Ein Streifzug durch die Geschichte der Bischöfe von Paris

Von dem 92-Jährigen, den Napoleon in die Hauptstadt beförderte

Auf dem Montmartre, dem Märtyrer-Hügel, beginnt die Geschichte der Kirche von Paris. In 1.800 Jahren ist seither viel Bewegendes geschehen - und nicht immer erging es den Hauptstadtbischöfen so gut wie bei Sonnenkönigens.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Die Basilika Sacré-Cœur auf dem Montmartre in Paris / © chrisdorney (shutterstock)
Die Basilika Sacré-Cœur auf dem Montmartre in Paris / © chrisdorney ( shutterstock )

Der Erzbischof von Paris hat das wohl politischste Kirchenamt in Frankreichs Kirche. Wie politisch und - zumindest in früheren Zeiten - sogar lebensgefährlich, das mussten in knapp zwei Jahrtausenden schon mehrere Hauptstadtbischöfe bitter erfahren. Zum 400. Jahrestag der Erhebung des Bistums Paris zum Erzbistum (20. Oktober) ein kleiner Gang durch die Geschichte.

Erzbischof Laurent Ulrich und Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Erzbischof Laurent Ulrich und Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )

Schon beim ersten historisch erwähnten Hirten und Stadtpatron von Paris, dem heiligen Dionysius (frz. Saint-Denis), ging es blutig zu. Am Montmartre - dem Hügel der Märtyrer - soll er um 250 während der Christenverfolgung unter Kaiser Decius auf dem Richtplatz sein abgeschlagenes Haupt genommen, es gewaschen und damit sechs Kilometer Richtung Norden gelaufen sein.

Wunderberichte um Bischof Marcellus

In Cattuliacus, wo sich der Geköpfte schließlich niederlegte, steht heute die mittelalterliche Basilika Saint-Denis, Grablege von 32 Königinnen, 42 Königen und fast ebenso vielen Prinzessinnen und Prinzen Frankreichs. Der Chor der früheren Abteikirche gilt als erstes Beispiel der französischen Gotik.

Um den heiligen Bischof Marcellus (Saint-Marcel), gestorben um 436 - jener Zeit, in der sich das Christentum im gallo-römischen Lutetia durchsetzte und die Stadt nach ihren Ureinwohnern, dem keltischen Stamm der Parisier, den Namen "Paris" annahm - ranken sich hübsche Wunderberichte. So soll er etwa glühendes Eisen unversehrt mit der Hand abgewogen und das Wasser der Seine in Wein verwandelt haben. Seine bekannteste Wundertat war die Zähmung eines furchtbaren Drachens.

Die Basilika von Saint-Denis / © Petr Kovalenkov (shutterstock)
Die Basilika von Saint-Denis / © Petr Kovalenkov ( shutterstock )

Später Pariser Oberhirte: Jean-Baptiste de Belloy

Hardouin de Perefixe de Beaumont, Erzbischof von 1662 bis 1671 und einst Hauslehrer und Beichtvater von "Sonnenkönig" Ludwig XIV., sei hier eigentlich nur wegen seines exquisiten Namens genannt. Doch bald darauf wurde es dann endgültig politisch: Antoine-Eleonor-Leon Le Clerc de Juigne (1728-1811), Hauptstadtbischof seit 1782, musste im Oktober 1789 vor der Revolution nach Savoyen fliehen.

Einer seiner Nachfolger ist ein besonderes Kuriosum: Jean-Baptiste de Belloy, Jahrgang 1709, starb 1808 mit 98 und einem halben Jahr - im Amt. Er wurde erst mit frischen 92 zum Pariser Oberhirten ernannt. Und das kam so: Seine frühere Diözese Marseille, einer der ältesten Bischofssitze des Landes, war im Zuge der Revolution 1791 aufgehoben worden. Als Papst Pius VII. auf Verlangen Napoleons 1801 die Bischöfe des Ancien Regime um ihren förmlichen Amtsverzicht bat, gehorchte de Belloy als erster; die meisten anderen folgten.

Tod während des Juniaufstandes

Aus Dankbarkeit machte Napoleon den 92-jährigen "Bürger Debelloi" 1802 zum Erzbischof von Paris; 1803 erhielt er den Kardinalshut. Trotz seines biblischen Alters verwaltete de Belloy die Kirche von Paris mit Energie - und regierte bis zu seinem Tod. Mit 36.038 Lebenstagen war er bis vor wenigen Jahren der älteste Kardinal aller Zeiten.

