DOMRADIO.DE: Warum tut das Wandern der Seele so gut?

Gudrun Titze (Wander- und Gesundheitscoach): Wir kommen einfach mal raus, raus aus der Wohnung, raus aus dem Alltag. Wir haben wieder die Möglichkeit, uns mit der Natur zu verbinden. Letztendlich kommt der Mensch aus der Natur, was er leider manchmal vergisst. Das ist die Möglichkeit, dort wieder einzutauchen, sich zu verbinden und die Farbe Grün in den Sommermonaten aufzunehmen. Grün ist eine Farbe, die heilsame Wirkung hat, das ist inzwischen nachgewiesen.
In den Wintermonaten ist das Tageslicht umso wichtiger. Wir sind viel drinnen, wir bekommen wenig Licht ab. Da kann eine Tageslichtdusche mit natürlichem Licht total gut tun. Wir sind im Hier und Jetzt, wenn wir draußen sind. Wenn wir in Gesellschaft wandern, kann das Wandern als verbindendes Element dienen. Wir kommen in Kontakt miteinander.
Alleine zu wandern, hat eine eigene Qualität. Wir kommen in die Stille, es fällt uns leichter, ruhig zu sein, wobei man das natürlich auch zu zweit machen kann. Wir haben keine Ablenkung oder weniger Ablenkungen und wir haben viel eher den Blick fürs Detail und können Faszination erleben. Letztendlich sind frische Luft und Bewegung ein kostenloses Wellnessprogramm.
DOMRADIO.DE: Köln ist eine Millionenstadt mit viel Verkehr, vielen Bausünden, vielen von Schnellstraßen zerschnittenen Parks und Wäldern. Wie schwer war es da, Wanderwege für die Seele aufzutun?
Titze: Die Touren, die wir in Köln gefunden haben, sind kleine Perlen. Man merkt kaum, dass man in der Metropole oder nahe einer Metropole unterwegs ist. Wenn ich zum Beispiel an den Worringer Bruch im Norden von Köln denke, ist das Idylle pur. Man kann lange Zeiten durchs Grün laufen, hat unter Umständen wenig Begegnungen.
Aber Sie haben völlig Recht. Die Stadt ist natürlich von Verkehr geprägt, das kann man nicht leugnen. Um dem Motto "Wandern für die Seele" treu zu bleiben, haben wir uns entschieden, dieses fantastische Umland, was Köln mit einer großartigen Vielfalt bietet, mit aufzunehmen. Alle Orte sind mit ÖPNV zu erreichen, sodass eine gute Sammlung mit kurzen Anfahrtswegen zusammengekommen ist.
DOMRADIO.DE: Bleiben wir erstmal auf Kölner Stadtgebiet und starten im Forstbotanischen Garten. Was macht den so anziehend?
Titze: Der Forstbotanische Garten liegt in Rodenkirchen und ist ein wahres Kleinod. Da finden sich Pflanzen und Bäume aus aller Welt, auf etwa 1,5 Hektar gibt es über 3.000 verschiedene Gehölzarten. Es ist zu jeder Jahreszeit ein echtes Erlebnis, diesen Park aufzusuchen. Sei es die japanische Kirsche oder die Azalee, wenn die blühen, ist das einfach wunderschön. Fächerahorn, Riesenmammutbäume - ich könnte endlos fortsetzen und würde kein Ende finden, was sich dort alles findet.
Viele kleine Pfade sind dort zu begehen. Mir persönlich ist es immer eine besondere Freude, nicht auf großen, ausgetrampelten Wegen zu gehen, sondern auch mal nicht zu wissen, was um die nächste Ecke wartet. Es gibt viele Bänke, sodass wir wirklich zur Ruhe kommen können. Das ist faszinierende Vielfalt auf kleinem Raum. Direkt angrenzend liegt der Friedenswald. Dort finden sich exotische Bäume aus der ganzen Welt. Gerade die Tour durch den Forstbotanischen Garten ist perfekt für den Feierabend geeignet.
DOMRADIO.DE: Sie laden auch in die Kunstfeldsiedlung in Kölln-Dünnwald ein. Was hat es mit dieser Siedlung auf sich?
Titze: Die älteste Arbeitersiedlung Kölns gehört zu Dünnwald und wurde im 19. Jahrhundert gegründet, damit Arbeiter aus einer nahegelegenen Chemiefabrik dort wohnen können. Das ist auch ein Kleinod, von Fachwerkhäusern geprägt, völlig abseits der Großstadt und doch zu Köln gehörig. Es ist umrundet von Wald und Naturschutzgebiet, ein ungewöhnlicher Ort in einer Großstadt.

Witzig ist eine originelle Toilettenanlage, die sogar unter Denkmalschutz steht. Die sogenannten Siebenzylinder sind das, absolut sehenswert. Ich will nicht zu viel verraten, das sollte man sich unbedingt anschauen. Man kann einkehren in der Waldschenke, auch ein Fachwerkhaus.
Auf dem Weg in die Kunstfeldsiedlung kommt man sich vor wie in der Wildnis. Man läuft durch das Naturschutzgebiet am Hornpottweg, man sieht Galloway-Rinder. Fantastisch, um zur Ruhe zu kommen.
DOMRADIO.DE: Haben Sie noch einen besonderen Geheimtipp für Köln, wo sich gut die Seele baumeln lässt?
Titze: Besonders nennenswert ist die Große Laache. Das ist ein Naturschutzgebiet, von Köln-Auweiler zu erreichen. Es liegt minimal hinter der Grenze zu Pulheim, aber man kann in Köln starten. Dort fließt der Pulheimer Bach, das ist ein romantisches Fleckchen Erde. Von dort kann man durch den Orrer Wald laufen. Man läuft über Feldlandschaften, kann Greifvögel beobachten - ein kleines, traumhaftes Gebiet. Es gibt einige Seen in der Umgebung, der Pulheimer See ist nicht weit.
Auch den Worringer Bruch kann ich wärmstens empfehlen. Das ist ein 8.000 Jahre alter Mäanderbogen des Rheins, wo man seine Ruhe finden kann.
DOMRADIO.DE: Eine ihrer Touren führt zum Kloster Knechtsteden in Dormagen. Was gibt es da zu entdecken?

