Positives Echo auf Rückgabe von Kirchenbesitz in der Türkei

"Es wäre mutig und überraschend"

Streitigkeiten um enteignete Gebäude und Grundstücke zählten bisher zu den größten Problemen der Christen in der Türkei. Nun will die Regierung eingezogenen Kirchenbesitz zurückgeben. Der Schritt wird allgemein begrüßt – und seine Umsetzung genau beobachtet.

 (DR)

Die Europäische Union begrüßt das neue türkische Gesetz. Der Schritt sei "positiv und zielführend" für die Umsetzung der Religionsfreiheit, sagte eine Sprecherin von Erweiterungskommissar Stefan Füle.  Begrüßenswert sei auch das Treffen zwischen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan und den Spitzen nicht-muslimischer religiöser Gemeinschaften am 28. August, fügte die Sprecherin hinzu.



Die Regierung von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Wochenende in einem als historisch bewerteten Erlass angekündigt, dass alle Immobilien nichtmuslimischer religiöser Stiftungen, die seit 1936 vom Staat enteignet wurden, wieder zurückerstattet werden.



Erdogan hatte für Sonntagabend Vertreter von 161 nichtmuslimischen Stiftungen zu einem traditionellen Fastenbrechen im Monat Ramadan eingeladen. Es handelte sich um die erste Geste dieser Art. Bei dem Treffen betonte der Regierungschef die Gleichberechtigung aller türkischen Bürger unabhängig von ihrer Religionszugehörigkeit. "An dieser Tafel ist Platz für alle", sagte Erdogan.



"Es wäre mutig und überraschend"

Der Türkei-Experte von missio, Otmar Oehring, spricht von einem mutigen Schritt der Regierung Erdogan. "Wenn wir das, was dort angekündigt wird, demnächst tatsächlich als Rechtsverordnung sehen, wäre es mutig und auch überraschend", so der Referent des kirchlichen Hilfswerks. Allein in Istanbul gehe es um enorme Grundstücks- und Gebäudeflächen.



Noch wichtiger als die geplanten Rückerstattungen von enteigneten Immobilien wären nach seiner Ansicht Entschädigungszahlungen für jene Liegenschaften, die in der Vergangenheit an Dritte weiterverkauft worden waren. Türkische Medien schätzten die Gesamtsumme der Entschädigungen auf umgerechnet rund 700 Millionen Euro. Nicht betroffen von den geplanten Maßnahmen sind nach Worten des missio-Experten prominente Gotteshäuser, die in den vergangenen Jahren Schlagzeilen machten. Es gehe allein um Kirchen, die "in zähen Verhandlungen" zwischen Behörden und Gemeinden als noch vorhandene Stiftungen deklariert worden seien, nicht aber um untergegangene oder nicht mehr festzustellende Stiftungen.



Die Pauluskirche von Tarsus etwa habe vermutlich einmal zum griechisch-orthodoxen Patriarchat von Konstantinopel gehört. Dieses konzentriere sich in der Frage der Rückgabe aber auf Gebäude in der Region um Istanbul sowie auf zwei Dardanellen-Inseln, so Oehring. Auch die armenische Kirche habe inzwischen Ansprüche auf Kirchen in Inneranatolien aufgegeben, bei denen es seit dem Massaker im Ersten Weltkrieg keine Gemeinde mehr gebe. Die berühmte Heilig-Kreuz-Kirche auf der Insel Aghtamar im Van-See, in der künftig einmal pro Jahr wieder ein Gottesdienst gefeiert werden darf, werde auch mit dem neuen Erlass ebenso wenig zurückgegeben wie das einst griechisch-orthodoxe Sümela-Kloster in der Nordtürkei.



Keine Stellungnahme des Vatikan

Vom Botschafter des Vatikan in der Türkei, Erzbischof Antonio Lucibello, war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten. Man wolle sich nicht äußern, bevor man nicht den Erlass studiert habe, erklärte die Nuntiatur auf KNA-Anfrage. Der griechisch-orthodoxe Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., sagte laut türkischen Medien, die Türkei sei auf dem richtigen Weg. Oberrabbiner Haleva sprach laut Presseberichten von einer "Revolution".



Im vergangenen Jahr hatte das Ökumenische Patriarchat nach langem Rechtsstreit den enteigneten Prinkipo-Palast auf den Prinzeninseln vor Istanbul zurückerhalten. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hatte schon 2007 einer entsprechenden Klage des Patriarchats im Grundsatz stattgegeben; im Juni 2010 wurde die Türkei dann zur Rückgabe des Gebäudes verurteilt.



EU will Umsetzung genau beobachten

Die Europäische Union hatte die Schwierigkeiten der türkischen Minderheiten mit ihrem Eigentum immer wieder während der laufenden Beitrittsverhandlungen bemängelt. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg hatte das Land aus diesem Grund mehrmals verurteilt und den Minderheiten zumindest Teilsiege verschafft. "Die EU-Kommission wird die Umsetzung des neuen Gesetzes genau verfolgen und dabei sowohl mit den türkischen Behörden als auch den nicht-muslimischen Religionsgemeinschaften in Kontakt stehen", sagte die Sprecherin von Erweiterungskommissar Füle.



Der Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland begrüßt den Erlass der türkischen Regierung, eingezogenen Kirchenbesitz zurückzugeben. Dies sei ein "richtiger und wichtiger Schritt hin zu einem ausgewogenen Verhältnis zur christlichen Minderheit in der Türkei", erklärte der Islamrat-Vorsitzende Ali Kizilkaya.