Das Erzbistum Paris

Das Erzbistum Paris gehört zu den renommiertesten Diözesen der katholischen Weltkirche. Sein Leiter erhält traditionell im Laufe seiner Amtszeit den Kardinalsrang. Im gesamten Mittelalter gehörte das Bistum Paris noch zur Kirchenprovinz Sens. Erst vor 400 Jahren, 1622, wurde es selbst zum Erzbistum erhoben.

Ansicht der Südseite der Kathedrale Notre-Dame de Paris - Unsere liebe Frau von Paris aus dem Jahr 2009.  / © Harald Oppitz (KNA)
Ansicht der Südseite der Kathedrale Notre-Dame de Paris - Unsere liebe Frau von Paris aus dem Jahr 2009. / © Harald Oppitz ( KNA )

Denis Affre war das nicht beschieden. Erzbischof seit 1840 und bis dahin streng nationalkirchlich ("gallikanisch") gesinnt, wandte er sich in der Frage der Unterrichtsfreiheit gegen den König und schloss sich 1848 der Februarrevolution an. Nunmehr Anhänger der Zweiten Republik, fand er am 27. Juni, mit nur 54 Jahren, den Tod, als er im Juniaufstand die Barrikaden bestieg - um Frieden zu stiften.

Georges Darboy - Märtyrer in doppelter Hinsicht

Nur gut zwei Jahrzehnte später erneut ein getöteter Oberhirte: Am Abend des 24. Mai 1871 wurde Georges Darboy von aufständischen Kommunarden erschossen. Die Kirche stand damals in der revolutionären Auseinandersetzung um Paris im bürgerlich-konservativen Lager der Übergangsregierung und gegen die linke "Pariser Kommune".

Nach seiner Rückkehr vom Ersten Vatikanischen Konzil - wo sich der Erzbischof im Sommer 1870 klar gegen eine Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit und also gegen Pius IX. positioniert hatte - blieb Darboy im aufgewühlten Paris; sowohl während der deutschen Belagerung im Deutsch-Französischen Krieg als auch nach dem Aufstand der "Kommune" Mitte März 1871.

Im April wurde Darboy, ein Günstling von Kaiser Napoleon III., als Geisel zum Austausch gegen gefangene Kommunarden genommen. Am Ende des "blutigen Mai" schließlich, als von außen Regierungstruppen auf eine Rückeroberung der Stadt drängten, wurde er gemeinsam mit dem Leiter des Kassationsgerichtshofs und vier weiteren Geistlichen im Gefängnishof durch Erschießen hingerichtet. Auch in anderer, unblutiger Hinsicht wurde Darboy zum Märtyrer: Pius IX. weigerte sich bis zuletzt hartnäckig, dem renitenten und vom Pariser Hof geförderten Hauptstadtbischof die sonst übliche Kardinalswürde zu verleihen.

Lustiger setzte Maßstäbe

Kardinal Jean-Marie Lustiger bei einem Gottesdienst in der Kathedrale Notre-Dame in Paris 2006. / © P.Razzo (KNA)
Kardinal Jean-Marie Lustiger bei einem Gottesdienst in der Kathedrale Notre-Dame in Paris 2006. / © P.Razzo ( KNA )

Seitdem hat kein Pariser Erzbischof mehr sein Amt mit seinem Leben bezahlen müssen - jedenfalls nicht so... Gleichwohl wird viel von ihnen erwartet: Oberhirte einer sehr eigenwilligen Herde zu sein; politisch zu repräsentieren; qualitätvolle Beiträge in die gesellschaftliche Debatte einzuspeisen; Hochschulen und kirchliches Unterrichtswesen zu lenken, ebenso die Geschicke der weltberühmten Kathedrale Notre-Dame.

Der wohl prägnanteste Pariser Erzbischof des 20. Jahrhunderts, der zuvor jüdische Konvertit Jean-Marie Lustiger (1981-2005), hat in vielen dieser Kategorien Maßstäbe gesetzt. Der neue Erzbischof Laurent Ulrich, seit Mai im Amt, wird mit gemischten Gefühlen aus Lille in die Hauptstadt gereist sein. Um seinen Kopf fürchten muss er aber wohl nicht mehr.

Quelle:
KNA