DOMRADIO.DE: Sie kennen die Situation der Israelis und Palästinenser sehr gut. Was haben Sie gedacht, als Sie von diesen Trump-Plänen gehört haben?

Msgr. Stephan Wahl (Priester und Autor aus dem Bistum Trier mit Lebensmittelpunkt in Ostjerusalem): Im ersten Moment habe ich gedacht, es ist eine der durchgeknallten Ideen des Präsidenten, die von seinem Hirn zu seinem Mund ein bisschen zu schnell gehen. Aber ich glaube, es steckt eine erschreckende Strategie dahinter. Hier im Land ist die Reaktion auf palästinensischer Seite klar ablehnend.
Gestern hat der Patriarchalvikar für Palästina, Weihbischof Shomali, gesagt, dass das Recht des Volkes, im eigenen Land zu leben, niemals in Frage gestellt werden kann und dass hier die Menschenrechte auf dem Prüfstand stehen. Ich kann nicht erkennen, dass hinter dieser Idee von Herrn Trump irgendeine Chance auf einen langfristigen Frieden im Land besteht. Ich habe den Eindruck, dass diese unrealistische Idee einzig das Ziel hat, die Position von Netanjahu hier im Land zu stärken.
DOMRADIO.DE: Aus vielen Ländern kommt deutliche Kritik. Zustimmung gibt es von einigen Politikern in Israel. Wie erleben Sie die Diskussion bei Ihnen vor Ort?
Wahl: Auf der rechtsnationalen Seite von Israel, bei den sehr rechts positionierten Ministern in der Regierung von Netanjahu, ist das Ganze natürlich mit Jubel aufgenommen worden. Es gibt diese Idee von Großisrael. Das heißt, dass offen darüber spekuliert wird, wieder neue Siedlungen im Gazastreifen zu errichten. Möglicherweise ist Netanjahu jetzt gestärkt. Er kann diese rechten Politiker, die den Geiseldeal sehr kritisch sehen, nun überzeugen, dass es ein viel größeres Ziel gibt und man Gaza ganz einnehmen kann.
DOMRADIO.DE: Die Länder, die für eine Umsiedlung genannt worden sind, lehnen die Pläne ab. Auch Saudi-Arabien zieht nicht mit. Realistisch ist die Umsetzung damit nicht, oder?
Wahl: Nein, das ist unrealistisch. Dass Saudi-Arabien sich sehr schnell und deutlich positioniert hat, wird Trump am meisten geärgert haben. Denn er hat das große Ziel, Saudi-Arabien und Israel einander anzunähern. Wenn Saudi-Arabien darüber nicht reden will, ist klar, dass die Idee völlig idiotisch und unrealistisch ist.

DOMRADIO.DE: Es leben einige Christen in Gaza. Wie nehmen sie diese Diskussion auf?
Wahl: Sie nehmen die genauso auf, wie der Weihbischof, der deutlich gesagt hat: Das kann nicht gehen. Die Idee, Menschen für eine gewisse Zeit umzusiedeln und sie später zurückkehren zu lassen, halte ich für unrealistisch. Das werden die Menschen in Palästina, in der palästinensischen Pfarrei in Gaza, genauso sehen. Wenn man einmal hier weggeführt wird, dann wird ein Zurückkommen sehr schwierig sein. Es steckt jedem Palästinenser bis heute die Nakba, die große Vertreibung im Jahr 1948, in den Knochen. Das weckt schreckliche Erinnerungen.
DOMRADIO.DE: In der Ablehnung zeigt sich allerdings, dass zum Beispiel die Türkei möglicherweise für eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen bereit ist. Könnte dieser Plan von Trump immerhin zu einer neuen Dynamik im Nahostkonflikt führen?
Wahl: Man soll nichts ausschließen. Ich bin über jede Dynamik in diesem Prozess dankbar, die zum Frieden führt und dazu, dass die beiden Völker in diesem Land ihr Selbstbestimmungsrecht leben können, wie es in den Osloer Verträgen formuliert worden ist. Aber ich habe große Zweifel, dass das ein Beitrag ist, um dieses Ziel zu erreichen.
DOMRADIO.DE: Einige Länder verweisen nun auf die Zweistaatenlösung, die in all den Jahrzehnten nicht durchsetzbar war. Sollte man nicht über ganz andere Lösungen nachdenken?
Wahl: Es gibt noch die andere Idee, einen binationalen Staat zu errichten. Die Idee finde ich wunderbar. Sie ist jedoch im Moment genauso unrealistisch. Nach dem Gazakrieg gibt es so viele Verwundungen auf beiden Seiten, dass ich mir schlecht vorstellen kann, dass man die Gelassenheit und die Größe hat, sich an einen Tisch zu setzen und zu sagen: "Wir sind zwei wunderbare Völker. Lasst uns aus diesem wunderbaren Land ein gemeinsames, wunderbares Land schaffen."
Das ist aber leider nur ein schöner Traum, der wird sich nicht realisieren. Dem steht schon allein das Nationalstaatsgesetz von 2018 entgegen. Die einzige realistische Möglichkeit, die aber ebenso mittlerweile fast utopisch ist, ist eine Zweistaatenlösung. Aber ich habe, wie viele andere, immer mehr meine Zweifel, dass dieses Ziel erreichbar ist.
Das Interview führte Carsten Döpp.