DOMRADIO.DE: Was stört Sie denn an dem Gottesdienst?
Dorothee Schaper (Evangelische Pfarrerin und Studienleiterin der Melanchton-Akademie): Ich möchte zunächst sagen, dass ich mich natürlich immer freue, wenn sich Menschen unter Gottes Segen stellen möchten und dafür in einen Gottesdienst gehen. Da geht meine Seele auf. Das freut mich.
Befremdlich finde ich an einem Gottesdienst, der sich speziell an Soldaten und Soldatinnen wendet, dass das in diesen Zeiten meiner Meinung nach eine Engführung ist. Ich glaube, wir sind gerade jetzt gefragt, auch an alle anderen Gruppen zu denken, die den Segen Gottes und den Schutz umso mehr brauchen.
Wir leben in Zeiten des Krieges und müssen jetzt daran denken, was mit den Menschen ist, die vom Krieg betroffen sind: Die geflohenen Mütter, die queeren Personen, die Gewalterfahrungen gemacht haben und aufgrund dessen nicht in den Krieg ziehen, die Deserteure und Deserteurinnen, die Kinder, die sozusagen immer Opfer des Krieges werden.
All diese Gruppen verdienen genauso auch einen Gottesdienst, der sie unter Gottes Segen und Schutz stellt. Das wünsche ich mir.
DOMRADIO.DE: Im Flyer des Kölner Friedensforums heißt es: Wer Soldaten segnet, erleichtert deren Gewissen. Das heißt, Soldaten haben nach Ihrem Verständnis per se ein schlechtes Gewissen. Ist dieser Blick nicht ein bisschen einseitig?
Schaper: Meine Kritik richtet sich überhaupt nicht an den einzelnen Soldaten, die einzelne Soldatin. Natürlich ist es immer eine persönliche Entscheidung. Jeder und jede muss wissen, ob er oder sie diesen Dienst an der Waffe vollziehen möchte oder nicht? Das ist eine Haltungsfrage. Meine Kritik richtet sich darauf.
Wir müssen die Vielfalt und die Diversität dieser Gesellschaft wahrnehmen und allen die Möglichkeit geben, sich unter Gottes Segen stellen zu können.
Und es ist und bleibt für mich befremdlich, wenn dort nur uniformierte Männer und Amtspersonen in verschiedensten Talaren in den Dom einziehen und die Liturgie vollziehen. Da fehlt etwas, da ist etwas nicht in Balance, da ist etwas nicht im Lot.
DOMRADIO.DE: Es gibt aber auch Kritik an der Politik, zum Beispiel für das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro, das für die Bundeswehr angesichts fehlender Helme, kaputter Panzer und internationaler Häme freigegeben wird. Ist es angebracht, dort Geld zu investieren?
Schaper: Ich glaube, diese Entscheidung ist gefallen, weil sie lange angestanden hat. Trotzdem ist das ein Schock, der uns in die Glieder gefahren ist, dass diese Menge von Geld in die Logik der Auseinandersetzung mit Waffen geht.
Als Christen und Christinnen müssen wir - da bin ich ganz bei der Präses der EKD, Annette Kurschus - immer wieder auf Verhandlungen setzen, auf die geistesgegenwärtige Macht des Wortes und das sozusagen in die Waagschale werfen.
Insofern ist das natürlich erschütternd, dieses Geld in die Logik der Auseinandersetzung mit Waffen zu setzen.
DOMRADIO.DE: Wie stehen Sie zu der Frage, ob Deutschland Kampfpanzer an die Ukraine liefern sollte?
Schaper: Die Entscheidung der Bundesregierung, Kampfpanzer zu liefern, ist eine erschütternde Entscheidung. Wir sind alle in einer Dilemma-Situation. Es gibt nicht die eine richtige und gute Lösung. An allem, was wir machen, ist immer etwas Falsches.
Aber wir als Christinnen und Christin müssen darauf setzen, die Logik des Krieges zu hinterfragen. Das ist eine Haltungsfrage, die auch in Zeiten des aktiven Krieges gefragt ist, aber vor allen Dingen auch grundsätzlich.
DOMRADIO.DE: Wie kann man denn diesen Krieg aus Ihrer Sicht stoppen? Der Appell des Papstes ist ja auch schon verhallt.
Schaper: Ich glaube, es geht in diesen Zeiten nicht darum, die reine Lehre des Pazifismus zu predigen, sondern es geht darum, dass wir uns alle in Frage stellen, dass wir alle davon ausgehen, dass es gerade kein absolutes Richtig und Falsch gibt.
Aber es gibt immer wieder die Möglichkeiten, auszuloten und zu gucken, wie man aus dem Konflikt herauskommen kann und nicht auf die Logik des Sieges und des Besiegt Werdens zu setzen. In gewaltfreier Aktion und Theorie gibt es immer ganz viel dazwischen, zwischen dem Sieger und dem Besiegten.
Das auszuloten und hierfür Handlungsmöglichkeiten und glaubwürdige, starke Worte zu finden, ist unsere Aufgabe.
Das Interview führte Tobias Fricke.