Psychotherapeutische Hilfe für Geistliche in Krisenzeiten

"Nur wenige zeigen Bereitschaft"

Papst Franziskus erklärte vor Jahren, wie wichtig ihm die Begleitung durch eine Psychoanalytikerin in Zeiten persönlicher Krisen war. Kann das auch jetzt für die Priester gelten, während die Kirche in einer tiefen Krise steckt?

Einsamkeit, Depression oder andere seelische Herausforderungen treffen auch Geistliche. (dpa)
Einsamkeit, Depression oder andere seelische Herausforderungen treffen auch Geistliche. / ( dpa )

 DOMRADIO.DE: Mit welchen seelischen Herausforderungen müssen Priester, Theologen, also kirchliche Amtsträger, Ihrer Erfahrung nach kämpfen? 

Dr. Bernd Deininger (Theologe und Psychiater): Die müssen natürlich mit den gleichen Problemen kämpfen wie jeder andere Mensch auch, sind aber durch ihren Beruf in einer ganz besonderen herausgehobenen Weise gefordert. Das heißt also, eigene Probleme, die Priester und oder Seelsorger haben, werden natürlich durch den Kontakt mit Menschen, durch die Arbeit, die sie in der Seelsorge machen, noch einmal ganz besonders nach oben gespült. Vernachlässigung in der eigenen Kindheit beispielsweise oder Trauererfahrungen und all diese Dinge, die sie auch in ihrem Beruf erleben, können durch ein Ereignis wieder nach oben gebracht werden.

Was Papst Franziskus meinte, heißt nichts anderes, als dass, wenn man selber mit sehr vielen menschlichen Schicksalen beschäftigt ist und sich damit auseinandersetzen muss, dass dann auch die eigene Lebensgeschichte immer stärker in den Vordergrund rückt. Und insofern ist es fast schon nicht nur sinnvoll, sondern ich würde sagen notwendig, dass gerade Menschen wie Seelsorger, die sehr viel mit Konflikten zu tun haben, eine Begleitung haben. 

DOMRADIO.DE: Gilt das auch für hohe Geistliche und Würdenträger, zum Beispiel Bischöfe? 

Deininger: Das gilt gerade natürlich auch für Menschen, die in einer besonderen Verantwortung stehen. Und das haben wir jetzt im Moment. Da ist es noch wichtiger, dass sie außerhalb des klerikalen Bereiches Ansprechpartner haben. Priester und Bischöfe leben oft sehr allein. Sie haben wenige Freunde und wenige Ansprechpartner, vor denen sie sich wirklich öffnen können, vor denen sie von ihren eigenen Problemen reden können - was natürlich in einem psychotherapeutischen Prozess gut möglich ist. Und insbesondere eben dieser Blick von außen ist wichtig, gerade für die Amtsträger in der Kirche. 

Dr. Bernd Deininger, Theologe und Psychiater

"Ich denke, dass viele Priester Angst haben, dass dann gesagt wird: 'Der ist ja selber nicht richtig im Kopf!'"

DOMRADIO.DE: Sind sich Priester und andere kirchliche Amtsträger denn bewusst, dass bei ihnen etwas seelisch in Schieflage gerät, auch zulasten der ihnen anvertrauten Menschen? 

Deininger: Ich kann nur von der fast 40-jährigen Erfahrung sprechen, die ich in Begleitung mit Priestern und auch mit Ordensleuten habe. Und ich denke, dass viele wissen, dass es nötig ist, dass sie etwas tun. Aber der äußere Druck, auch die Ressentiments, die es gegenüber Psychotherapie, Psychosomatik und alle diesen Psycho-Fächer gibt, ist natürlich sehr groß. Ich denke, dass auch viele Priester Angst haben, wenn das nach außen dringt, dass dann gesagt wird: "Der ist ja selber nicht richtig im Kopf" und solche Dinge. Das erschwert die ganze Sache. Aber ich glaube, dass sich in der großen Menge die seelsorgerisch Tätigen bewusst sind, dass sie ohne einen Außen-Ansprechpartner nicht gut zurechtkommen. 

Dr. Bernd Deininger, Theologe und Psychiater

"Besser wäre es natürlich, wenn sie sich schon melden bevor sich Symptome entwickeln. Das ist leider bislang nicht richtig gut etabliert - eigentlich gar nicht."

DOMRADIO.DE: Was muss passieren, bis Priester bei Ihnen Hilfe suchen? 

Deininger: Entweder haben sie einen großen Leidensdruck, indem sie Symptome entwickeln, zum Beispiel indem sie depressiv werden oder Zwänge entwickeln, ganz häufig Kontrollzwänge. Oder dass sie sich immer mehr sich sozial zurückziehen und selber merken: "Mit mir stimmt etwas nicht mehr". Oder auch, wenn sie zum Beispiel mit sexuellen Schwierigkeiten behaftet sind. All das bringt Menschen dann zu mir. Es muss aber eben ein Leidensdruck über ein Symptom entstehen. Besser wäre es natürlich, wenn sie sich schon im Vorfeld, bevor sich Symptome entwickeln, melden würden. Das ist aber leider bislang noch nicht richtig gut etabliert - eigentlich gar nicht. Damit müsste man schon in den Priesterseminar beginnen, man müsste da schon Selbsterfahrungsgruppen anbieten oder man müsste - ähnlich wie es in der Medizin jetzt in meinem Fachgebiet, in der Psychosomatik ist - sogenannte Balintgruppen anbieten. Das heißt also, ich sage es mal am Beispiel der Ärzte, dass sie über ihre schwierigen Patienten reden können. Also dass man in der Seelsorge, was ganz wichtig ist, über Balintgruppen, über Supervisionen, über schwierige Fälle reden kann. Das ist aber halt leider weder in den Ausbildungsgängen noch sonst gut etabliert. 

DOMRADIO.DE: Wie sinnvoll wäre es Ihrer Meinung nach, wenn alle kirchlichen Amtsträger regelmäßig zu Ihnen kämen, also für einen seelischen Gesundheits-Check? 

Deininger: Ja, das sind Utopien. Aber Utopien gibt es deshalb, damit man ein Ziel hat, was man möglicherweise nicht unbedingt komplett erreicht, aber das zumindest eine Richtung vorgibt. Das, was Sie gerade gefragt haben, ist natürlich etwas ganz Entscheidendes und man würde sich sehr viele Probleme und Konflikte, die wir im Moment haben, ersparen können, wenn man das schon längst etabliert hätte. 

DOMRADIO.DE: Sehen Sie da denn eine Bereitschaft? 

Deininger: Es gibt einzelne Bischöfe, die ich auch persönlich kenne, die da die Bereitschaft haben. Aber das ist eine kleine Gruppe. Die große Mehrzahl, denke ich, hat immer noch den Eindruck, man könne das auch alles aus sich selbst heraus schaffen. Gerade aus dem konservativen Lager gibt es extremen Gegenwind, weil ja eine Supervision oder eine Psychotherapie natürlich sehr stark eine Konfrontation mit der eigenen Lebensgeschichte ist. Und da gibt es die Befürchtung, dass es dann immer mehr geben könnte, die sich von ihrem Beruf zurückziehen und abwenden. Und insofern wird es denen mit Bereitschaft aus meiner Sicht in großem Maße leider noch blockiert.

Quelle:
DR