Religionswissenschaftlerin betrachtet Weihnachten und Werbung

"Supermärkte können und wollen Kirchen nicht ersetzen"

Supermärkte als Sinnstifter und der perfekte Weihnachtsglanz, inspiriert von Insta? Rund um das Fest sehen sich heute viele unter neuem Leistungsdruck. Die Religionswissenschaftlerin Verena Eberhardt rät zu mehr Gelassenheit.

Autor/in:
Paula Konersmann
Sortiert, geordnet und am richtigen Platz: Verschiedene Milchprodukte stehen in Kühlschränken in einem Supermarkt.  / © Sven Hoppe/dpa (dpa)
Sortiert, geordnet und am richtigen Platz: Verschiedene Milchprodukte stehen in Kühlschränken in einem Supermarkt. / © Sven Hoppe/dpa ( dpa )

KNA: Frau Eberhardt, bald ist Weihnachten. Wie taucht dieses Fest in den Medien auf?

Verena Eberhardt (Religionswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Religion und Medien): Das Thema Weihnachten nehmen Medien seit ein paar Jahren vor allem in Form von Werbung auf. Man sieht das insbesondere in der Supermarkt-Werbung: Sie nutzt das Fest, um familiale Werte zu zelebrieren und ins Bewusstsein zu bringen. 

Interessant ist daran, dass wir uns meist als plurale Gesellschaft verstehen, und Weihnachten wird explizit herausgegriffen, um die Gesellschaft wieder zusammenzuführen. Es geht in diesen Spots um Vielfalt, das Verhältnis zwischen Mensch und Technik oder um Einsamkeit, um am Ende zählt das Menschliche; Menschen aus unterschiedlichen Kulturen kommen zusammen.

Verena Eberhardt

"Supermärkte vermitteln eher die Botschaft, dass Familie der Ort ist, der zählt, an dem man sich wohlfühlt."

KNA: Provokant gefragt, werden Supermärkte die besseren Kirchen?

Eberhardt: Nein, denn sie erinnern nicht an den Kern des Festes, sondern erzeugen eine bestimmte Stimmung der Behaglichkeit und appellieren an wertschätzendes Zusammenleben. Die Geburt Jesu spielt keine Rolle, insofern können und wollen Supermärkte die Kirchen nicht ersetzen. Sie vermitteln eher die Botschaft, dass Familie der Ort ist, der zählt, an dem man sich wohlfühlt. Das passt sicher auch zu christlichen Gedanken, ist aber nicht die Grundidee von Weihnachten.

Die Religionswissenschaftlerin Verena Eberhardt in München. Dort erforscht sie, wie Familie in den Medien wahrgenommen beziehungsweise dargestellt wird. / © Karin Trabitsch/KNA (KNA)
Die Religionswissenschaftlerin Verena Eberhardt in München. Dort erforscht sie, wie Familie in den Medien wahrgenommen beziehungsweise dargestellt wird. / © Karin Trabitsch/KNA ( KNA )

KNA: Sie haben sich mit Religion in Kindermedien befasst. Gibt es Stereotypen, die Sie nicht mehr sehen können?

Eberhardt: Ja, das Konzept der Weltreligionen. Es kommt ungefähr Mitte der 1990er Jahre auf und schafft eine Form von Einheit, die es so gar nicht gibt: Es gibt weder das Christentum noch den Islam noch den Hinduismus. Religion ist viel komplexer und kann in der Wechselwirkung bestimmter Traditionen beobachtet werden, die sich aufeinander beziehen. Aber mitnichten feiern all diese Menschen gleich oder leben ihren Alltag gleich.

KNA: Pluralität abzubilden, klingt doch gut?

Eberhardt: Aber nicht, wenn sie darauf hinausläuft, zu sagen: "Juden glauben dieses, Christen feiern jenes". Man versucht, Vielfalt darzustellen, doch oft endet es bei neuer Stereotypisierung. Tatsächlich wird über das Christentum viel häufiger gesagt, es sei sehr plural: Es gibt verschiedene Kirchen, Ausformungen und Traditionen. Wenn es um andere geht, wird dagegen der Eindruck erweckt, sie täten alle das Gleiche. 

Die Idee ist: "Wir sind weiß, christlich und blond" - die "Anderen" werden dunkelhaarig dargestellt und weichen nicht nur im Hinblick auf Religion, sondern auch auf die Darstellung vom Eigenen ab. Das wirft die Frage auf, an welches Publikum sich diese Medien richten und mit welchen Figuren sich die Kinder, die sie ansehen oder hören, identifizieren.

KNA: Gibt es auch gelungene Beispiele?

Eberhardt: Ja. Zum einen das Bilderbuch "All Kinds of Beliefs" der britischen Autorin Emma Damon. Es ist interaktiv gestaltet: Man sieht Kinder, die verschiedene Dinge tun und unterschiedliche Kleidung tragen – und wenn man an Papierlaschen zieht, erscheinen religiöse Symbole. 

