Pfarrer aus Dormagen verhüllt Kreuze

"Ich frage mich: Was würde Jesus dazu sagen?"

Auch Jesus würde sich schämen, findet Klaus Koltermann. Die Kruzifixe in den Kirchen seines Seelsorgebereichs hat er deshalb mit einem schwarzen Tuch verdeckt - als Reaktion auf die Ergebnisse des Münchner Missbrauchsgutachtens.

 © Seelsorgebereich Dormagen-Nord (privat)
© Seelsorgebereich Dormagen-Nord ( privat )

Die Erklärung von Benedikt XVI. zum Münchner Gutachten

In einer Stellungnahme hatte der emeritierte Papst Benedikt XVI. Anfang vergangenen Jahres eine wichtige Aussage seiner Einlassung aus dem Münchner Missbrauchsgutachten korrigiert. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert die von seinem Privatsekretär, Erzbischof Georg Gänswein, gegenüber KNA abgegebene Stellungnahme in vollem Wortlaut:

Münchner Missbrauchsgutachten, Westpfahl, Spilker, Wastl, WSW / © Sven Hoppe/dpa-POOL (KNA)
Münchner Missbrauchsgutachten, Westpfahl, Spilker, Wastl, WSW / © Sven Hoppe/dpa-POOL ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie reagiert, als Sie von den Ergebnissen des Gutachtens aus München gehört haben?

Klaus Koltermann (Pfarrer aus Dormagen): Ich war sehr schockiert und fassungslos darüber. Es ist ja mittlerweile das vierte Gutachten nach Aachen, Berlin, Köln und jetzt München. Was mich zusätzlich erschüttert hat, ist, dass es eine neue Dimension erreicht hat, indem es jetzt auch den emeritierten Papst Benedikt betrifft. Da kommt für mich sehr darauf an: Okay, einer wird beschuldigt, wie geht er mit diesem Vorwurf um? Gesteht er Schuld ein oder versucht er sich da herauszureden? Das hat für mich noch einmal die Erschütterung ausgemacht, einfach zu sagen, nichts davon gewusst zu haben. Wir wissen im Nachhinein, dass er die Aussage korrigiert hat, aber das macht die Sache noch mal schlimmer, indem er einfach sagt, er war in der Sitzung und hat das gar nicht weiter wahrgenommen. Es kommen neue Ausflüchte. Das hinterlässt natürlich bei allen dann doch die Frage: Wie wird mit Schuld innerhalb der Kirche auf dieser Ebene umgegangen?!

DOMRADIO.DE: Sie haben in Ihren Kirchen Jesus-Figuren am Kreuz mit schwarzen Tüchern verdeckt. Warum ist das in Ihren Augen ein angemessenes Zeichen?

Koltermann: Zunächst einmal feiern wir ja an Karfreitag, dass Jesus das Kreuz getragen hat. Das bedeutet, dass er Solidarität gezeigt mit dem Leid der Opfer hat, mit allen Menschen von Gewalt oder auch mit allen Kranken. Das ist ein wichtiges Zeichen. Außerdem verbinden wir mit dem Kreuz, dass wir immer die Aussicht auf Erlösung und auf Auferstehung. Es ist ein Zeichen der Erlösung und auch der Verbundenheit mit den Opfern.

Normalerweise wird zwei Wochen vor Ostern ein lilafarbenes Tuch an die Kreuze angebracht. Das schwarze Tuch, das nun über die Kreuze gehängt wird, ist für mich ein Zeichen der Trauer. Es ist es ein Zeichen des Schmerzes, ein Zeichen der Solidarität mit allen Opfern, aber auch ein Zeichen von Jesu Scham gegenüber den Tätern und Vertuschern bezüglich des Umgang mit Schuld. Ich frage mich: Wie würde er jetzt reagieren?

Pfarrer Klaus Koltermann

Ich erlebe durch die ständigen Gutachten, dass die frohe Botschaft Jesu überhaupt keine Chance mehr hat durchzudringen.

