DOMRADIO.DE: Wie war die Atmosphäre damals auf dem vollen Petersplatz?
Msgr. Oliver Boss (Pfarrer, Leiter des Seelsorgebereiches St. Margareta in Düsseldorf, ehem. Geheimsekretär von Kardinal Meisner): Die Atmosphäre war naturgemäß sehr gespannt. Nach dem langen Pontifikat von Papst Johannes Paul II. hatten viele auf dem Petersplatz gar keinen anderen Papst erlebt. So auch ich. Wir alle waren sehr gespannt, wer von den Kardinalen gewählt würde. Als der Name des neu gewählten Papstes Benedikt XVI. genannt wurde - Joseph Ratzinger, ging ein großer Jubel durch die Menge. Obwohl ich, ehrlich gesagt, gar nicht damit gerechnet hatte.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihnen spontan durch den Kopf gegangen, als der Name fiel?
Boss: Das war einmal die Tatsache, dass es sich um einen Deutschen handelt, ein Bayer. Kardinal Meisner, mein damaliger Chef, war sehr eng mit Kardinal Ratzinger befreundet. Das schoss mir auch durch den Kopf. Dann schoss mir durch den Kopf, dass in vier Monaten der Weltjugendtag in Köln stattfinden sollte, zu dem sich Johannes Paul II. noch angesagt hatte. Sollte ein deutscher Papst dahin kommen? Wie würde das alles werden?
DOMRADIO.DE: Sie haben Kardinal Meisner als sein Geheimsekretär nach Rom begleitet. Wie nah waren Sie an dem Konklave?
Boss: Bei dem Vorkonklave, den ganzen Besprechungen, durfte ich mit in den Vatikan. Ich war nicht bei den Besprechung selbst dabei, aber stets vor der Tür. Als das eigentliche Konklave stattfand und die Kardinäle hinter verschlossenen Türen waren, war ich natürlich außen vor und habe das Ganze auf dem Petersplatz miterlebt.
DOMRADIO.DE: Für Köln war diese Wahl insofern etwas Besonderes, weil alle wussten, dass der neue Papst zum anstehenden Weltjugendtag kommen würde. Wie groß war die Vorfreude?
Boss: Die war enorm. Kardinal Ratzinger hatte sowieso Kontakte ins Erzbistum Köln. Er war einige Jahre Professor in Bonn gewesen. Er kannte das Rheinland. Die Affinität und Freundschaft zu Kardinal Meisner war sprichwörtlich. Es war positiv, dass ein Deutscher kam, der auch der deutschen Sprache mächtig war und die Jugendlichen auf Deutsch ansprechen konnte. Als neu gewählter Papst musste er sich erst einmal in diese Rolle hineinfinden. Dafür war der Weltjugendtag sehr gut geeignet. Er hat in den vier, fünf Tagen, in denen er in Köln war, spürbar mehr und mehr in diese Papstrolle reingefunden.
DOMRADIO.DE: Was ist Ihnen aus dieser Zeit besonders in Erinnerung geblieben?
Boss: Drei Tage später - zwischen der Wahl und der Einführungsmesse - die am Sonntag auf dem Petersplatz stattfand, bekam ich plötzlich einen Anruf von Prälat Gänswein. Kardinal Meisner sei von dem neu gewählten Papst Benedikt XVI. zum Mittagessen eingeladen. Den Anruf bekam ich gegen 10 Uhr morgens. Das Problem war, dass Kardinal Meisner durch die Stadt streifte und ich keinen Kontakt zu ihm hatte, weil er sein Handy auf dem Zimmer gelassen hatte. Ich musste ihn irgendwie informieren und wusste nicht, wann er zurückkommt. Gott sei Dank, kam er noch früh genug. Prälat Gänswein sagte mir damals, dass ich auch mitkommen könne, um dem neuen Papst die Hand zu geben. Danach könne ich ja wieder gehen.
Dann sind wir - ich mit pochendem Herzen - in den Vatikan gegangen. Wir wurden in sein Vorzimmer eingelassen und dort war der neu gewählte Papst. Er hat uns begrüßt. Wir setzten uns zu viert zusammen und die beiden parlierten ein bisschen herum. Dann sagte ich, dass ich mich nun verabschieden würde, und Papst Benedikt guckte mich an und fragte, ob ich denn nicht mit zu Tisch gehen würde. Ich guckte Gänsewein an und der guckte den Papst an und sagte: "Doch, doch, Sie bleiben!" Der Papst sagte, zehn Minuten spräche er noch mit Kardinal Meisner und dann solle ich mit zum Mittagessen kommen. Das war natürlich sehr nett und etwas sehr Besonderes für mich.
DOMRADIO.DE: Wenn der Papst das sagt, macht man das natürlich auch. Wie blicken Sie heute auf das Pontifikat von Papst Benedikt?
Boss: Es ist natürlich ein besonderes Pontifikat gewesen, weil wir mit Benedikt XVI. einen solchen Theologen auf dem Stuhle Petri hatten. Er hat uns in seinen Predigten, Ansprachen, Schriften und Enzykliken theologisch viel hinterlassen. Kirchenpolitisch war es ambivalent. Es gab doch einige Geschichten, die aus der Retrospektive nicht so gut gelaufen sind. Insofern war er wohl kein guter Politiker, sondern ist der Theologe geblieben, der er immer gewesen ist.
Das Interview führte Carsten Döpp.