Papst Franziskus greift in indischen Liturgiestreit ein

Kommt das Schisma im fernen Osten?

Gottesdienst mit dem Rücken zum Altar oder zur Gemeinde? Diese Frage droht die syro-malabarische Kirche in Indien zu zerreißen. Nach jahrelangem Streit spricht der Papst ein Machtwort. Geht es dabei wirklich nur um die Liturgie?

Autor/in:
Renardo Schlegelmilch
Symbolbild Gottesdienst in Indien / © Channi Anand (dpa)
Symbolbild Gottesdienst in Indien / © Channi Anand ( dpa )

Fragt man konservative Kreise in der Kirche, dann bergen die Reformideen des Synodalen Weges in Deutschland die reale Gefahr eines Schismas, des Bruchs mit der katholischen Weltkirche. Fragt man einige Reformer, dann droht diese Gefahr von der ausgesprochen konservativen Bischofskonferenz in den USA. Es ist aber unwahrscheinlich, dass es wirklich zum Bruch mit Rom in einem der beiden Länder kommt.

In einer anderen Teilkirche, fernab von Europa und Amerika, ist die Gefahr eines Schismas allerdings real. Das behaupten nicht nur Experten, sondern davor hat jetzt Papst Franziskus persönlich gewarnt, indem er sich in einer Videobotschaft an die Gläubigen der syro-malabarischen Kirche im Indischen Bundesstaat Kerala richtet. "Passt auf, dass der Teufel euch nicht dazu verleitet, statt einer Kirche eine Sekte zu werden", so Franziskus.

Worum geht es bei dem Streit?

Im Kern geht es um eine ganz simple Frage. Wird der Gottesdienst mit dem Rücken zur Gemeinde oder dem Rücken zum Altar gefeiert? Verschiedene Volksgruppen in Indien sind sich da nicht einig. Seit längerem schon versucht der Vatikan zu intervenieren und hat im Sommer sogar einen Gesandten nach Kerala geschickt. Der wurde allerdings alles andere als freundschaftlich empfangen. Erzbischof Cyril Vasil wurde von einigen Gläubigen sogar mit Eiern beworfen.

Kirche in Kerala, Indien / © MTD_myTravelDiaries (shutterstock)
Kirche in Kerala, Indien / © MTD_myTravelDiaries ( shutterstock )

Ende August wandte sich auch ein führender Priester aus Kerala mit einer deutlichen Beschwerde an den Vatikan. Der Gesandte verhalte sich wie ein "mittelalterlicher Inquisitor", schrieb er an Kardinalstaatssekretär Parolin. "Solange Vasil und seine Delegation in irgendeiner Form in Kerala tätig sind, wird der Ruf des Heiligen Vaters aufgrund seiner unkatholischen Art und Weise, sein Mandat auszuführen, weiterhin beschädigt werden." So zitierte das US-Magazin Crux aus dem Brief von Kuriakose Mundadan, dem Sekretär der Synode des Großerzbistum Ernakulam-Angamaly.

"Thomaschristen" haben eigene Vorstellungen

Was steckt aber hinter diesem Streit? Und warum kochen die Emotionen bei der Frage der Zelebrationsrichtung so hoch? Dafür muss man die Geschichte der indischen "Thomaschristen" kennen. Christen in Indien gibt es schon seit dem 4. Jahrhundert. Diese sogenannten "Thomaschristen" berufen sich auf den Apostel Thomas. Weil sie über Jahrhunderte vom römischen Reich wie auch den Ostkirchen getrennt waren, haben sie sich in eine vollkommen andere Richtung entwickelt, als andere christliche Gemeinschaften, dazu zählt neben dem Fokus auf die indische Kultur auch eine Zelebration in Richtung des Altars.

Diese "Thomaschristen" sind wiederum in verschiedene kleinere Konfessionen aufgesplittet, unter anderem die mit Rom unierten "syro-malabarischen" Christen, die hauptsächlich im südindischen Bundesstaat Kerala angesiedelt sind. Mit circa sieben Millionen Mitgliedern sind sie nach den griechisch-katholischen Ukrainern die zweitgrößte mit Rom unierte Kirche.

Thomaschristen in Südindien / © Harald Oppitz (KNA)
Thomaschristen in Südindien / © Harald Oppitz ( KNA )

Obwohl diese Kirche voll und ganz katholisch ist, habe sie ganz eigene Riten entwickelt, erklärt der Konfessionsexperte Martin Bräuer vom Konfessionskundlichen Institut in Bensheim: "Zum Beispiel benutzt sie die sogenannte Anaphora (Hochgebet) von Addai und Mari, die keine Rezitation der Einsetzungsworte kennt, sondern mehr narrativ das Geschehen im Abendmahlssaal umschreibt."

