Repräsentative Umfrage zu Judenfeindlichkeit in Deutschland

Mehrheit sieht Antisemitismus als wachsendes Problem

Antisemitische Vorurteile sind offenbar sowohl unter AfD-Anhängern als auch unter Muslimen in Deutschland stärker verbreitet als in der Gesamtbevölkerung. Das geht aus einer Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach hervor.

Autor/in:
Leticia Witte
Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler (dpa)
Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler ( dpa )

Die Repräsentativbefragung im Auftrag des American Jewish Committee (AJC) in Berlin wurde am Dienstag vorgestellt. Der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, forderte, dass Moscheegemeinden weniger abhängig von Einflüssen aus dem Ausland werden müssten. Mit Blick auf die AfD warnte der Direktor des AJC Berlin, Remko Leemhuis, davor, der Partei allein bestimmte Debatten zu überlassen.

Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung: Felix Klein / © Rene Bertrand (dpa)
Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung: Felix Klein / © Rene Bertrand ( dpa )

Insgesamt sind der Umfrage zufolge 60 Prozent aller Befragten der Ansicht, dass Judenfeindschaft "eher" beziehungsweise "auf jeden Fall" weit verbreitet sei. Das sehen 53 Prozent der Muslime ebenfalls so. Knapp zwei Drittel zeigten sich überzeugt, dass das Problem in den vergangenen zehn Jahren zugenommen habe. Bei Muslimen denkt dies etwa jeder zweite. Sowohl die Gruppe der Muslime (55 Prozent) als auch die Gesamtbevölkerung (52) seien sich einig, dass angemessen über Antisemitismus gesprochen werde.

Teil der Gesellschaft unterstützt Vorurteile

Vorurteile werden von einem "beachtlichen Teil" der Gesellschaft unterstützt. Wer ein negatives Bild von Israel hat, stimmt laut Umfrage Ressentiments eher zu. Insgesamt 34 Prozent denken, dass Juden ihren Status als Opfer des NS-Völkermordes zu ihrem Vorteil ausnutzten. Unter den AfD-Wählern sagen das 48, unter Muslimen 54 Prozent. 27 Prozent sind der Ansicht, dass Juden reicher als der Durchschnitt der Deutschen seien (AfD-Wähler 46, Muslime 47). Zugleich gaben 60 Prozent die Gesamtbevölkerung an, dass Juden ungerechtfertigt angefeindet würden, wenn es Krisen gibt (AfD-Wähler 47, Muslime 39). Muslime, die Gottesdienste häufig besuchen, stimmten öfter antisemitischen Vorurteilen zu.

Antisemitismus

Antisemitismus nennt man die offen propagierte Abneigung und Feindschaft gegenüber Juden als Volksgruppe oder als Religionsgemeinschaft. Der Begriff wird seit dem 19. Jahrhundert gebraucht, oft als Synonym für eine allgemeine Judenfeindlichkeit. Im Mittelalter wurden Juden für den Kreuzestod Jesu verantwortlich gemacht und als "Gottesmörder" beschuldigt. Während der Kreuzzüge entlud sich die Feindschaft in mörderischen Ausschreitungen, Vertreibungen und Zwangsbekehrungen.

Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler (dpa)
Teilnehmende einer Demonstration zur Solidarität mit Israel / © Michael Kappeler ( dpa )

Das Gedenken an den Holocaust bezeichnen insgesamt 48 Prozent der Befragten als "unbedingt notwendig", 43 Prozent als "wichtig, aber nicht unbedingt notwendig". Unter Muslimen liegen die Werte bei 39 beziehungsweise 40 Prozent, bei AfD-Anhängern bei 24 beziehungsweise 52 Prozent.

Zahl der antisemitischen Straftaten gestiegen

Am selben Tag wurden in Berlin Daten des Bundeskriminalamtes zur politisch motivierte Kriminalität vorgestellt. Demnach stieg die Zahl antisemitischer Straftaten um 29 Prozent auf einen Höchststand von 3.027 Delikten. 84 Prozent seien von Rechtsextremisten ausgegangen.

Die neue AJC-Umfrage erinnert daran, dass es jenseits von erfassten Delikten ein großes Dunkelfeld und zudem Vorfälle gebe, die keine Straftat darstellten. Leemhuis betonte, dass die Umfrage jetzt eine Grundlage biete, um informiert eine Debatte über Judenfeindschaft zu führen. Klein sagte, es müsse gegen jede Form von Antisemitismus vorgegangen werden: "Wir müssen vor jeder Haustür kehren."

Imamausbildung in Deutschland wichtig

Mit Blick auf die Ergebnisse unter Muslimen appellierte Leemhuis an die Politik, "problematische" muslimische Verbände, die etwa vom Verfassungsschutz beobachtet würden, nicht als Gesprächspartner auszuwählen. Klein sagte, dass neben der Verringerung von Einflüssen aus dem Ausland auf Moscheegemeinden sich eine "spezifisch deutsche Form des Islam" entwickeln müsse. In dem Zusammenhang nannte er auch eine entsprechende Imamausbildung. Insgesamt zeige die Studie aber, dass ein "bedeutsamer Teil" der Bevölkerung Judenhass als Problem anerkenne.

Für die Online-Erhebung wurden von Ende Dezember bis Mitte Januar insgesamt 1.025 deutschsprachige Personen ab 18 Jahre sowie 561 deutschsprachige Muslime befragt.

Quelle:
KNA