranten im Mittelmeer und warb für eine unabhängige Justiz und Rechtsstaatlichkeit.

Liberaler Katholik

Als Katholik vertrat Sassoli eine liberale Position. In der Debatte um Rechte für Homo-, Bi- oder Transsexuelle und die Anerkennung ihrer Partnerschaften verteidigte er die "Würde der Menschen, die sich lieben wollen". Nach seiner Vorstellung sollten in Europa "Persönlichkeitsrechte und Menschlichkeit das Maß aller Dinge" sein.

Auf pragmatische Weise zeigte Sassoli das in der Corona-Krise. Als pandemiebedingt der Parlamentsbetrieb in Brüssel und Straßburg brachlag, ließ er die Gebäude für Suppenküchen und Testzentren öffnen - eine Geste, die auch zu Papst Franziskus passen würde. Ihn hatte Sassoli 2014 in Straßburg willkommen geheißen und im Juni im Vatikan besucht.

Bei den Gesprächen mit dem Kirchenoberhaupt und dem vatikanischen Staatssekretariat ging es nach Angaben Sassolis um den Schutz der Schwächsten in der Gesellschaft, das Schicksal der Bootsflüchtlinge und europäische Impfstoff-Hilfen für ärmere Länder. Schon vor dem Treffen bezog sich Sassoli immer wieder auf die Papst-Enzyklika "Fratelli tutti" - ein Plädoyer für die Geschwisterlichkeit aller Menschen.


David Sassoli und Papst Franziskus im Juni 2021 / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
David Sassoli und Papst Franziskus im Juni 2021 / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )
Quelle:
KNA