Die slowakische Hauptstadt hat eine multikulturelle Geschichte

Preßburg - Pozsony - Presporok - Wilsonstadt - Bratislava

Die Hauptstadt der heutigen Slowakei liegt nur 55 Kilometer donauabwärts von Wien und 160 Kilometer donauaufwärts von Budapest. Die drei Metropolen trennte einst der "Eiserne Vorhang". Aber viel mehr verbindet sie.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Blick auf Bratislava / © Rasto SK (shutterstock)

Wenn Papst Franziskus am 12. September in Bratislava eintrifft, besucht er nicht nur eine katholische Hochburg Mittel-Osteuropas. An der großen Kultur- und Lebensader Donau begegnet er auch einer Stadt mit einer sehr multikulturellen Geschichte.

Noch heute kann der Besucher der slowakischen Hauptstadt mit ihren rund 430.000 Einwohnern - die nach den Kriegen und Systemwechseln des 20. Jahrhunderts nur noch 3,5 Prozent Ungarn und 0,2 Prozent Deutsche hat - schon durch die Architektur der Altstadt auf die deutsche Vergangenheit schließen. So wie in Bratislava sehen auch Straßenzüge in Siebenbürgen, Österreich oder Slowenien aus.

Hier, in der wichtigsten Stadt des damaligen Oberungarn, verbrachte die heilige Elisabeth von Thüringen (1207-1231) die ersten Jahre ihrer Kindheit. Mehrere architektonische Spuren sprechen heute noch von ihr, etwa das Elisabeth-Denkmal auf dem Burgberg.

Von deutschsprachigen Siedlern geprägt

Preßburg, ungarisch Pozsony, slowakisch Presporok, war seit dem 13. Jahrhundert von Deutschen geprägt. Nach den Mongolenstürmen forderte Ungarns König deutschsprachige Siedler aus Österreich, Süddeutschland und Böhmen an, um die zuvor ungarische Stadt neu aufzubauen. Nach der "Katastrophe von Mohacs" 1526, der Niederlage gegen die Türken, fielen große Teile Ungarns unter osmanische Herrschaft. Die Grenzstadt Preßburg bzw. ihr Martinsdom wurde für zweieinhalb Jahrhunderte zum Krönungsort der ungarischen Könige.

Noch 1851 waren drei Viertel der 42.000 Einwohner Deutsche. Allerdings ging mit dem sogenannten österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 eine massive Magyarisierung einher. So hatten sich bis 1901 die Verhältnisse in der Stadt schon deutlich verändert: Auf 50 Prozent Deutsche kamen 30 Prozent Ungarn.

Keine Identifikation mit der Tschechoslowakei

Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Kollaps des Habsburgerreiches vor gut 100 Jahren wurden die Grenzen in Mitteleuropa komplett neu gezogen, die Karten buchstäblich neu gezeichnet. Um den Jahreswechsel 1918/19 gab es überall neue Bündnisse, neue Staaten und neue Regierungsformen. Doch bei weitem nicht alle Bürger passten in die neuen staatlichen Korsetts. In Preßburg etwa wollte man zur neuen Tschechoslowakei auf keinen Fall gehören.

Bis 1918 die alte Welt zusammenbrach, hatten die Slowaken noch nicht viel zu melden; weder in Preßburg/Presporok noch in Engerau/Petrzalka ("Petersilien") am anderen Donauufer, einst der gemächliche deutsche Gemüsegarten der Stadt, heute zubetoniert mit einer der krassesten sozialistischen Trabantenstädte Europas. Papst Johannes Paul II. (1978-2005) feierte hier im September 2003, vor genau 18 Jahren, eine Messe mit rund einer Million Teilnehmern und sprach slowakische Märtyrer aus kommunistischer Zeit selig.

US-Präsident Wilson stand Pate für Stadtname

Mit dem Ende der Habsburgermonarchie schlug dann die Stunde der Tschechen und Slowaken. Für Westböhmen war mit der Staatsgründung nach Jahrhunderten deutscher Dominanz der Samen für künftige Konflikte mit den Sudetendeutschen gelegt. Weiter östlich brannte den Karpatendeutschen der Boden unter den Füßen. Die politische Lage war brenzlig, ebenso die Versorgungslage; Chaos und Armut griffen um sich. In Preßburg wünschten sich die Deutschen zum Burgenland; die Ungarn wollten naturgemäß bei Ungarn bleiben.

In diesem Tumult der Nachkriegsmonate entstand der kurzlebige "Projektname" Wilsonstadt, in Anlehnung an den populären US-Präsidenten Woodrow Wilson (1913-1921). Er stand für ein Ende des Krieges, für das Selbstbestimmungsrecht der Völker, aber auch für die Aufnahme zahlreicher Exil-Slowaken in den USA. Daher wurde der Name "Wilsonstadt" auch von Slowaken ("Wilsonovo mesto") im Mund geführt.

Gestaltungswillige EU-Hauptstadt

Doch bevor es zu irgendeiner Deklaration dieses internationalistischen Stadtnamens hätte kommen können, war der Traum auch schon vorbei. 1919 gab es bei Kämpfen zwischen den Tschechoslowakischen Legionen, einheimischen Aufständischen und ungarischen Truppen Tote und Verletzte. Deutsch-ungarische Demonstrationen in der Stadt wurden blutig unterdrückt.

Anfang März 1919 wurde Preßburg - wenig historisch - in Bratislava umbenannt und - anstelle von Martin (Turz-Sankt Martin) oder Nitra (Neutra) - zur faktischen Hauptstadt des slowakischen Teils der Tschechoslowakei erklärt. In den folgenden Jahren wuchs die slowakische Bevölkerung rasant; die Zahl der Deutschen und Ungarn nahm stark ab. Heute ist Bratislava eine kleine, aber gestaltungswillige EU-Hauptstadt, deutlich europäisch-integrativer gesinnt als Budapest, Prag oder Warschau. Papst Franziskus dürfte das gefallen.


Blick auf die Martins-Kathedrale in Bratislava / © Alexander Brüggemann (KNA)
Blick auf die Martins-Kathedrale in Bratislava / © Alexander Brüggemann ( KNA )
Quelle:
KNA
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