DOMRADIO.DE: Wie sieht Ihr Alltag momentan aus?
Stephan Wahl (Poet, Autor und katholischer Priester in Ost-Jerusalem): So normal wie das hier halt möglich ist. Ich lebe in Ost-Jerusalem und das ist wahrscheinlich im Moment der sicherste Platz in der Region, denn hier leben fast ausschließlich Palästinenser und die sind sicherlich nicht im Visier des Iran.

Dass bei einem solchen Angriff die Al-Aqsa-Moschee oder auch der Felsendom getroffen würde, wäre eine absolute Katastrophe für die gesamte islamische Welt. Aber ich habe natürlich keine Garantie, dass nichts passiert. Wenn Alarm ist, gehe auch ich in den Schutzraum.
Bei uns war heute Nacht nichts. Sie haben erwähnt, was in Be'er Scheva los war. Immer ist die Frage da, ob ich hier wirklich sicher bin.
Das schwingt immer mit. Soll ich beispielsweise gleich in die Weststadt gehen, um jemanden zu treffen? Nehme ich morgen das Auto, um nach Abu Dis zu fahren, um dort die Messe zu halten? Solche Fragen hätte ich mir vor einer Woche nicht gestellt.
DOMRADIO.DE: Diese Gedanken teilen Sie auch in den sozialen Medien mit, etwa auf Instagram. Die Aussage von Kanzler Merz, die israelische Regierung mache die Drecksarbeit für die westlichen Verbündeten, haben Sie da kritisiert. Was stört Sie konkret daran?
Wahl: Ich kenne Palästinenser, die sich für Palästinenser schämen, die noch immer die entsetzliche Hammas unterstützen. Ich habe israelische Freunde, die sich für ihre skrupellose Regierung schämen. Ich schäme mich als Deutscher für einen Bundeskanzler, der eine solche widerliche und menschenverachtende Formulierung leichtfertig gebraucht.
Das heißt, wahrscheinlich noch nicht mal leichtfertig, sondern ganz bewusst. Damit werden doch indirekt die Opfer verhöhnt und das Völkerrecht mit Füßen getreten. Als Christ hatte ich aber dann doch die wahrscheinlich naive Hoffnung, dass er kapiert, dass er sich da völlig vergriffen hat und sich öffentlich dafür entschuldigt.

Da würde dem Herrn Bundeskanzler kein Zacken aus der Krone fallen. Und dafür hätte ich sogar einen richtig großen Respekt, denn Fehler zugeben, das hat auch was von Größe. Aber ich glaube, darauf kann ich lange warten.
DOMRADIO.DE: Und in den sozialen Medien bekunden sie auch ihr Mitgefühl, nicht nur gegenüber der israelischen Zivilbevölkerung, sondern auch der iranischen. Was bewegt sie denn dazu, sich so klar über nationale und politische Grenzen hinweg zu äußern?
Wahl: Diese Trauer überlagert alles. Ich versuche mich, so gut es geht, an den Schreibtisch zu zwingen, um die Deadlines einzuhalten, zur Abgabe von Manuskripten, aber auch um mich abzulenken. Aber das gelingt nicht immer. Meine Gedanken gehen natürlich immer wieder zu den Zivilisten, die den Preis für diesen unseligen Krieg bezahlen müssen.
Hier in Israel, im Iran und das hat mir eben bei Ihrer Aufzählung gefehlt, auch in Gaza. Das wird im Moment viel zu wenig in den Blick genommen. In den letzten zwei Tagen sind in Gaza mindestens 190 Menschen ums Leben gekommen. Teilweise an Stellen, wo sie Essen abholen wollten, Lebensmittel.
Es gibt seit einiger Zeit, um mal was Positives zu sagen, eine Aktion von Mitgliedern der Anglikanischen Kirche in Jerusalem. Die nennt sich Fasten für Gaza. An der beteilige ich mich. Zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang esse ich also nichts, also sowas wie Ramadan light, denn Trinken verbiete ich mir nicht.
Das hilft zwar niemandem in Gaza konkret, aber es ist vielleicht ein kleines Minizeichen der Solidarität mit den Menschen, die dort wirklich hungern und nicht den Luxus haben, wie ich, freiwillig zu fasten.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie denn den Menschen in Israel und im Iran und natürlich, wie Sie auch sagen, in Gaza? Worauf hoffen Sie denn? Und wie können Sie mit Ihrer Arbeit als Pfarrer Hoffnung für die Menschen schenken?
Wahl: Also als Pfarrer kann ich da im Moment wenig Hoffnung für die Menschen schenken. Erstmal ist nur ein ganz kleiner der lokalen Bevölkerung christlich. Sie wissen, dass wir kaum noch 2% der Bevölkerung ausmachen. Ich versuche meinen Teil im Internet zu leisten und so meine Überzeugungen zu erklären und damit Menschen zu unterstützen und zu informieren.
Für die Zivilbevölkerung wünsche ich mir konkret erst einmal einen Waffenstillstand. Und das möglichst schnell, möglichst schnell. Damit die Luftschutzkeller leer bleiben und man ohne Angst wieder durchschlafen kann. In Teheran, in Tel Aviv, auch in Gaza.
Das Interview führte Annika Weiler.