DOMRADIO.DE: Die Spaziergänge für Demokratie gibt es schon länger in Wuppertal. Was war damals die Idee?

Dr. Werner Kleine (Pastoralreferent der Katholischen Citykirche Wuppertal): Ich bin Mitbegründer der Solidargemeinschaft Wuppertal. Die hat sich auf die Fahnen geschrieben, der demokratischen Mitte eine laute Stimme zu geben.
Da sind wir in vielfältigen Aktionen unterwegs. Wir unterstützen zum Beispiel die Jüdische Kultusgemeinde, haben letztes Jahr ein großes Fest zum 75-jährigen Jubiläum des Grundgesetzes gefeiert und vieles mehr.
Letztes Jahr gab es ja die große Correctiv-Recherche zu dieser merkwürdigen Konferenz in Potsdam. Da sind sehr viele auf die Straße gegangen. Es herrschte eine große Empörung, Zehntausende standen auf für die Demokratie.
Oft ist das ein Strohfeuer, einmal groß empört und dann ist wenig später nichts mehr. Wir haben als Solidargemeinschaft damals mit Blick auf die Europawahl gesagt, dass wir die Tradition der Montagsspaziergänge, die ja eine sehr alte Tradition ist, aufnehmen. Die ist nicht immer von demokratischen Kreisen gepflegt, aber doch auch.
Montags gehen wir immer um 17 Uhr spazieren, wechselweise durch Elberfeld und Barmen, um damit für eine demokratische Zukunft, für eine demokratische Gestaltung unserer Gesellschaft zu werben, sich da zu engagieren. Das haben wir über viele Wochen bis zur Europawahl gemacht.
Nun kam durch die verlorene Vertrauensfrage doch sehr früh die Bundestagswahl. Das war für uns das Zeichen, um wieder für eine demokratische Zukunft auf die Straßen zu gehen – gerade angesichts der doch erstarkenden Ränder sowohl im linksextremen als auch im rechtsextremen Bereich.
DOMRADIO.DE: "Lasst euch nicht veräppeln. Populisten lügen" ist das Thema für die Spaziergänge der kommenden Montage. Was möchten Sie den Teilnehmern mit auf den Weg geben?

Kleine: Wir brauchen gar nicht nach Amerika schauen, wo wir bald wieder einen Clown im Weißen Haus sitzen haben. Wenn die Clowns in die Paläste einziehen, dann wird der Palast nicht pompöser, sondern zum Zirkus.
Man muss nur auf Elon Musk oder Donald Trump schauen. Das sind Väter der Lüge. Sie haben kein Problem damit, den Leuten irgendwelchen Unsinn zu erzählen, den man gerne hören will.
Auch in unserem Land ist das so. Man muss nur auf den Parteitag der AfD schauen. Alice Weidel spricht von den "Windmühlen der Schande". Allein dieses Wortspiel. Da kommen so viele Assoziationen, es ist eine Bodenlosigkeit, die man sich überhaupt nicht vorstellen kann.
Sie möchte die "Windmühlen der Schande" niederreißen, ohne den Leuten reinen Wein einzuschenken, wo die Energie herkommen soll. Ein Drittel der Energie unseres Landes wird durch Windräder erzeugt. Weidel müsste den Leuten also allen Ernstes sagen, dass in ihren Nachbarschaften ein Kohlekraftwerk oder ein Atomkraftwerk entstehen müsste. Die fügen sich natürlich viel schöner in die Landschaft ein.
Lasst euch nicht veräppeln, die Populisten lügen euch letzten Endes an! Wir als Solidargemeinschaft stehen dafür ein und wollen das laut sagen. Es wird wahrscheinlich viele nicht davon abhalten, diese Partei zu wählen, aber die Hände in den Schoss legen und nur erschüttert sein, reicht uns nicht aus.
DOMRADIO.DE: Sie führen also noch einmal vor Augen, was in aller Öffentlichkeit in diese Richtung gesagt wird?
