Pater Nikodemus Schnabel über die Karwoche in Jerusalem

"Ruhe kehrt in die verrückte Stadt ein"

Jerusalem ist in der Karwoche im positiven Ausnahmezustand. Im domradio.de-Interview erklärt Pater Nikodemus Schnabel von der Dormitio-Abtei, wie er diese besonderen Tage verbringt.

Pater Nikodemus Schnabel (KNA)
Pater Nikodemus Schnabel / ( KNA )

domradio.de: Inwiefern spüren Sie, dass diese Karwoche etwas Besonderes ist in dieser ohnehin schon besonderen Stadt?

Pater Nikodemus Schnabel (Dormitio Abtei in Jerusalem): Der emotionale und wirklich liturgische Auftakt ist die Palmsonntagsprozession. Es ist so eine Mischung aus Karneval in Rio und ein bisschen christlicher Stolz. Es ist vielleicht auch etwas irritierend, weil es wird schon das österliche Halleluja angestimmt, was ja eigentlich erst in der Osternacht erklingt, aber die Freude ist eben ziemlich groß. Mehrere Tausende bewegen sich da von Bethphage den Ölberg hinunter nach St. Anna und damit ist diese wichtige Zeit eingeläutet. Man sieht dann auch, wieviele Pilger unterwegs sind. Einerseits wünsche ich mir als Ökumeniker, dass wir Ostern mit allen Christen - Westen und Osten - zusammenfeiern, aber gerade dieses Jahr sieht man wie entspannt es ist, wenn es getrennt ist. Dieses Jahr feiern die Ostchristen erst eine Woche später. Das liegt daran - das ist auch eine Realität, die man nur in Jerusalem erlebt - dass die Juden am Karfreitag ihren Pessah-, ihren Sederabend feiern. Das heißt neben den ganzen Christen in der Stadt, haben wir auch unglaublich viele jüdische Pilger, die zu dem großen Pessah kommen und die Ostkirchen feiern immer erst nach Pessah Ostern, deswegen eine Woche später. Damit entzerrt sich der christliche Pilgerbetrieb. Momentan dominieren die Pilger des Westens. Nächste Woche werden die Pilger des Ostens die Stadt dominieren.

domradio.de: Welche Orte sind es, an denen sich die Gläubigen und Touristen vor allem drängen?

Pater Nikodemus Schnabel: Natürlich die Grabes- und Auferstehungskirche ist natürlich der Ort, wo gerade Karfreitag, Ostern stattgefunden hat. Ein wichtiger Ort sind auch wir, die Dormitio, wir sind nämlich in unmittelbarer Nachbarschaft zum Abendmahlssaal. Der Gründonnerstag ist für viele ein Pflichttermin zu uns zu kommen. Es ist traditionell ein unglaublich gut besuchter Gottesdienst bei uns. Wir haben auch die Fußwaschung, wo wir zwölf Aposteln die Füße waschen. Das ist eine bunte Mischung aus Leuten aus unserer Gemeinde, aber auch sehr ökumenisch. Ich werde auch dieses Jahr wieder versuchen, einen äthiopischen Mönch, einen koptischen, einen syrischen und einen griechischen zu bekommen. Wenn wir noch nicht gemeinsam zum Altar gehen können, können wir uns aber schon die Füße waschen. Unser Abt wäscht also verschiedenen Konfessionen die Füße und gerade die Ostchristen nehmen das sehr ernst. Das ist mehr als nur nette Höflichkeit, das ist ein starkes Zeichen.

domradio.de: Für Sie sind die biblischen Schauplätze quasi Alltag - gibt es trotzdem noch ganz bestimmte Rituale, denen Sie selbst im Laufe der Karwoche noch nachgehen?

Pater Nikodemus Schnabel: Gerade der Gründonnerstagabend ist sehr schön. Nach der Liturgie ist in Jerusalem eine ganz eigene Atmosphäre. Man kann eben nach Gethsemane gehen, in diese Kirche der Todesangst Jesu. Man kann nach Sankt Peter in Gallicantu, wo der Tradition nach Jesus verhaftet wurde. Das sind Orte, wo sehr sehr viele Pilger nachts da sind und beten. Das ist mit Kerzen erleuchtet, es ist eine sehr sehr ruhige Atmosphäre. Es findet da nichts statt, sondern man erlebt einfach sehr sehr viele Menschen, Hunderte aus allen Nationen schweigend, in Gallicantu sitzend, da draußen auf den Stufen oder eben auch beim Ölberg unten am Fuß. Das finde ich ist eine ganz schöne starke Atmosphäre, wo diese unruhige verrückte Stadt auf einmal so ein bisschen zeigen kann: Sie kann auch ruhig, sie kann auch meditativ, sie kann auch ernst.

Das andere ist für mich und für viele andere Ordensleute der Karfreitagabend. Nicht diese spektakuläre Prozession auf der Via Dolorosa, wo die Schauspieler mit Kunstblut sind - da gehen wir eigentlich nicht hin. Da trifft man alles, nur keine Einheimischen. Für uns ist der Höhepunkt der Karfreitagabend, diese Grablegungszeremonie, wo Jesus vom Kreuz abgenommen, gesalbt und ins Grab gelegt wird. Da kommen wirklich alle Ordensleute, Dominikaner, Jesuiten, Kapuziner, Franziskaner, zusammen. Das ist so der Punkt, wo wir alle selbst keine Liturgie haben, wo man wirklich auch mal gemeinsam feiert. Sonst haben wir ja alle unsere verschiedenen Kirchen, verschiedenen Sprachen, wir sind ja alle immer eingebunden, aber das ist so etwas, wo wir alle zusammen kommen. Das ist für mich so der persönliche Höhepunkt und dann natürlich der Höhepunkt im Kloster: die Osternacht um drei Uhr. Das ist natürlich nicht zu toppen!

Das Interview führte Tobias Fricke.

 

Quelle:
DR