Pastoraltheologe Michael Sievernich blickt auf den WJT zurück

"Eine religiöse und politische Botschaft"

"Die Kirche rechnet mit euch! Der Papst rechnet mit euch!" - Mit diesem Appell von Papst Franziskus endete der Weltjugendtag. Im domradio.de-Interview spricht Pastoraltheologe Pater Sievernich über die Aufbruchstimmung beim WJT.

Papst Franziskus beim WJT in RIo / © Agenzia Romano Siciliani/S/Crist (KNA)
Papst Franziskus beim WJT in RIo / © Agenzia Romano Siciliani/S/Crist ( KNA )

Der Jesuitenpater Michael Sievernich ist Professor für Pastoraltheologie an der Universität Mainz und an der Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt.

domradio.de: Als Konsequenz des Weltjugendtages hofft Franziskus auf eine Aufbruchstimmung - nicht nur in Rio, sondern auch in den Diözesen. Ist das lateinamerikanisches Temperament oder steckt da eine ernstzunehmende Botschaft hinter?
Sievernich: Ich denke, es ist beides. Es ist auf der einen Seite natürlich das lateinamerikanische, insbesondere das brasilianische Temperament, das da zum Zuge kam, was man auch gut an der Küstenstraße zur Copacabana sehen konnte, direkt am Strand. Also die Aufbruchstimmung  der lateinamerikanischen Jugend, die man ja auch in den Protesten vor einigen Wochen gesehen hat.

Und es ist ganz klar auch ein päpstliches Programm. Er möchte der Jugend begegnen und sie zugleich zum Aufbruch ermuntern, zum Rebellentum, gegen den Strom zu schwimmen, sich nicht alles gefallen zu lassen. Es ist auf der einen Seite eine ganz klare religiöse und eine ganz klare politische Botschaft. 
 

domradio.de: Die Kirche in Lateinamerika hat trotz aller Euphorie der vergangenen Tage mit großen Problemen zu kämpfen. Welche Probleme sind das?
Sievernich: Es sind allgemein die Probleme der Gesellschaft, das heißt, insbesondere Brasilien und auch die anderen Länder sind Länder im Umbruch, die mit großen sozialen Problemen zu kämpfen haben. Da liegt auch die Betonung des Papstes, auf den sozialen Problemen, auf der Begegnung mit den Armen. Er war in einem Armenviertel, in einer Favela.

Und auf der anderen Seite hat die Kirche ihre speziellen Probleme: Dass sehr viele, gerade in Brasilien, aber auch in anderen Ländern, zu den Pfingstgruppen, den pentecostalen Gruppen, übergehen - obwohl dort auch die Stabilität nicht sehr groß ist, viele kommen dann auch wieder zurück. Also es ist eine Umwandlung der religiösen Landschaft Lateinamerikas, es ist nicht mehr der rein katholische Kontinent, wie man ihn sich mal vorgestellt hatte, sondern es ist vieles, auch religiös, in Bewegung gekommen. Und hier will der Papst durchaus Zeichen setzen.
 

domradio.de: Ein wichtiger Meilenstein, um diesen Problemen zu begegnen, war die Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe 2007 in Aparecida, wo der Papst jetzt auch während des Weltjugendtages war. Was waren die Ergebnisse dieser Versammlung?
Sievernich: Die Ergebnisse der großen Generalverammlung von Aparecida 2007, die ja von Papst Benedikt damals noch eröffnet wurde, legen den Schwerpunkt darauf, dass Lateinamerika jetzt selber missionarisch werden soll. Also gewissermaßen nicht nur alles vorgeben lassen soll, sondern selber sagt - das gilt insbesondere für die jungen Leute - ihr habt die Aufgabe, die Botschaft des Evangeliums weiter zu tragen, und ihr könnt euch nicht gewissermaßen ausruhen auf 500 Jahren Geschichte, sondern jetzt geht es los. Interessanterweise war ja auch damals Kardinal Bergoglio bei der Redaktion des Dokumentes sehr stark involviert, und ich denke, darauf nimmt er auch heute Bezug.

domradio.de: Auch während des Weltjugendtages ging der Papst immer wieder auf dieses Dokument ein. Kann man das Schreiben als eine Art Kompass von Franziskus' Pontifikat bezeichnen?
Sievernich: Das könnte man durchaus, vor allem, was den missionarischen Aufbruch angeht. Und was so einige Leitideen angeht, die offensichtlich und versteckt in dem Dokument vorkommen, zum Beispiel die Betonung der Großstädte. Er ist selber ein Großstädter, kommt aus Buenos Aires, der Weltjugendtag war in einer Megacity, in Rio de Janeiro - also das Thema der Großstädte. Lateinamerika ist der verstädterdste und katholischste Kontinent, wenn man so will.

Ein anderes Thema ist die Freundschaft, ein Motiv, das sich da durchzieht. Die Freundschaft mit Jesus, das war auch ein Thema des Weltjugendtages, die Freundschaft mit den Armen, die Freundschaft aller Völker untereinander, also die Internationalität des Weltjugendtages, also solche Motive findet man schon in Aparecida und die kamen auch beim Weltjugendtag zum Tragen.
 

domradio.de: Das sind ja in gewisser Weise auch Motive der Theologie der Befreiung, die ja eine große Bedeutung für Lateinamerika, hat aber auch immer wieder für Spannungen mit dem Vatikan gesorgt. Wird sich an diesem Verhältnis unter Franziskus etwas ändern?
Sievernich: Ich denke, an diesem Verhältnis wird sich etwas ändern. Papst Franziskus war kein Befreiungstheologe, weil er überhaupt kein Fachtheologe ist, sondern Seelsorger, aber er war Vertreter einer befreienden Pastoral, so könnte man es vielleicht sagen. Und ich denke, dass die alten Schlachten der siebziger und achtziger Jahre, die damals mit Leonardo Boff, Gustavo Gutierres und anderen geschlagen wurden, dass die der Vergangenheit angehören, und dass ein recht verstandenes Verständnis von Befreiung jetzt vorherrscht.

Eine Befreiung, die ja tatsächlich eine religiöse Dimension hat: Befreiung vom Bösen, von der Korruption, von der Sünde, und auch eine politische Befreiung von Systemen der Ungerechtigkeit beinhaltet. Ich glaube, dass das jetzt eine neue, aber geänderte Rolle spielt, zum Beispiel auch die Tatsache, dass er den Erzbischof Romero von El Salvador, der damals ermordet wurde, heiligsprechen möchte - was allerdings schon unter Papst Benedikt angefangen hat. 
 

(Das Interview führte Monika Weiß.)


Quelle:
DR