Pfarrer Kossen mahnt Verbesserungen für Arbeitsmigranten an

"Wie eine Geisterarmee"

In München findet der internationale Kongress Renovabis statt. Großes Thema ist die Situation von Arbeitsmigrantinnen und -migranten. Sozialpfarrer Kossen plädiert für Verbesserungen der Lebenszustände und eine faire Entlohnung.

Pfarrer Peter Kossen / © Lars Berg (KNA)
Pfarrer Peter Kossen / © Lars Berg ( KNA )

DOMRADIO.DE: Spätestens nach den Corona-Ausbrüchen im Jahr 2020 ist der Schlachtkonzern Tönnies zum Synonym für schlechte Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie geworden. Ist das ein unrühmlicher Einzelfall oder kann man schon feststellen, dass die Arbeitsbedingungen für Osteuropäer hier in Deutschland meistens schlecht sind?

Pfarrer Peter Kossen Protest / © Privat (DR)
Pfarrer Peter Kossen Protest / © Privat ( DR )

Peter Kossen (Sozialpfarrer in der Kirchengemeinde Seliger Niels Stensen in Lengerich): In viel zu vielen Fällen sind sie schlecht. Tönnies war dafür ein Synonym. Tönnies ist ein Skandal.

Aber auch in anderen großen Schlachthöfen, bei den Paketdiensten, in der Hotellerie, in der häuslichen 24-Stunden-Betreuung oder bei der Gebäudereinigung gibt es einfach viel zu viele Situationen, in denen die Branchen darauf setzen, dass sie osteuropäische Arbeitsmigrant:innen ausbeuten können.

DOMRADIO.DE: Die Politik hatte damals angekündigt zu reagieren. Leih- und Werksverträge sind inzwischen verboten, Arbeitstage mit mehr als zehn Arbeitsstunden sind auch verboten. Hat das die Lage maßgeblich verbessert?

Kossen: Dieses Arbeitsschutzkontrollgesetz betrifft bisher leider nur Schlachtung und Verlegung. Die Leute, die in der Gebäudereinigung tätig sind, in den Großschlachtereien oder in der Verpackung, in der Logistik, die betrifft es alle nicht.

Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf einer Intensivstation / © Harald Oppitz (KNA)
Hand einer Pflegerin liegt auf dem Handrücken eines Patienten auf einer Intensivstation / © Harald Oppitz ( KNA )

Da und in vielen anderen Bereichen kann man ganz legal weiter ausbeuten.

Dieses Gesetz ist ein wichtiger Anfang und ein wichtiges Zeichen für die Gesetzgeber in Deutschland. Aber es ist auch nicht mehr als ein Anfang. Es müsste ausgeweitet werden auf viele andere Branchen, um diese massenweise Ausbeutung, diese massenweisen Menschenrechtsverletzungen zu unterbinden.

DOMRADIO.DE: Auf dem Ranovabis-Kongress, der diesen Mittwoch in München beginnt, soll es auch um die Auswirkungen in den Herkunftsländern gehen. Welche Folgen zieht das nach sich, wenn so viele Menschen aus Rumänien, aus Polen oder aus Bulgarien nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten?

Kossen: Auf dem Kongress ist heute ein Arzt aus Alba Iulia in Rumänien vertreten. Er beschreibt die Folgen sehr deutlich. Er sagt, dass die Alten- und Krankenpflegekräfte, die aus Rumänien kommen, gut ausgebildet sind, zu großen Zahlen in den Westen gehen. Wer will es ihnen auch verdenken? Diese Leute fehlen dann vor Ort.

Zum Beispiel in der Alten- und Krankenpflege und in vielen anderen Berufen. Das ist auch eine Art von Kolonialismus. Das beruht natürlich auf dem Sozialgefälle innerhalb der EU. Das ist verheerend für den Aufbau einer funktionierenden Wirtschaft oder auch einer funktionierenden Demokratie in den Herkunftsländern. 

Pfarrer Peter Kossen

"Sie verdienen möglicherweise mehr als in Ihrer Heimat, aber setzen dabei ihre Gesundheit aufs Spiel."

DOMRADIO.DE: Die Menschen verdienen hier trotz allem deutlich mehr als in ihrer Heimat. Das Geld schicken sie meist ihren Familien nach Hause. Das ist doch im Grunde ein positiver Aspekt der Arbeitsmigration. Wie sehen Sie das?

Kossen: Ich halte viel von dem Satz "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort" oder auch "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit auf der gleichen Autobahn".

Es gibt überhaupt gar keinen vernünftigen Grund, warum Menschen, nur weil sie aus Ost- oder Südosteuropa kommen, hier weniger Geld verdienen sollen für die gleichwertige Arbeit, die ihre Kolleginnen und Kollegen verrichten, die hier in Deutschland groß geworden sind.

Arbeiter in der Fleischindustrie (shutterstock)

Mein Bruder ist Arzt und er beschreibt mir das sehr nachdrücklich, was das mit Menschen macht, wenn sie in solchen Tretmühlen arbeiten. Sie verdienen möglicherweise mehr als in Ihrer Heimat, aber setzen dabei ihre Gesundheit aufs Spiel.

Im Grunde genommen zerstören sie häufig sogar Ihre Gesundheit und leben in menschenunwürdigen Unterkünften und werden dafür abgezockt. Sie leben in einer Parallelwelt wie eine Geisterarmee hier in unserer Gesellschaft, werden nicht wahrgenommen und auch nicht wertgeschätzt.

Der Preis ist viel zu hoch für das, was sie hier dann doch vielleicht mehr verdienen als in ihrer Heimat. 

Das Interview führte Tobias Fricke. 

 

Quelle:
DR