Missbrauchsopfer gehen an die Öffentlichkeit

Der lange Schatten

Betroffene von sexuellem Missbrauch haben auf der Tagung der evangelischen Landessynode am Samstag von ihren schmerzvollen Erlebnissen berichtet. Als Jugendliche haben sie unter sexuellen Übergriffen kirchlicher Mitarbeiter gelitten.

Autor/in:
Katharina Rögner
Solidarität mit Opfern von sexualisierter Gewalt  / © Nicolas Armer (dpa)
Solidarität mit Opfern von sexualisierter Gewalt / © Nicolas Armer ( dpa )

Erst Jahrzehnte später können sie öffentlich darüber sprechen. Sie leiden unter Depressionen, Schlafstörungen und gestörter Sexualität. Die seelischen und körperlichen Übergriffe können sie nicht mehr abschütteln.

Jetzt berichten Betroffene sexuellen Missbrauchs in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens von ihren Erlebnissen - schonungslos und öffentlich.

Fünf von ihnen, vier Männer und eine Frau, kamen auf der Tagung der evangelischen Landessynode am Samstag in Dresden zu Wort.

Kritik an schleppender Aufarbeitung

Im Mittelpunkt stand der konkrete Fall des 2013 verstorbenen Jugenddiakons Kurt Ströer, der laut den Aussagen von Betroffenen jahrzehntelang Kinder und Jugendliche missbraucht hat. Seine Opfer sprechen von spirituellen Abhängigkeiten, körperlichen Handlungen und einer "kruden Theologie".

Er habe zum Beispiel während eines seelsorgerlichen Gesprächs jungen Männern in die Hose gefasst. Bis heute hätten sie unter den Folgen des Missbrauchs zu leiden.

Der Betroffene Matthias Oberst kritisiert die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens für eine schleppende Aufarbeitung. Auch bleibe die Kirche defensiv. Sein Angebot einer offensiven Recherchearbeit, um weitere Betroffenen zu finden, sei von der Kirchenleitung abgelehnt worden, kritisierte Oberst vor dem Kirchenparlament.

Akten auf einem Tisch / © Julia Steinbrecht (KNA)
Akten auf einem Tisch / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Er habe fast sechs Jahre unter emotionalen und sexuellen Übergriffen gelitten und leide bis heute, sagte er weiter.

Bisher Schmerzensgeld für 50 Betroffene

Auch für einen weiteren Betroffenen, Matthias Uhlig, steht fest: "Die Kirche muss Verantwortung übernehmen". Für ihn ist wichtig: "Für unsere Heilung brauchen wir Menschen, die uns glauben." Betroffene wünschten sich eine gemeinsame Aufarbeitung eines schwierigen Kapitels der Landeskirche. Auch seien Entschädigungszahlungen nochmals zu prüfen.

Bisher haben knapp 50 Betroffene sexuellen Missbrauchs von der Landeskirche jeweils 10.000 Euro erhalten. Einige der Missbrauchsopfer hatten erst vor wenigen Tagen darüber hinaus Schmerzensgeld gefordert. 

Der 1921 geborene Ströer war im damaligen Kirchenbezirk Karl-Marx-Stadt tätig und galt als charismatischer Jugenddiakon. Die sexuellen Übergriffe waren erst 2021 öffentlich bekannt geworden.

Die Landeskirche hat nun einen Bericht zur "Theologischen Aufarbeitung des Handelns von Kurt Ströer" vorgelegt, der von dem Dresdner Theologieprofessor Roland Biewald auf der Synodentagung vorgestellt wurde. Missbrauchsopfer werfen dem damaligen Umfeld von Ströer vor, Hinweise zu sexuellen Übergriffen nicht weitergeleitet zu haben.

"Nehmen Sie Geld in die Hand"

Auch der im Juni vorgelegte Bericht der unabhängigen Aufarbeitungskommission im Fall der Kirchgemeinde Kühnhaide-Pobershau im Erzgebirge wurde auf der Synodentagung referiert. Betroffene hatten 2018 von Fällen sexualisierter Gewalt in den 1990-er Jahren in der Kirchengemeinde berichtet. Die Übergriffe des ehrenamtlichen Kantors gegen die Kinder und Jugendlichen sind verjährt.

Kommission in Pobershau stellt Abschlussbericht zu Missbrauch vor / © Jan Woitas (dpa)
Kommission in Pobershau stellt Abschlussbericht zu Missbrauch vor / © Jan Woitas ( dpa )

Kommissionsmitglied Gregor Mennicken appellierte an die Landeskirche: "Nehmen Sie Geld in die Hand, schaffen Sie Strukturen für Aufarbeitung, kommen Sie ins Handeln, zu einer klaren Haltung."

 Es reiche nicht, Erklärungen der Betroffenheit abzugeben, es brauche eine Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Er rief zu einer "proaktiven" Aufarbeitung auf.

Zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs hatte die sächsische Landeskirche 2020 eine Meldestelle eingerichtet. Bisher wurden laut Landeskirche 54 Betroffene sowie 25 beschuldigte Personen erfasst.

Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD)

Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) wurde 1948 in Eisenach gegründet. Ihr Ziel ist es, die Einheit der lutherischen Kirchen in Deutschland zu fördern und zu stärken. 

Als die Verfassungsgebende Generalsynode am 8. Juli 1948 die Verfassung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) verabschiedete, legte sie den Grundstein für eine nun 75-jährige Geschichte.

Das Bischofskreuz des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB) auf einer Fahne / © Peter Endig (dpa)
Das Bischofskreuz des Präsidenten des Lutherischen Weltbundes (LWB) auf einer Fahne / © Peter Endig ( dpa )
Quelle:
epd