Die Idee, dass man einem Menschen seinen Glauben nicht unbedingt ansieht, ist schön umgesetzt; manche Marker können komplett verschwinden. Es gibt auch Doppelseiten, sodass dasselbe Gesicht mal als Kommunionkind erscheint und mal mit einem Hijab. Religiöse Vielfalt wird stark über Kleidung wahrgenommen, und das setzt das Buch sehr gelungen um.

KNA: Und zum anderen?

Eberhardt: Eine andere Idee ist, sich dem Thema über das Materielle zu nähern. Ein Sachbuch namens "Religionen" von Myrtle Langley zeigt unterschiedliche Objekte, die für Menschen religiöse Bedeutung haben - und mehr: Es geht darum, dass Menschen handeln, dass sie Objekte selbst herstellen oder vererben, mit ihnen interagieren. Das wird Pluralität eher gerecht als die Aussage "Christen glauben dies und das".

Verena Eberhardt

"Es wichtig, mit Kindern darüber zu sprechen, welche Symbole aus welchen Zusammenhängen kommen. "

KNA: Klingt, als wären Kinder durchaus für religiöse Themen ansprechbar.

Eberhardt: Kinder interessieren sich ja für sehr vieles, das ihnen im Alltag begegnet. Auch sie sehen Menschen, die sich unterschiedlich kleiden und damit verschiedene Botschaften transportieren. Das können politische oder religiöse Botschaften sein, vielleicht auch einfach Modebewusstsein. 

Wer durch die Stadt geht, sieht religiöse Symbole und Gebäude – derzeit hängen beispielsweise in vielen Fenstern die Herrnhuter Sterne. Religion wird kommuniziert, sie ist öffentlich, und diese Symbole nehmen Kinder wahr. Daher ist es wichtig, mit ihnen darüber zu sprechen, welche Symbole aus welchen Zusammenhängen kommen. Am interessantesten ist es doch, die Pluralität der eigenen Lebenswelt zu entdecken und sein Umfeld besser zu verstehen.

KNA: Teil dieser Lebenswelt sind inzwischen meist auch Soziale Medien und Influencer. Welche Rolle spielen sie in puncto Sinnsuche?

Eberhardt: Bei Influencern geht es oft um Achtsamkeit, Dankbarkeit, positive Energie. Auf religionswissenschaftlicher Perspektive steht das auf einer Ebene mit anderen Glaubensformen: Esoterik ist nicht weniger interessant als etwa die Altkatholiken. 

Für uns geht es nicht um die Frage, wie etabliert ein Glaube ist, sondern wie religiöse Bedeutung entsteht. Und da zeigt sich auf Social Media, dass es einen riesigen Bedarf an Coaching und Beratung gibt. In einer Welt, die superchaotisch ist, suchen viele Menschen eine Art Ordnung und Struktur.

KNA: Häufig wird allerdings vor unseriösen Angeboten gewarnt.

Eberhardt: Von manchem bin ich – weniger als Wissenschaftlerin, einfach als Privatperson – durchaus irritiert. Und ja, manche Dinge sind gefährlich. Wenn Menschen an ihre Grenzen kommen, etwa durch eine Krankheit, suchen sie Halt: manche in religiösen Traditionen, andere in einem Coaching. Da beginnt schnell ein Ausnutzen von Leid, auch auf finanzieller Ebene.

Entscheidend ist, worum es geht. So ist es beispielsweise sehr populär, nach einer Trennung den Namen des Ex in eine Kerze zu ritzen und dann zu sehen, wie er wegschmilzt - ob das hilft, kann wohl jede und jeder für sich beurteilen. Diese Art von Herausforderungen hat man in der Regel mit der Zeit im Griff, und in solchen Zusammenhängen ist Esoterik schon immer parallel zu anderen religiösen Traditionen gelaufen. Wenn man aber Geld mit dem Leid und der emotionalen Abhängigkeit anderer Menschen macht, wird es sehr kritisch.

KNA: Nochmal zurück zu Weihnachten – zu diesem Anlass fühlen sich viele von Influencern ziemlich unter Druck gesetzt. Wie kann man sich vom Perfektionismus freimachen?

Eberhardt: Was ist schon Perfektion? Vielleicht reicht es, wenn etwas gut ist und man sein Bestes gegeben hat. An Weihnachten waren die Erwartungen immer schon hoch, da das Ideal der Harmonie und des friedlichen Zusammenlebens besonders betont wird. Gleichzeitig stehen viele beruflich zum Jahresabschluss unter Druck, Schüler:innen müssen noch die letzten Klassenarbeiten für dieses Jahr schreiben, es findet eine Veranstaltung nach der anderen statt. 

Um nicht auch noch Erwartungen erfüllen zu müssen, die von außen kommen, kann man aufhören, sich ständig zu vergleichen – und sich klarmachen: Es ist der Job derer auf Social Media, dieses letzte Jahresquartal zu nutzen, weil es am meisten Umsatz bringt. Aber brauchen wir wirklich die fünf Tassen, die sich zum Schneemann stapeln lassen, um ein festliches Weihnachten zu erleben? Bei sich zu bleiben, ist sehr hilfreich.

Das Interview führte Paula Konersmann.

Quelle:
KNA