DOMRADIO.DE: Im vergangenen Jahr sollen fast 500.000 Pilger in Santiago de Compostela angekommen sein. So eine hohe Zahl wurde vorher noch nie erfasst. Was meinen Sie, warum ist das im Jahr 2024 passiert?

Beate Steger (Pilgerexpertin): Seit 1993 sind Zahlen zur Überprüfung verfügbar und es ist ein kontinuierlicher Anstieg erkennbar, der immer weiter steigt. Ich nehme an, dass 2025 die 500.000er Marke geknackt wird. Die Menschen pilgern offenbar eher statt in die Kirche zu gehen. Vielleicht weil sie da eher das finden, was sie suchen. Auf jeden Fall ist der Boom nach wie vor ungebrochen.
DOMRADIO.DE: Wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken, gab es auch Tiefpunkte, wo die Zahlen nicht so gut waren?
Steger: Ja, aber das war der Corona-Pandemie geschuldet. Man sieht klar den Einbruch. An den heiligen compostelanischen Jahren sieht man immer Ausreißer. Wenn der Festtag vom Jakobus, der 25. Juli, auf einen Sonntag fällt, dann ist das ganze Kalenderjahr über die Heilige Pforte, die sogenannte "Puerta del Perdon" an der Kathedrale in Santiago, geöffnet.

Es heißt scherzhaft, dass beim Durchgehen einem die Sünden vergeben werden, die man noch gar nicht begangen hat. Aber das stimmt natürlich nicht. An diesen Heiligen Jahren kommen besonders viele Pilgerinnen und Pilger. Man sieht einen kontinuierlichen Anstieg über die Jahre und besonders in den Heiligen Jahren 1993, 2004, 2010 und 1999 sieht man diesen besonders hohen Anstieg.
2021, mitten in der Corona-Pandemie, war auch ein heiliges compostelanisches Jahr. Da kamen um die 180.000 Pilgerinnen und Pilger. 2022 verlängerte Papst Franziskus das Heilige Jahr und es kamen wieder fast 440.000 Pilgerinnen und Pilger.
DOMRADIO.DE: Welche Wege haben denn die Pilger genommen, um nach Santiago de Compostela zu gelangen?
Steger: Grundsätzlich nehmen die meisten den Camino Francés, den sogenannten französischen Weg, er beginnt in den Pyrenäen in Saint-Jean-Pied-de-Port. Fast die Hälfte aller Pilgerinnen und Pilger kommen über diesen Weg. Das ist nämlich jener berühmte Weg, der unter anderen auch von Hape Kerkeling beschrieben worden ist. Ein echter Klassiker.

Seit einigen Jahren sind die portugiesischen Wege auch schwer im Kommen. Das sind wunderbarere Wege. Ich bin selbst von Porto nach Santiago gelaufen. Es gibt eine landesinnere Variante und eine Variante an der Küste entlang.
Die Wege sind nicht lang, etwa rund 250 Kilometer. Eine praktische Strecke, die man gut in einem Jahresurlaub machen kann und keinen Sabbat dafür nehmen muss. Durch die Nähe zum Meer ist der Weg sehr schön und wird dadurch immer beliebter.
DOMRADIO.DE: Was sind denn die häufigsten Herkunftsländer der Pilgerinnen und Pilger?
Steger: Nach wie vor ist Spanien an erster Stelle. Die Spanier gehen gerne im eigenen Land pilgern. Das ist für sie auch sehr wichtig. An zweiter Stelle waren 2024 Menschen aus den USA. Man könnte meinen, dass sie Trump davon laufen. Das ist wirklich neu und sehr besonders.

Normalerweise lagen Italien und Deutschland immer vorne mit dabei. Die Anzahl der Pilgerinnen und Pilger aus Deutschland iat aber gegenüber dem Vorjahr sogar eher leicht zurückgegangen. Sie liegt bei fast 24.000 Pilgerinnen und Pilger.
DOMRADIO.DE: Wie ist die Infrastruktur und die Unterstützung für Pilger, die besondere Bedürfnisse haben, also zum Beispiel Menschen im Rollstuhl?
Steger: Mit dem Rollstuhl ist es natürlich ein Abenteuer. Wenn man von dem klassischen Weg ausgehend, dem Camino del Norte, an der Küste entlang unterwegs wäre, wäre es eine schwierige Situation. Der Weg ist zum Teil voller Anstiege und schmaler Pfade. Es wundert mich, dass laut Statistik des spanischen Pilgerbüros in Santiago de Compostela 270 Menschen mit dem Rollstuhl in Santiago angekommen. Das ist absolut eine Leistung.
Man wird in die Statistik mit einberechnet bzw. man bekommt die Compostela, wenn man mindestens 100 Kilometer vor Santiago mit dem Pilgern angefangen hat. Es sind weniger Pilgerinnen und Pilger, die von weiter wegkommen. Die meisten bevorzugen kürzere Wege. Das heißt zum Beispiel ab Faria auf dem Camino Frances. Das sind dann noch genau 100 Kilometer bis Santiago. Da sind die meisten unterwegs. Ich weiß nicht, wie weit die Menschen von den insgesamt 270 mit Rollstuhl gegangen sind, aber es ist eine wahnsinnige Leistung.