DOMRADIO.DE: Seit einiger Zeit fragen sich Beobachter: Wird Papst Leo XIV. mit anderen Augustinerbrüdern in einer WG im Apostolischen Palast leben? Als Augustiner und ehemaliger Generalprior wäre ihm das gar nicht so fremd. Wäre das etwas Besonderes? Oder gab es das schon einmal, dass Mitbrüder oder Mitschwestern mit dem Papst zusammenlebten?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte und Buchautor): Etwas Ähnliches gab es schon einmal. Das ist noch gar nicht so lange her: Im Pontifikat von Papst Pius XII. von 1939 bis 1958 lebten Ordensschwestern eng mit ihm zusammen. Schon als er noch als Nuntius Pacelli in Deutschland tätig war, wurde er in München und Berlin von Ordensschwestern betreut, vor allem von Schwester Pascalina Lehnert von den Schwestern vom Heiligen Kreuz. Als er dann nach Rom zurückging und Papst wurde, kamen diese Schwestern mit und blieben bei ihm – mit einer besonderen Eigenheit.
DOMRADIO.DE: Das heißt?
Nersinger: Als das Konklave anstand, durfte er, damals war er Kardinalstaatssekretär gewesen und Kardinalkämmerer der Kirche, in seiner Wohnung bleiben und mit ihm blieben auch die Ordensschwestern in der Wohnung. Das dürfte das erste Mal gewesen sein, dass Frauen in diesem strengen Bereich des Konklaves anwesend waren. Das zeigt, wie besonders diese Gemeinschaft war. Vor allem Oberin Pascalina hatte in diesem päpstliche Haushalt gewirkt; regiert, könnte man fast sagen. Sie bestimmte den päpstlichen Rhythmus.
DOMRADIO.DE: Gibt es konkrete Beispiele für ihren Einfluss?
Nersinger: Sie achtete sehr auf die Gesundheit des Papstes und die Länge von Audienzen. Sie unterbrach manchmal selbst hochrangige Audienzen. Bei einem Diplomaten tauchte sie auf einmal im Audienzsaal auf, stellte sich ostentativ an die Tür und beobachtete den Papst und seinen Gast. Das machte sie regelmäßig. Wenn das nicht half, wies sie notfalls auch auf die Uhr hin. Das war nicht immer beliebt, auch beim Papst selbst nicht, zeigt aber, wie mächtig Mitglieder einer Hausgemeinschaft werden können.
DOMRADIO.DE: Wäre der Apostolische Palast überhaupt für eine WG geeignet?
Nersinger: Da muss man natürlich differenzieren. Eine Ordensgemeinschaft, der der Papst selbst nicht angehört und die aus Frauen besteht, wird natürlich räumlich getrennt vom Papst wohnen. Mit Augustinermönchen würde er vermutlich enger zusammenleben. Aber wahrscheinlich würde man auch da gewisse bauliche Maßnahmen unternehmen müssen. Es kommt auch ein bisschen darauf an, wie sich eine potentielle päpstliche WG definieren würde.
DOMRADIO.DE: Der Vatikan gilt als herausforderndes Pflaster. Könnte eine WG den Papst resilienter machen, angesichts der verschiedenen politischen Strömungen im Vatikan?
Nersinger: Ja, natürlich. In vergangenen Pontifikaten haben wir gesehen, dass die sogenannten "Hausgenossen" Einfluss nehmen können. Im Päpstlichen Jahrbuch werden sie als "Familiaren" geführt. Sie können eine große Hilfe sein und den Papst unterstützen. Aber sie können auch versuchen, sich selbst durch den Papst zu verwirklichen und ihre eigenen oder fremde Vorstellungen durchzusetzen. Meistens kann sich das also positiv auswirken, aber manchmal auch sehr negativ. Auch das haben wir in den vergangenen Pontifikaten erlebt. Aber diese Gefahr besteht immer, egal ob er jetzt im Apostolischen Palast wohnt oder in Santa Marta.
Das Interview führte Bernd Hamer.