Die Unterschiede gehen aber auch weit darüber hinaus, erklärt der Experte im DOMRADIO.DE-Interview: "Die liturgische Hauptform, welche quasi das Äquivalent zur Messe der lateinischen Kirche darstellt, heißt 'Qurbana'. Die Gewänder sind etwas anders. Sie haben typisch indische Formen. Man findet das so nicht woanders. Das sind auch indische Stoffe, die dort verwendet werden. In der Messe werden Gewänder getragen, die dem im Westen gebräuchlichen Pluviale (Chormantel) ähnlich sind. Die halten in dieser Kleidung die Gottesdienste. Genauso die Bischöfe. Die Bischöfe haben auch eine Mitra, die der westlichen Mitra relativ ähnlich ist, allerdings nicht identisch."

In welche Richtung wird zelebriert?

Diese katholische Teilkirche streitet sich nun seit Jahrzehnten über die Zelebrationsrichtung. Mitte 2021 beschloss die Synode der Kirche die Umsetzung eines Kompromisses, wonach der Priester bis zum Hochgebet mit dem Gesicht zur Gemeinde am Altar steht, sich dann umdreht und sich erst zum Ende des Gottesdienstes wieder der Gemeinde zuwendet.

Eine Gruppe von Priestern und Laien, der auch Leitungsmitglieder des Erzbistums angehörten, lehnt den Kompromiss ab. 

Pontifikalamt in der alten Form des Römischen Ritus in Herzogenrath / © Jörg Loeffke (KNA)
Pontifikalamt in der alten Form des Römischen Ritus in Herzogenrath / © Jörg Loeffke ( KNA )

Im Hintergrund des Konfliktes stehen dabei aber nicht unbedingt Vorlieben für eine bestimmte Form der Liturgie, sondern wie so oft kulturelle Unterschiede. "Das ist der Unterschied zwischen den Traditionalisten, die sagen, wir müssen immer "versus Deum" zelebrieren und den eher offeneren, liberaleren Positionen, die sagen, wir müssen zur Gemeinde zelebrieren", sagt Bräuer.

Zudem spielen auch ethnische Gründe eine Rolle, ergänzt der Konfessionsexperte: "Die Syro-malabarische Kirche hat im Grunde zwei Gruppen mit gewissen ethnischen Identitäten. Die einen, die mehr im Süden des Bundesstaates Kerala leben, nennt man Knananiten, weil die sich auf einen judenchristlichen Kaufmann aus Kana in Galiläa zurückführen, der sich dort mit einer Gruppe von Gefolgsleuten niedergelassen hatte." 

Papst stellt Ultimatum

Im Sommer dieses Jahres hat der Vatikan ein Ultimatum aufgestellt, das ohne Konsequenz verstrichen ist. Nun stellt der Papst in seinem Video an die Gläubigen ein weiteres Ultimatum. Bis Weihnachten sollen sich die "Abtrünnigen" an die Vorgaben des Vatikans halten. "Ich habe euch schon oft dazu aufgefordert, eurer Kirche gegenüber fügsam zu sein. Wie kann es Eucharistie sein, wenn die Kommunion gestört wird, wenn das Allerheiligste Sakrament nicht respektiert wird, wenn es Streit und Schlägereien gibt?", fragte das katholische Kirchenoberhaupt.

Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Cristian Gennari/Romano Siciliani ( KNA )

Ob es nun diesmal Konsequenzen gibt, bleibt abzuwarten. Martin Bräuer hält die Gefahr einer Spaltung der "Thomaschristen" für real. "Es gab immer wieder mal Spaltungen, die allerdings nicht immer dauerhaft waren. Es gab auch bereits Spaltungen, wo man sich von Rom trennte."

Spaltungen und Neuausrichtungen der einzelnen Gemeinschaften hat es in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder mal gegeben. Ob es auch diesmal dazu kommt, wird die Zukunft zeigen.

Katholische Kirche in Indien

Unter den rund 1,38 Milliarden Indern sind die Katholiken mit etwa 18 Millionen nur eine kleine Minderheit. Im Verhältnis zu ihrem Bevölkerungsanteil von unter zwei Prozent ist ihr Einfluss im Land jedoch viel größer. Die Kirche stellt ein Fünftel der schulischen Leistungen, dazu ein Viertel aller Unterstützungsprogramme für Witwen und Waisen und knapp ein Drittel der Versorgung von Lepra- und Aidskranken. Indien ist auch das Land mit den meisten Priesterberufungen weltweit.

Christen in Indien  / © Jaipal Singh (dpa)
Christen in Indien / © Jaipal Singh ( dpa )
Quelle:
DR