Priester im Ausland ein neues Kapitel im Missbrauchsskandal?

Renovabis-Chef Schwartz spricht von Systemversagen

Ein vorbestrafter deutscher Priester missbrauchte in der Ukraine erneut Minderjährige. Bekannt wird der Fall aus den 90-er Jahren kurz vor der Renovabis-Spendenkampagne. Das Hilfswerk will aufklären. Es bleiben Fragen.

Autor/in:
Christoph Renzikowski
Thomas Schwartz / © Dieter Mayr (KNA)
Thomas Schwartz / © Dieter Mayr ( KNA )

Es ist alles lange her. Die Taten sind abgeurteilt oder verjährt. Seit kurzem ist der Priester-Täter im Ruhestand sogar vom Vatikan seines Amtes enthoben worden, was als kirchliche Höchststrafe gilt.

Trotzdem kann der Fall, den die "Süddeutsche Zeitung" am Freitag in ihrer Online-Ausgabe veröffentlichte, nicht einfach zu den Akten gelegt werden. Nach den Bistümern und Ordensgemeinschaften geht es jetzt auch um die Rolle der Hilfswerke im kirchlichen Missbrauchsskandal - und um die Aufarbeitung von Übergriffen deutscher Priester im Ausland.

Renovabis-Hauptgeschäftsführer Thomas Schwartz, erst seit acht Monaten im Amt, greift zu drastischen Worten: "Mangelnde Sensibilität für das Thema Missbrauch und nicht vorhandene Kontrollmechanismen beim Einsatz von Priestern im Ausland zeigen, dass hier das System versagt hat." Und das nicht zum ersten Mal.

Jetzt richtet sich der Blick auch nach Osteuropa

Im September 2021 waren Vorwürfe gegen den früheren Adveniat-Geschäftsführer Bischof Emil Stehle (1926-2017) bekannt geworden. Zunächst ging es darum, dass er einen anderen Priester durch einen Auslandseinsatz vor Strafverfolgung wegen Missbrauch schützte. Wenige Monate später geriet Stehle wegen mutmaßlicher sexueller Übergriffe gegenüber Frauen ins Visier.

Renovabis

Renovabis ist das jüngste der sechs katholischen weltkirchlichen Hilfswerke in Deutschland. Es wurde im März 1993 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) von den deutschen Bischöfen gegründet. Seither gibt es jedes Jahr eine mehrwöchige bundesweite Aktion. Sie endet jeweils am Pfingstsonntag mit einer Kollekte in den katholischen Gottesdiensten in Deutschland.

Der lateinische Name des Hilfswerks geht auf einen Bibelpsalm zurück und bedeutet "Du wirst erneuern".

 © Renovabis
© Renovabis

Inzwischen hat die Deutsche Bischofskonferenz in Absprache mit Adveniat eine unabhängige Untersuchung in Auftrag gegeben. Unter die Lupe genommen wird der seinerzeit von Stehle koordinierte Missionseinsatz deutscher Geistlicher, vorwiegend in Lateinamerika und der Karibik. Bis Jahresmitte sollen Ergebnisse vorliegen.

Jetzt richtet sich der Blick auch nach Osteuropa. Zum aktuellen Fall: 1994 wird der Trierer Diözesanpriester V. wegen 28-fachen sexuellen Missbrauchs in Saarbrücken zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Das Bistum hat ihn da schon beurlaubt. Er geht ins oberbayerische Bad Kohlgrub, zieht dort ins Pfarrhaus und arbeitet bald auch wieder - ohne Auflagen - in seinem Beruf. Von seiner Vorgeschichte ist nach Auskunft des Münchner Ordinariats zu diesem Zeitpunkt nichts bekannt.

Informationspolitik ein "schweres Versäumnis"

Im Bistum Trier kreidet man sich heute diese Informationspolitik als "schweres Versäumnis" an.

Vom bayerischen Oberland aus knüpft V. Kontakte zum Freisinger Domberg, wo die Geschäftsführung von Renovabis ihren Sitz hat. Einige Monate arbeitet er dort ab 1995 tageweise mit, ehrenamtlich. In sein Vorleben eingeweiht wird von Trier aus nur der damalige Hauptgeschäftsführer, der Jesuit Eugen Hillengass, und das auch nicht über den Dienstweg. Wann und wie, ist unklar. Hillengass habe jedenfalls sein Wissen für sich behalten, heißt es bei Renovabis.

