DOMRADIO.DE: Die Bundestagswahl 2025 rückt näher. Wie bewerten Sie die Rolle von Religion, Kirche und christlichen Werten im aktuellen Wahlkampf?

Dr. Andreas Püttmann (Politologe und katholischer Publizist): Christliche Werte in expliziter Diktion spielen im aktuellen Wahlkampf eine sehr untergeordnete Rolle. Die deutsche Wirtschaft steckt in einer anhaltenden Krise. Das ist das Thema Nummer eins. Migration folgt dicht dahinter. Ein Thema, das die Gesellschaft polarisiert und die Parteien zu klaren Positionierungen zwingt.
DOMRADIO.DE: Bleiben christliche Werte bei diesen dominierenden Themen wie Wirtschaft und Migration auf der Strecke?
Püttmann: Das ist durchaus möglich, aber auch verständlich. Die Parteien setzen ihre Schwerpunkte auf die Themen, die die Wählerinnen und Wähler direkt betreffen und die den größten politischen Druck erzeugen. Allerdings spielt der Umgang mit Migration auch in den christlichen Werten eine Rolle. Doch ich warne davor, aus christlichen Werten zu leichtfüßig konkrete Maßnahmen abzuleiten. Es braucht bei komplexen Themen eine differenzierte Betrachtung.
DOMRADIO.DE: Was genau meinen Sie mit differenzierter Betrachtung beim Thema Migration?
Püttmann: Es befremdet, wie die Union in ihrer Rhetorik zunehmend auf populistische Töne setzt - wohl im Blick auf die AfD. Man hat den Eindruck, dass hier versucht wird, in einen Überbietungswettbewerb einzusteigen, indem Migranten oft pauschal als Belastung oder Bedrohung dargestellt werden. Dabei ist es wichtig, zunächst die Fakten darzustellen: Wir sind auf Zuwanderung angewiesen, um den Arbeitskräftemangel zu bewältigen. Es gibt zahlreiche Branchen – von Reinigung und Gastronomie über Transport und Bau bis zu Medizin und Pflege –, in denen wir ohne Migranten große Probleme hätten.
Gleichzeitig muss Migration natürlich auch reguliert werden. Begrenzung und Zurückweisungen sind nötig, müssen aber auf eine Weise geschehen, die unseren christlichen Werten entspricht. Das heißt, menschenwürdige Verfahren und ein respektvoller Umgang müssen gewährleistet bleiben.
DOMRADIO.DE: Sie sprechen von einer zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft. Welche Rolle können die Kirchen in diesem Kontext übernehmen?
Püttmann: Die Kirchen können und müssen eine Brückenfunktion wahrnehmen. Gerade in Zeiten gesellschaftlicher Spaltung sollten Christen differenzierende Brückenbauer sein. Gleichzeitig dürfen sie aber nicht davor zurückschrecken, klar Position gegen antidemokratische Strömungen zu beziehen.
Die Deutsche Bischofskonferenz hat das mit ihrer Erklärung "Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar" im Februar 2024 sehr deutlich gemacht. Diese einstimmige Positionierung war ein starkes Signal gegen rechtspopulistische Ideologie und Hetze. Sich gegen den erstarkten Rechtsextremismus zu stellen, ist für Christen keine Option, sondern Pflicht.
DOMRADIO.DE: Wie sehen Sie die öffentliche Präsenz der Kirchen in der aktuellen politischen Landschaft?
Püttmann: Die Kirchen sind in Deutschland weiterhin in der Fläche präsent, insbesondere durch ihre Bildungs- und Sozialarbeit, die einen erheblichen Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Aber es gibt auch eine Gefahr der Überkommunikation. Manchmal wäre es besser, die Botschaften gezielt zu setzen und weniger Themen gleichzeitig zu bearbeiten, um nicht die Aufmerksamkeit der Gesellschaft zu überfordern.
Dennoch, die Stimme der Kirche ist unverzichtbar, besonders in so polarisierten Zeiten. Sie müssen ihre Stimme erheben, um Demokratie und Menschenwürde zu verteidigen. Gerade in Zeiten wie diesen dürfen sie trotz eigener Probleme und auch Schuldbewältigung nicht leise werden.
DOMRADIO.DE: Zum Abschluss: Welche Botschaft möchten Sie den Wählerinnen und Wählern mit auf den Weg geben?
Püttmann: Ich denke bei allen Erwartungen an die Kirchen liegt die Verantwortung zuerst bei jedem Einzelnen. Wählerinnen und Wähler sollten sich fragen, welche Partei die Werte wie Menschenwürde, Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität am besten umsetzt. Die Wahlentscheidung darf nicht nur auf kurzfristigen Interessen basieren, sondern auch auf einer ethischen Grundorientierung in Perspektive auf die Zukunft auch kommender Generationen.
Das Interview führte Moritz Dege.
Anmerkung der Redaktion: Dieses Interview wurde leicht gekürzt und redaktionell bearbeitet, um den Gesprächsverlauf klarer zu strukturieren.