Kleine: Die Populisten leben davon. Wobei das Wort Populismus ursprünglich gar nicht negativ war. Darin steckt das Wort "Populus". Es geht um das Volk. Das Volk gerecht zu führen, ist eigentlich eine gute Aufgabe. Aber da sind Leute am Werk, die den Menschen irgendwie nach dem Mund reden.
Das, was früher am Stammtisch mal gesagt wurde, schafft es jetzt in die Parlamente hinein. Viele haben offenkundig den Eindruck, sich verstanden zu fühlen. Deswegen halten sie es für eine gute Idee, diese Menschen zu wählen.
Das Problem ist, dass wir viele Probleme in unserem Land haben. Die müssen eigentlich klar auf den Tisch, die müssen klar benannt werden. Dann brauchen wir Lösungen. Was die AfD zum Beispiel tut: Sie benennt durchaus Probleme, bietet aber null Lösung an. Sie hat einen Hammer in der Hand, trifft aber den Nagel nicht. Wir brauchen eine Regierung, die die Probleme benennt, angeht und löst.
Das, was die AfD oder auch andere Parteien am Rande der Gesellschaft da verzapfen, ist schlicht und ergreifend, die Menschen schon auch anzulügen. Nach dem Motto: Ihr habt ein Problem, wir haben keine Lösung, aber wir wollen eure Stimme.
DOMRADIO.DE: Sie haben in Wuppertal und Umgebung immer ein offenes Ohr, sind viel unterwegs. Was nehmen Sie fünf Wochen vor dieser Bundestagswahl wahr? Wie ist die Stimmung und wie ist es mit den Sorgen der Menschen?
Kleine: Man muss ganz klar benennen, dass die großen Themen, die in der Gesellschaft verhandelt werden und sehr wichtig sind, die Menschen unten an der Basis nicht wirklich erreichen. Wenn das Geld am Ende des Monats knapp wird, dann interessiert nicht, ob wir gendergerechte Formulare in den Institutionen einführen.
Wenn eine Frau von ihrem Mann verlassen wurde und sich darum sorgt, wie sie ihre Kinder über die Runden kriegt, dann interessiert es wenig, ob der globale Klimawandel 1,5 oder 1,6 Grad beträgt. In diesem Moment hat sie ein Problem und dieses Problem möchte sie lösen. Damit sage ich nicht, dass die anderen Probleme nicht wichtig wären. Aber die Menschen wollen doch erst mal in ihrem Alltag eine vernünftige Weise des Lebens haben. Das muss von der Politik ermöglicht werden.
Wir hören aber von allen Parteien jetzt irgendwelche merkwürdigen Phrasen. Es wird von der radikalen Zuversicht gesprochen und dass wir Kompetenz für das Land brauchen. Das ist doch eine Selbstverständlichkeit. Das ist doch albern, das in den Raum zu stellen. Ich möchte doch wissen: Wie schaffst du es, dass die Menschen in diesem Land ihr Leben bewältigen können, ihren Alltag bewältigen können und ihre Kinder vernünftig ernähren können, sodass sie vielleicht einmal im Jahr in Urlaub fahren können und einfach ein schönes Leben haben?
Das wäre mal eine Maßnahme. Dazu möchte man was hören, aber das tun die Leute nicht. Wenn ich schon mir überlegen muss, ob mein Zug pünktlich kommt, wenn ich von Wuppertal nach Köln fahre, dann ist das doch eigentlich das Problem, um das es geht.
DOMRADIO.DE: Die Spaziergänge für Demokratie finden immer abwechselnd in Barmen und Elberfeld statt. Wo wird es am Montag stattfinden?
Kleine: Am Montag , dem 20. Januar ist es wieder in Elberfeld. Es startet um 17 Uhr auf dem Bahnhofsvorplatz, dem sogenannten Döppersberg.
Das Interview führte Carsten Döpp.