Nelson Mandela wird 90 Jahre alt

Weiter dringend gebraucht

Nein, eine religiöse Figur ist Nelson Mandela nicht. Und doch wird er dieser Tage wieder häufig Ikone genannt, ein Heiliger. Der Widerstandskämpfer gegen die Apartheid wird heute 90 Jahre alt. Und seine Regenbogennation braucht ihn noch immer ganz dringend.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
 (DR)

Seine Verehrung hat Ausmaße angenommen, die nur wenigen der "Guten" unter den politischen Führern des 20. Jahrhunderts zuteilgeworden ist:  Mahatma Gandhi und vielleicht Martin Luther King. Ein Mandela kann Päpsten und Königen auf Augenhöhe begegnen. US-Präsidenten und abwärts bis hin zu Stars aus Sport und Pop erscheinen auf dem Erinnerungsfoto mit ihm schon als bloßes Beiwerk.

Jeder kennt die Biografie, die schon ihren festen Platz in den Geschichtsbüchern hat: Geboren am 18. Juli 1918 in einem Dorf nahe Umtata in der Transkei, der ärmsten Region Südafrikas am östlichen Kap; eine naturverbundene Kindheit als Hirtenjunge. Die methodistische Lehrerin konnte mit seinem Xhosa-Namen Rolihlahla (etwa "der Unruhestifter") nichts anfangen und nannte ihn "Nelson". Jurastudium und Weitung des politischen Horizonts als Schwarzer im Südafrika der Rassentrennung. Bürgerrechtler, Aktivist und Anführer im Afrikanischen Nationalkongress ANC und seinem bewaffneten Arm, dem "Speer der Nation"; abgeurteilt wegen Terrorismus und Verrats und 1964 für lebenslänglich eingesperrt.

"Berühmtester Häftling der Welt"
Als Nummer 46664 "berühmtester Häftling der Welt" auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt; insgesamt 27 Jahre in Haft, unbeugsam und ungebrochen. Triumphale Freilassung 1990; Protagonist eines gewaltfreien Endes der Apartheid und der Versöhnung statt der Rache; erster schwarzer Staatspräsident Südafrikas von 1994 bis 1999.

Zum Millenniumswechsel zog sich Mandela aus der aktiven Politik ins Privatleben zurück. Und blieb doch immer da: als Gewissen der Nation, als Übervater, Elder Statesman. Im vergangenen Jahr gehörte er zu den Gründern einer Gruppe von Staatsmännern und -frauen namens "TheElders". Klangvolle Namen wie Kofi Annan, Desmond Tutu oder Jimmy Carter, die sich noch nicht zum alten Eisen machen lassen wollen. Das lose Gremium, eine Art Ältestenrat, will seine Erfahrung und Unabhängigkeit einbringen, wo sie in vielen Teilen der Welt nützlich sein kann.

Allerlei im Argen
Selbst vor der Haustür, in Mandelas Südafrika, liegt allerlei im Argen: Schon der aktuelle Staatspräsident Thabo Mbeki konnte nicht mehr sein als ein Abziehbild seines charismatischen Vorgängers. Ein Technokrat im Maßanzug, dem der wirtschaftliche Anschluss Südafrikas an die Länder des Nordens nicht gelingen will, weil die Regenbogennation, das gemeinschaftliche Südafrika von Schwarz, Weiß und Coloured, in die Sackgasse geraten ist. Gewalt, Kriminalität, Korruption, Diskriminierung und Auswanderung der ehemaligen weißen Führungsschicht, dazu im Frühjahr die fremdenfeindlichen Übergriffe in vielen Großstadt-Townships des Landes: nur einige Schlaglichter auf die wachsenden Probleme einer Nation, in der viele schon ein Erfolgsmodell für ganz Afrika schlechthin sahen.

Dass es unter Mbekis designiertem Nachfolger Jacob Zuma besser werden könnte, kann niemand ernsthaft hoffen: Sein irrlichternder Politikstil, seine abenteuerliche politische Biografie und seine teils grotesken Auftritte sind eher dazu angetan, alte Vorbehalte zu bekräftigen, die das "neue Südafrika" eigentlich vergessen machen sollte. Keiner kann die Zeit zurückdrehen. Und doch braucht das Land der 1.000 Denkmäler seinen Nelson Mandela weiterhin ganz dringend: den echten - keinen überlebensgroßen auf einem Bronzesockel wie in Johannesburg und London.