Pariser Kardinal Andre Vingt-Trois wird 80

Bald ein neuer Papstwähler für Frankreichs Hauptstadt?

Der große Kardinal Lustiger war sein Ziehvater. Und mit überlegten Statements und Ironie hatte er selbst Profil: Andre Vingt-Trois leitete die Kirche in Paris und Frankreich – bis ihn eine neurologische Krankheit ausknockte.

Autor/in:
Alexander Brüggemann und Franziska Broich
Andre Vingt-Trois / © Corinne Simon (KNA)
Andre Vingt-Trois / © Corinne Simon ( KNA )

Frankreichs Präsidialamt stolperte zu Beginn über den ungewöhnlichen Namen des Pariser Erzbischofs: Andre Armand Vingt-Trois, übersetzt "Andreas Hermann Dreiundzwanzig". Es schrieb den Namen in einem Videoclip in römischen Ziffern "Kardinal XXIII". Doch nach diesem ersten Fauxpas gab es fortan keine Probleme mehr; Vingt-Trois blieb Vingt-Trois. Nun wird er am Montag (7. November) quatre-vingt: 80 Jahre alt.

Nicht länger Papstwahlrecht

Mit Erreichen dieser Altersgrenze verliert der Pariser Kardinal aus sein Recht, den künftigen Papst mitzuwählen. Für das kirchenpolitische Tableau kann das bedeuten: Sein Nachfolger Laurent Ulrich (71) könnte nun bald von Papst Franziskus auch das Kardinalsbirett erhalten - wie es für den Pariser Amtsträger eigentlich traditionell ist; allerdings sind zwei Papstwähler aus einem Bistum äußerst unüblich. Sogar wenn es sich um Paris handelt.

Vingt-Trois ist ein Kind aus Frankreichs Hauptstadt. Am 7. November 1942 geboren, besuchte er dort auch die Schule und später ein Priesterseminar. Anschließend leistete er seinen Militärdienst in Deutschland und wurde 1969 zum Priester geweiht. Er arbeitete in Pariser Pfarreien und in der Banlieue, war Generalvikar und Weihbischof - alles in Paris.

Als Weihbischof wirkte Vingt-Trois an jenem Erneuerungsprozess mit, der 1997 zum Erfolg des Weltjugendtags in Paris führte. Er war überzeugt, dass die Kirche in der von Laizität und zunehmender Säkularisierung geprägten Gesellschaft Frankreichs nicht abseits bleiben dürfe; sie müsse versuchen, in einem Dialog Nichtglaubende und Zweifelnde zu überzeugen.

Erzbischof von Paris und Kardinal

Nach sechs Jahren als Erzbischof von Tours übertrug Papst Johannes Paul II. (1978-2005) Vingt-Trois als eine seiner letzten Amtshandlungen 2005 den Bischofsstuhl von Paris - einen der bedeutendsten in der katholischen Weltkirche, in der gleichen Liga wie Mailand oder Mexiko, New York oder Wien. Er löste Kardinal Jean-Marie Lustiger (1926-2007) ab, als dessen Ziehsohn er galt; in seinen Kaplansjahren in den frühen 70er Jahren arbeitete er in Lustigers Pariser Pfarrei Sainte-Jeanne de Chantal. Nach Lustigers Tod sagte Vingt-Trois, er habe "einen Vater, einen Bruder und einen Freund" verloren.

2007 wurde Vingt-Trois selbst zum Kardinal ernannt, leitete von 2007 bis 2013 die Französische Bischofskonferenz. Seine Ironie kam nicht immer gut an, und sein entschiedenes Auftreten machte ihm nicht nur Freunde. Ungeschminkt, aber überlegt nahm Vingt-Trois immer wieder Stellung zu politischen Fragen: etwa zu Embryonenforschung, Abtreibung oder Asylpolitik.

Besonderes Augenmerk auf Thema Familie

Ein Steckenpferd war ihm das Thema Familie. Er äußerte sich zu Abtreibung, Ehe, Leihmutterschaft und Sterbehilfe, verfasste mehrere Bücher. Heftig, aber erfolglos protestierte er gegen die Einführung der "Homo-Ehe" unter Präsident Francois Hollande. 1995 wurde Vingt-Trois in den Päpstlichen Familien-Rat berufen.

Nicht nur die Missbrauchsskandale in der französischen Kirche, auch die Pariser Terroranschläge vom 13. November 2015 fielen in seine Amtszeit. Vingt-Trois sah sie als Angriff auf jene Werte, für die auch er mit der Kirche stehe. Frankreichs Gesellschaft müsse sich die Frage stellen, wie sich junge Menschen so entwickeln können, dass sie sich für Fanatismus interessieren. Sozialer Ausschluss und Schwierigkeiten bei der Integration spielten eine Rolle.

Nach der Ermordung des Priesters Jacques Hamel in Saint-Etienne-du-Rouvray im Sommer 2016 mahnte Vingt-Trois zu Zusammenhalt und Besonnenheit. "Die Falle, der wir uns nun ausgesetzt sehen, besteht gerade darin, dass wir aufeinander losgehen und den falschen Gegner ins Visier nehmen", sagte er. Ziel solcher Gewaltakte sei, Hass zu schüren und Gewalt zu banalisieren. Es gebe keine Antwort und keine rationalen Erklärungen auf barbarische Taten. Wichtig sei, so der Kardinal, Vertrauen in die Zukunft zu schaffen.

Altersbedingter Rücktritt

2017 wurde Vingt-Trois mit einer langwierigen Nervenentzündung, dem Guillain-Barre-Syndrom (GBS), ins Krankenhaus gebracht. Die Erholungsphase dauerte mehrere Monate. Im Dezember 2017 nahm Papst Franziskus, nur einen Monat nach dem 75. Geburtstag, Vingt-Trois' altersbedingtes Rücktrittsgesuch an und ernannte Michel Aupetit, zuvor Bischof von Nanterre, zu seinem Nachfolger.

Aupetit, im Herbst 2021 über eine mediale Kampagne gestolpert, amtierte nicht lang genug für den Kardinalspurpur. Ob Nachfolger Ulrich ihn nun bald bekommt, ist ungewiss. Zwar wird von den großen Bistümern Frankreichs derzeit nur ein einziges (Marseille) von einem Kardinal (Jean-Marc Aveline, 63) geleitet. Aber: Franziskus hat da seine ganz eigenen Vorstellungen. Die Tradition von Jahrhunderten ist ihm für die Zusammensetzung seines Senats weniger wichtig als die weltkirchliche Symbolik der Randzonen: Vanuatu vor Venedig, Papua vor Paris. Vielleicht muss auch Ulrich also noch länger warten.

Das Erzbistum Paris

Das Erzbistum Paris gehört zu den renommiertesten Diözesen der katholischen Weltkirche. Sein Leiter erhält traditionell im Laufe seiner Amtszeit den Kardinalsrang. Im gesamten Mittelalter gehörte das Bistum Paris noch zur Kirchenprovinz Sens. Erst vor 400 Jahren, 1622, wurde es selbst zum Erzbistum erhoben.

Ansicht der Südseite der Kathedrale Notre-Dame de Paris - Unsere liebe Frau von Paris aus dem Jahr 2009.  / © Harald Oppitz (KNA)
Ansicht der Südseite der Kathedrale Notre-Dame de Paris - Unsere liebe Frau von Paris aus dem Jahr 2009. / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA