Im Südosten der Türkei wird Christen das Leben immer noch schwer gemacht

Zaghafte Glaubensausübung

Die türkische Region des Tur Abdin ("Berg der Gottesknechte") mit seinen Klöstern und Dörfern war einst eines der Zentren des syrisch-orthodoxen Christentums. Aber noch vor zehn Jahren standen viele Dörfer in der kargen Bergregion völlig leer: Die Christen wurden im Kampf zwischen Armee und PKK aufgerieben. Nun gibt es wieder Hoffnung.

 (DR)

Selten hat Metropolit Timotheus vom syrisch-orthodoxen Kloster Mor Gabriel die schlechten Straßen in die kleinen Bergdörfer im Tur Abdin so gern zurückgelegt wie an diesem Tag. Heute ist für den Bischof und für alle syrischen Christen hier im kargen Südosten der Türkei ein besonderer Tag. In dem kleinen Dorf Kafro wird er den kleinen Iskender, das erste Kind einer sogenannten "Rückkehrerfamilie", taufen.



Die Ortschaft Kafro ist dafür ein gutes Beispiel: Im Kampf zwischen türkischer Armee, kurdischer Guerillabewegung PKK und den vom Militär bewaffneten kurdischen Dorfmilizen wurden die Christen aufgerieben. 1995 verließen die letzten Einwohner Kafro; das Dorf war dem Verfall preisgegeben. 2001 appellierte der damalige türkische Ministerpräsident Bülent Ecevit an die ausgewanderten Christen zurückzukommen. Wie auch Staatspräsident Ahmet Necdet Sezer versprach er Rechtssicherheit.



14 Familien aus Deutschland

Die Exil-Syrer nahmen den vermeintlichen Kurswechsel der türkischen Staatspitze wahr, und einige folgten der Einladung. Insgesamt 14 Familien aus Deutschland, der Schweiz und Schweden, die früher in Kafro lebten, entschlossen sich 2006 zur Rückkehr. Ihre Häuser waren nicht mehr bewohnbar; sie bauten neue.



Zu den Rückkehrern zählt auch Israil Demir. 27 Jahre lebte er in Deutschland und arbeitete beim Autohersteller Audi. Jetzt ist er vor Ort in der Bauwirtschaft tätig; die drei Kinder besuchen Schulen in der nahen Stadt Midyat. Es sei schwierig, so Demir, den Lebensunterhalt zu verdienen. Noch problematischer sei aber nach wie vor die Sicherheitslage. Vor drei Wochen wurde er von einem Hirten mit einer Schrotflinte angeschossen und schwer verletzt, als er verhindern wollte, dass dessen Herde über die Felder der Christen zieht. Der Täter wurde bislang nicht gefasst - obwohl das Militär im Tur Abdin nach wie vor an vielen Ecken präsent ist. "Wir fühlen uns noch immer nicht sicher", klagt Demir. Trotzdem denkt er nicht daran, wieder nach Deutschland zurückzugehen: "Das hier ist unsere Heimat."



Bald nach Kafro führt die Straße an einem Militärcheckpoint weiter hinauf in die karge und einsame Bergwelt. Vorbei an einem Panzer schlängelt sich die schmale Schotterstraße durch kleine Schluchten und einen Pass, bis sie schließlich ins kleine Christendorf Badibe führt. Einst lebten hier 110 christliche Familien. In den 70er Jahren nahmen die Auseinandersetzungen zwischen Armee und kurdischer PKK immer dramatischere Auswirkungen an. Abwechselnd kamen schwer bewaffnete Guerillakämpfer und Soldaten in den Ort, okkupierten die Häuser der Bewohner und versorgten sich mit Nahrungsmitteln.



