Lobpreismusik gilt in vielen Kirchen als modernes und verbindendes Element. Der Freiburger Musikwissenschaftler Janik Hollaender stellt diese Sicht grundlegend infrage. In einem Beitrag auf dem theologischen Online-Portal feinschwarz.net kritisiert er Lobpreismusik als ästhetisch vereinfachend, theologisch verengend und politisch nicht unproblematisch. Hollaender ist stellvertretender Leiter des Amts für Kirchenmusik im Erzbistum Freiburg.
Lobpreismusik fördere ein Christentum, in dem Glaube vor allem erlebt, nicht reflektiert werde, so Hollaender. Dahinter stehe das Verlangen nach Verbindlichkeit, nach Eindeutigkeit und Unmittelbarkeit. In katholischen Milieus werde diese Gotteserfahrung aus ästhetischen Erlebnissen mit historischen Formen der "Gegenwartserzeugung" Gottes kombiniert, so Hollaender. "Auf der Ebene der Erzeugung von Eindeutigkeit sind diese ästhetisch doch so unterschiedlichen Frömmigkeitspraktiken offenkundig kompatibel."
Gefühl vor Reflexion
Hinzu komme eine Verschiebung vom Wahrheits- zum Authentizitätsbegriff. Nicht theologische Stimmigkeit, sondern das subjektive Gefühl werde zum Marker der Gültigkeit religiöser Aussagen. Hollaender warnt vor den Folgen dieser Entwicklung: "Der Authentizitätsbegriff tritt das normative Erbe des Wahrheitsbegriffs an." Dies begünstige die Reduktion komplexer Zusammenhänge und erhöhe die Anschlussfähigkeit an rechtspopulistische Denkweisen. "Auch dort werden komplexe Wirklichkeiten auf klare Gefühle, schlichte Gegensätze und identitäre Selbstauslegungen reduziert", schreibt Hollaender.
Nach Hollaender ist Lobpreismusik längst zu einem zentralen Identitätsmerkmal evangelikaler, charismatischer und freikirchlicher Milieus geworden. Gemeinsame musikalische Erlebnisse überdeckten dabei zunehmend theologische Unterschiede. Die Szene arbeite mit wiederkehrenden Versprechen: Lobpreis sei fortschrittlich, fördere die Ökumene, ermögliche eine "unmittelbare Gotteserfahrung" und stehe für besondere "Authentizität".
Warnung vor Vereinheitlichung
Das ökumenische Potenzial gemeinsamer Lobpreisveranstaltungen sieht Hollaender kritisch. Formate wie die Augsburger "Mehr"-Konferenz oder der "Adoratio"-Kongress in Altötting vermittelten zwar den Eindruck konfessioneller Offenheit, tatsächlich entstehe jedoch eine weitgehende stilistische und inhaltliche Vereinheitlichung. "Die Texte kreisen um wenige und sich immer wiederholende Motive", musikalisch dominierten Konformität und Wiederholung.
Hollaender plädiert für mehr Offenheit gegenüber Kunstformen, die Ambiguität zulassen und eigenständige Deutungen fördern. Kirchen müssten den Mut aufbringen, auch jenseits vereinfachender Lobpreismusik künstlerische Ausdrucksformen zu ermöglichen, die Freiheit und kritische Reflexion stärken.