V. scheint sich als Aushilfsseelsorger in Bad Kohlgrub zu bewähren, im Januar 1996 wird er vom Münchner Erzbischof mit der Leitung des Pfarrverbands beauftragt. Ein halbes Jahr später lässt er sich davon entbinden, sein Heimatbistum schickt ihn in die Ukraine. Warum?

"Nicht mehr nachvollziehbar", sagt die Trierer Bistumssprecherin, aber "aus heutiger Sicht scharf zu verurteilen".

Wen man da nach Osten geschickt hat, darüber lässt das Bistum Trier die Diözese Kamieniec-Podolski im Unklaren. So kann V. auch nicht daran gehindert werden, sich erneut an zwei Jugendlichen zu vergehen.

Kein Mitarbeiter von Renovabis

Renovabis betont, er sei in der Ukraine weder als Mitarbeiter noch auf Veranlassung des Hilfswerks eingesetzt gewesen. Wohl aber hat Renovabis nach eigenen Angaben vier Projekte bezuschusst, von denen der Priester zumindest indirekt profitierte, wenn er auch nicht selbst Antragsteller war.

1998 wird V. aus der Ukraine abgezogen und in sein Heimatbistum zurückbeordert. Bei Renovabis heißt es, Hillengass sei damals von BR-Journalisten über V.s Verurteilung in Saarbrücken informiert worden und habe daraufhin in Trier auf eine Abberufung gedrängt. Die Missbrauchsvorwürfe aus der Ukraine werden erst 2012 bei der Staatsanwaltschaft aktenkundig - durch eine Selbstanzeige des Priesters. Da sind die Taten verjährt.

Teddybär im Schmutz / © Alla Vasylenko (shutterstock)

Es folgen mehrere kirchliche Strafverfahren, neue Vorwürfe tauchen auf, der Geistliche wird sanktioniert. Dem letzten Urteil kommt der Priester durch die Bitte um Entlassung aus dem Klerikerstand zuvor.

Am 22. April hat ihr Papst Franziskus entsprochen, wie das Bistum Trier am Freitag mitteilte.

Juristisch sieht sich Renovabis nicht in der Mitverantwortung, wohl aber moralisch. Wegen "Nachlässigkeit und Leichtgläubigkeit seiner Verantwortlichen" seien dem Priester weitere Minderjährige zum Opfer gefallen, bedauert Hauptgeschäftsführer Schwartz. "Das tut mir unendlich leid. Dafür bitte ich die Opfer - soweit mir das zusteht - um Verzeihung." Und: "Ich sichere zu, dass wir sämtliche Personalakten bei Renovabis nunmehr prüfen werden."

Im Kampf gegen Missbrauch gewappnet

Zumindest für die Zukunft sehen sich Hilfswerke wie Renovabis im Kampf gegen Missbrauch gewappnet. Die Interventions- und Präventionsordnung der Deutschen Bischofskonferenz gilt inzwischen auch für die weltkirchliche Arbeit im Ausland. Projektpartner der Hilfswerke müssen sich schriftlich auf Schutzstandards verpflichten. Werden diese nicht eingehalten, fließt kein Geld mehr.

Anders sieht es bei der Aufarbeitung der Vergangenheit aus. Hier erwartet etwa der Betroffenenbeirat der Bistümer Mainz, Limburg und Fulda noch Antwort auf Fragen, die er an die Deutsche Bischofskonferenz und das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken Ende Februar gerichtet hat. Der Rat will von den beiden Trägern des Osteuropahilfswerks unter anderem wissen, ob den Missbrauchsopfern in der Ukraine "irgendeine Form der Unterstützung" zuteil wurde. Bisher sieht es nicht danach aus.

"Eine Kontaktaufnahme zu den Betroffenen bzw. zu deren Familien ist durch Renovabis nicht erfolgt", so die Auskunft aus Freising. "Die damals Verantwortlichen sahen keine Zuständigkeit und Verantwortung." Formell möge das auch zutreffend sein. "Aus heutiger Sicht hätte unser Haus jedoch eine moralische Sensibilität zeigen und mit dem zuständigen Bistum Sorge um die betroffenen Opfer tragen sollen."

Hintergrund: Entlassung aus dem Klerikerstand 

Die Entlassung aus dem Klerikerstand wird umgangssprachlich als "Laisierung" bezeichnet. Sie kann etwa vor einer Heirat auf Antrag des Betroffenen erfolgen. Bei schweren Vergehen von Geistlichen ist sie im katholischen Kirchenrecht die Höchststrafe.

Symbolbild Priester / © Yeti studio (shutterstock)
Quelle:
KNA