Kein Kinderlachen

In den Hügeln rund um das Dorf wurde gekämpft; immer wieder kamen, wie überall im Tur Abdin, Dorfbewohner ums Leben. Viele flüchteten ins Ausland. Ab 1984 stand Badibe völlig leer. Das Gebiet wurde zur militärischen Sperrzone erklärt - letztlich sogar ein Glücksfall für die Auswanderer. Denn so konnte sich niemand ihre Häuser und Grundstücke illegal aneignen. Auch nach Badibe sind seit 2006 wieder einige Bewohner zurückgekommen und haben ihre Häuser renoviert. Allerdings: Es sind nur alte Leute; Kinderlachen und -lärm hört man nicht. Und auch die Alten verbringen nur die Sommermonate im Ort. Dann gehen fast alle wieder zurück nach Westeuropa.



Wer den Mönch Joachim im Mor-Augin-Kloster besuchen will, braucht Gottvertrauen. Abenteuerlich schlängelt sich die schmale Straße die Südhänge des Tur Abdin hinauf zu einem riesigen, großenteils verfallenen Klosterkomplex, der am Berghang klebt. Im 4. Jahrhundert gegründet, war Mor Augin ein bedeutendes spirituelles Zentrum, von dem aus Klöster bis in den Irak hinein gegründet wurden. In der Blütezeit lebten dort mehr als 350 Ordensleute; 1970 starb der letzte von ihnen.



Kloster wiederbelebt

Das Leben in Mor Augin war erloschen, bis der 35-jährige Pater Joachim das Anwesen entdeckte. Mit einfachsten Mittel wurden einige Räume wiederhergestellt, in der Klosterkirche ein Altar eingerichtet. Mehrmals in der Woche fährt der Mönch die einsame Bergstraße hoch, um dort Liturgie zu feiern. Dann erklingen in der Einsamkeit des Tur Abdin wieder die aramäischen Gesänge der syrischen Liturgie in der Sprache Jesu. In wenigen Wochen, so hofft Joachim, wird er für immer ins Kloster übersiedeln, um hier sein spirituelles Leben zu führen - und vielleicht auch andere anzuziehen.



Zuerst muss er aber zentrale Klosterteile vor dem vollständigen Zerfall bewahren. Dafür ist er auf Spenden angewiesen; vom türkischen Staat sei bislang kein Geld geflossen. Allerdings hätten die Behörden inzwischen zumindest die Bergstraße grob asphaltiert und eine Stromleitung zum Kloster verlegt: kleine Hoffnungszeichen auf eine bessere Zusammenarbeit mit dem türkischen Staat.



Großes Hoffnungszeichen für die Christen

Bei der Taufe des kleinen Iskender ist die gesamte Dorfgemeinschaft von Kafro dabei. Die Eltern Kerima und Saliba sind aus der Schweiz zurückgekommen. Die Feier findet in der kleinen Marienkapelle statt, die das Dorf 2007 auf den Grundresten einer uralten Kirche erbaut hat. Eigentlich gibt es auch eine große Kirche im Ort. Sie ist verwüstet und ausgeraubt, die Wände mit Kritzeleien kurdischer PKK-Kämpfer und türkischer Soldaten und mit zahllosen Einschusslöchern von Maschinengewehren verunstaltet. Gerne würden die Bewohner von Kafro auch dieses Gotteshaus renovieren. Doch es ist in Staatsbesitz - und der zeigt derzeit keinerlei Interesse.



Bischof Timotheus spricht bei der Taufe von einem großen Hoffnungszeichen für die Christen im Tur Abdin. 13 Kinder und Jugendliche leben nun schon in Kafro. Zwei weitere Familien erwarten demnächst Nachwuchs. Zwar scheint das neue Jugend- und Versammlungszentrum, das die Dorfgemeinschaft nahe der Marienkapelle baut, überdimensioniert. Doch die Leute von Kafro wollen ein Zeichen setzen: dass sie an eine Zukunft hier glauben.



Hinweis: Der Autor Georg Pulling ist Redakteur der österreichischen KNA-Partneragentur Kathpress in Wien.