Was ihre Friedfertigkeit und Geschwisterlichkeit angeht, haben sich Christinnen und Christen nicht immer mit Ruhm bekleckert. Der im Januar verstorbene Althistoriker Manfred Clauss legte vor zehn Jahren ein viel diskutiertes, in Fachkreisen nicht unumstrittenes Werk zum antiken Christentum vor.
Vor allem um zwei Thesen wurde heftig gerungen: Die Christen hätten sich in der Antike vor allem wegen ihrer hohen Gewaltbereitschaft gegen ihre heidnische Umwelt durchgesetzt. Und ihre ständigen internen Auseinandersetzungen seien zudem sehr häufig der Grund für staatliche Maßnahmen gegen die Anhänger Jesu gewesen, da sie die Gesellschaft destabilisiert hätten.
Gerade die innerchristlichen Streitigkeiten - die sich in einigen Epochen der Menschheitsgeschichte sogar zu veritablen Kriegen auswachsen konnten - haben große Zweifel an der Botschaft des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe erweckt. Dabei sollten und wollten die Jüngerinnen und Jünger Jesu diese doch durch ihr Leben bezeugen. In den Abschiedsreden des Johannesevangeliums verbindet Jesus den Glauben der Welt an seine Sendung sogar direkt mit der Einigkeit seiner Zuhörer (Joh 17, 21).
Kern unseres Glaubens betroffen
Das Gebetsanliegen des verstorbenen Papstes Franziskus für den Monat Oktober betrifft daher den Kern unseres Glaubens. Es lädt uns zu einem kritischen Blick auf unsere Geschichte und Gegenwart ein. Wo tragen wir - im Sinne der These von Manfred Clauss - heute dazu bei, dass der Friede in der Gesellschaft gestört wird? Und wo können wir stattdessen gemeinsam mit Gläubigen verschiedener religiöser Traditionen Versöhnung, Gerechtigkeit und Geschwisterlichkeit in der Welt fördern und schützen?
Dabei sind Differenzen zwischen den christlichen Konfessionen und mehr noch zwischen unterschiedlichen religiösen Traditionen unvermeidlich. Zum Glauben im christlichen Sinn und im Sinn der meisten anderen Weltreligionen gehört auch die Unterscheidung zwischen wahr und falsch. Schon Kinder fragen bei Geschichten häufig, ob sie wirklich passiert seien. Denn auch für sie macht das einen großen Unterschied aus. "Alternative Fakten" sind nun einmal falsch und können nicht guten Gewissens auf eine Ebene mit der Wahrheit gestellt werden.
Dialog ist notwendig
Gerade aus dem Streben nach Wahrheit heraus sind wir als Christinnen und Christen, als religiöse geprägte oder auch als skeptische Menschen aber auf den Dialog miteinander verwiesen. Wahrheit und Irrtum werden in der Kommunikation miteinander gesucht und - so hoffen wir - gefunden. Der Widerspruch eines Andersdenkenden ist keine Bedrohung unserer Überzeugungen, sondern eine Einladung, sie tiefer zu durchdenken, zu festigen oder vielleicht sogar in gewissen Teilen zu verändern.
Als Christinnen und Christen sind wir wie alle Gläubigen verschiedener religiöser Traditionen - und natürlich auch wie nichtreligiöse Menschen - zudem zur Integrität des eigenen Denkens und Handelns berufen. Schon die alttestamentlichen Propheten forderten vom Volk Israel, modern gesprochen, die Einheit von Lehre und Leben: "Wenn du der Unterdrückung bei dir ein Ende machst, auf keinen mit dem Finger zeigst und niemand verleumdest, dem Hungrigen dein Brot reichst und den Darbenden satt machst, dann geht im Dunkel dein Licht auf und deine Finsternis wird hell wie der Mittag" (Jes 58, 10-11).
Liebevoller Blick auf die Welt
Gemeinsam mit unseren christlichen Geschwistern und mit den Gläubigen anderer religiöser Traditionen dürfen wir also nach dem streben, was zum Frieden, zur Gerechtigkeit und zur Versöhnung in der Welt beiträgt, getragen von den religiösen Überzeugungen, die uns Kraft und Halt verleihen und uns zu einem liebevollen Blick auf die Welt einladen. Oder um es in den Worten Jesu zu sagen: "Wer einem dieser Kleinen auch nur einen Becher kalten Wassers zu trinken gibt, weil es ein Jünger ist, wahrlich, ich sage euch: Er wird nicht um seinen Lohn kommen" (Mt 10,42).