Titze: Ich kann gar nicht alles aufzählen, was es da zu entdecken gibt. Die Klosteranlage stammt aus dem 12. Jahrhundert und ist vor allem geprägt durch die Basilika, die dazugehört. Ein wunderschöner Bau, auf den man zuläuft, wenn man vom Parkplatz oder von der Straße kommt. Es gibt einen hübschen Klosterladen, wo man allerlei schöne, fair gehandelte Sachen kaufen und auch Kaffee trinken kann. Es gibt einen alten Friedhof auf dem Gelände, originale Kunstobjekte. Auch die biologische Station vom Rheinkreis Neuss befindet sich dort, die bieten verschiedene Veranstaltungen an.

Das ist wirklich ein wunderbares Gelände, an das sich Wanderwege anschließen. Man läuft an Streuobstwiesen vorbei. Vor allem jetzt im April und Mai ist es traumhaft schön zur Blüte von Apfel- und Birnenbäumen.
DOMRADIO.DE: Den Jakobsweg kennt fast jeder, die Etappe zwischen Merten und Weilerswist wahrscheinlich eher nicht. Was macht diesen Abschnitt so reizvoll?
Titze: Dieser Abschnitt geht großteils durch ein geschütztes Waldgebiet, das ist vor allem an heißen Sommertagen eine Wohltat. Es gibt eine große Artenvielfalt, die Bechsteinfledermaus lebt dort zum Beispiel noch. Man tangiert Feuchtgebiete, manchmal abenteuerlich anmutend und perfekt, um Probe zu pilgern. Man läuft auch am Erft-Swist-Delta, das ist eine ganz andere Atmosphäre. Es ist ein sehr abwechslungsreicher Weg.
Wer Interesse hat Probe zu pilgern, kann das mit mir machen. Ich biete ein Pilgerwochenende an vom 27. bis zum 28. September in diesem Jahr. Da laufe ich mit einer kleinen Gruppe von maximal acht Teilnehmenden von Wermelskirchen nach Köln über Altenberg, wir übernachten in der Herberge vom Altenberger Dom.
DOMRADIO.DE: Würden Sie sagen, dass Pilgern das Wandern für die Seele per se ist?
Titze: Das kann man so grundsätzlich nicht sagen. Ich persönlich bin vor allem auf Jakobswegen unterwegs gewesen. Die laufen großteils durch schöne Gebiete, aber man kommt auch immer wieder durch Städte oder Industriegebiete. Man muss sich das vorstellen: Fast alle Länder Europas sind verbunden mit Santiago de Compostela. Das heißt, man kommt automatisch durch viele Städte. Diese bieten Übernachtungsmöglichkeiten.
Das Pilgern findet doch vor allem im Inneren statt. Man sagt, der Jakobsweg sei wie das Leben. Das kann strapaziös sein, das ist nicht immer nur Sonnenschein. Wer pilgert, hat oft einen tieferen Grund. Vielleicht hat er einen Trauerfall zu bewältigen oder ist in einer Umbruchphase. Deswegen würde ich sagen, Pilgern spielt sich vor allem im Inneren ab. Da kann man vielleicht sagen "Pilgern für die Seele".
DOMRADIO.DE: Kommen wir zurück aufs Wandern für die Seele. Besonders gut tut es, in die Weite zu blicken. Dazu bietet sich in Köln und Umgebung vor allem das Bergische Land an. Da haben Sie das Städtchen Overath herausgesucht. Warum?

Titze: Overath ist ein idyllisches Städtchen. Die Agger und die Sülz fließen durch das Gebiet, daher kann man neben dem Wandern auch Paddeln oder Radfahren. Es ist ein recht ländliches Gebiet fernab des Großstadttrubels und ein wahres Wanderparadies. Darüber hinaus gibt es verschiedene Kulturangebote bis hin zur Industriekultur. Wer gerne Kirchen besichtigt, wird auf seine Kosten kommen.
DOMRADIO.DE: Mit welcher Haltung schafft man es am ehesten, sich von einer Wanderung seelisch beflügeln zu lassen?
Titze: Ich rate, offen für die Naturphänomene zu sein. Sei es das Vogelgezwitscher oder ein romantischer Wald, durch den man läuft. Man sollte sich wetterunabhängig machen. Von drinnen sieht das Wetter oft viel schlechter aus, als wenn man draußen ist. Auch da kann ich wieder das Tageslicht erwähnen. Wer mal durch einen Wald gelaufen ist, in dem es gerade geregnet hat oder noch regnet, der wird merken, was für fantastische Luft einem dort entgegenströmt.
Vor allem möchte ich allen Menschen den Tipp geben, nicht zu hetzen. Wenn ich selber wandere, sehe ich oft Gruppen, die in meinen Augen durch den Wald rennen, sich alle unterhalten und hetzen. Ich bin dafür, langsamer zu gehen, vielleicht sogar zu schlendern und in Stille zu gehen, Pausen zu machen und vielleicht auch das Smartphone komplett auszulassen. Im besten Falle zu staunen, wie ein Kind das noch kann.
Das Interview führte Hilde Regeniter.