Und ich glaube alles, was wir jetzt in der Kirche an froher Botschaft verkünden wollen, wird eindeutig durch diesen Missbrauch verdunkelt. Dafür steht das schwarze Tuch. Es ist praktisch eine Verdunkelung. Ich erlebe durch die ständigen Gutachten in der neuen Dimension, dass die frohe Botschaft Jesu überhaupt keine Chance mehr hat durchzudringen. Ich erlebe Kirche mit den Verantwortlichen sogar so, dass wir kommen gar nicht aus dieser Karfreitag-Situation heraus. Ich warte darauf, dass die Kirche aufsteht und reinen Tisch macht, dass also auch die Verantwortlichen über die Scham hinausgehen, über das Bedauern, dass sie tatsächlich dann auch sagen: Ja, ich habe Schuld begangen. Das wäre ja auch eine innere Freiheit. Ich glaube, das würde Jesus auch erwarten. Ich verkünde ihn jedenfalls auch so in den Kirchen. Jetzt erlebe ich, dass das bei dem eigenen Personal nicht der Fall ist.

DOMRADIO.DE: Welche Reaktionen bekommen Sie auf die verhüllten Kruzifixe?

Koltermann: Aus den Gemeinden bekomme ich positive Reaktionen. Ich mache das zum Beispiel an zwei Familien-Familiengottesdiensten mit Kommunionseltern und Kindern fest. Da habe ich habe den  Beweggrund für die Aktion erklärt. Die Besucher meinten nachher: da sehen wir das Kreuz ganz anders und in einer ganz neuen Dimension. Sie haben natürlich auch ihre Kinder vor Augen und fragen sich natürlich: - es wird immer zu Präventionsschulungen eingeladen - aber was ist eigentlich mit der Aufarbeitung? Wie gehen wir damit um?

Es gibt auch zwei kritische Stimmen, die eindeutig auch sagen, sie können es nicht nachvollziehen. Da habe ich so die Wahrnehmung, dass die Kritik sich mehr darauf bezieht: Ja, das können wir nachvollziehen, in dem Sinne, dass Vertuschung nicht zu akzeptieren ist. Aber das gehört jetzt nicht in die Kirche hinein. Wobei ich natürlich auch wieder dann sage: Wir haben eine Aufgabe. Auf welche Seite stellen wir uns denn als Priester, als Seelsorger? Ich stelle mich auf die Seite der Schwachen, der Benachteiligten. Da komme ich wieder auf die Idee: Was hat Jesus denn eigentlich verkündet? Er hat sich immer auf die Seite der Schwachen gestellt. Ich sehe da schon meinen Platz an der Seite der Opfer.

Pfarrer Klaus Koltermann

Was hat Jesus denn eigentlich verkündet? Er hat sich immer auf die Seite der Schwachen gestellt.

DOMRADIO.DE: Übermorgen will das Erzbistum München zu dem vorgestellten Gutachten Stellung beziehen. Was ist in Ihren Augen da wichtig?

Koltermann: Wenn es nur bei einem Bedauern bleibt oder auch, dass man sagt: Ja, wir werden diese administrativen Fehler abstellen - dann ist mir das zu wenig. Es muss schon auch mit persönlichen Konsequenzen verbunden sein, wenn ich Kardinal Marx erinnere, der vor Monaten ja auch schon mit einem zweiten Rücktritt geliebäugelt hat, dann sollte er das tun. Ich würde aber auch vom emeritierten Papst Benedikt ein ganz klares Zeichen erwarten und sich entschuldigt. Manche gehen noch weiter und sagen, er dürfte gar nicht mehr den Titel Papst tragen. Es kann jedenfalls nicht nur bei schönen Kosmetik-Korrekturen bleiben. Es muss Konsequenzen haben.

Pfarrer Klaus Koltermann

Es muss Konsequenzen haben.

Das Interview führte Tobias Fricke.

Quelle:
DR