Missbrauchsbetroffener lobt Kölner Verzicht auf Verjährung

"Ein ganz wichtiger Schritt"

Das Erzbistum Köln und Erzbischof Rainer Maria Woelki haben im Missbrauchsprozess vor dem Kölner Landgericht eine Kehrtwende vollzogen. Es soll doch keine Verjährung geltend gemacht werden. Ein Betroffener bewertet das Vorgehen.

Landgericht Köln / © Oliver Berg (dpa)
Landgericht Köln / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: Das Erzbistum Köln hätte sich auf Verjährung berufen können. Der Täter ist bereits verstorben. Die Taten liegen lange zurück, was natürlich nichts an der Schwere der Schuld ändert. Wie ordnen Sie die Entscheidung des Erzbistums ein?

Jens Windel, Gründer der Betroffeneninitiative im Bistum Hildesheim / © Moritz Frankenberg (dpa)
Jens Windel, Gründer der Betroffeneninitiative im Bistum Hildesheim / © Moritz Frankenberg ( dpa )

Jens Windel (Mitglied der Betroffeneninitiative im Bistum Hildesheim und Mitglied im Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz): Ich glaube, dass es ein ganz wichtiger Schritt war und auch symbolisch gewesen ist, dass das Erzbistum Köln sich jetzt davon nicht wegducken kann. Um glaubhaft nach außen zu wirken, war das ganz wichtig, dass man sagt, man stelle sich dem Prozess.

DOMRADIO.DE: Das Erzbistum bezieht den Verzicht auf Bewährung zunächst auf diese eine Klage und möchte auch schauen, ob das Gericht die bisher gezahlten Anerkennungsleistungen als angemessen erachtet. Normalerweise bedeutet diese Regelung maximal 50.000 Euro für die Opfer. Wie sehen Sie das Thema Anerkennungsleistung?

Verzicht auf Verjährung

Vor der Verhandlung zu einer Schmerzensgeld-Klage eines Missbrauchsopfers hat der Kölner Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki nach eigenen Angaben auf eine Verjährung der entsprechenden Taten verzichtet. Er habe entschieden, sie sogenannte Einrede der
Verjährung in dem Fall nicht zu erheben, teilte das Erzbistum am Montagabend mit. Ein staatliches Gericht solle über die Höhe der Schmerzensgeldforderung für die Taten eines Priesters befinden, der sexuellen Missbrauch begangen habe, hieß es weiter.

Landgericht und Amtsgericht Köln / © Julia Steinbrecht (KNA)
Landgericht und Amtsgericht Köln / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Windel: Ich bin da sehr anstrengend für die Bischöfe, glaube ich, weil ich es die ganze Zeit moniere. Die Leistungen sind von der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) viel zu niedrig angesetzt, womit die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) arbeiten muss.

Es spiegelt auch nicht das wider, was tatsächlich passiert ist. Das heißt, mit jedem Fall wird bagatellisiert und dem Opfer zumindest suggeriert, dass das Erlebte nicht so schlimm gewesen sein kann. So machen es zumindest die Opfer anhand der Summe fest.

Von daher ist es ganz wichtig, dass man jetzt auch noch mal eine Beweislage dafür findet, damit ein sexueller Missbrauch im klerikalen Bereich eine ganz andere Summe finden wird.

Zumindest wurde immer von der DBK gesagt, dass sie sich im oberen Rahmen der Schmerzensgeldtabellen orientieren wird. Wir haben es öfter schon durch Juristen belegt, dass das nicht so ist. Ich glaube, dass das auf jeden Fall dahin führt, dass wir die Wahrheit auch erkennen können.

DOMRADIO.DE: Der Verzicht auf die Verjährung bedeutet, dass Missbrauchsopfer klagen und erheblich höhere Summen erhalten können. Stehen Sie bei dieser Frage im Dialog mit den Bistümern und mit der Bischofskonferenz?

Windel: Wir haben versucht eine Anerkennung des Leids, so wie sie jetzt stattfindet, zu evaluieren. Wir haben versucht, dass die Summen verändert werden, weil wir festgestellt haben, dass sie überhaupt nicht nachvollziehbar, nicht gerecht erscheinen und vergleichbare Fälle auch große Differenzen aufgezeigt haben. Leider sind wir bis dato gescheitert.

DOMRADIO.DE: Denken Sie, dass bei ähnlichen Klagen alle Bistümer in Zukunft darauf verzichten werden? Oder könnte es auch passieren, dass die Bischöfe von Fall zu Fall entscheiden und so wieder eine große Unsicherheit für die Opfer bleibt?

Kläger Georg Menne steht mit einem seiner Anwälte nach der Verhandlung im Landgericht Köln  / © Thomas Banneyer (dpa)
Kläger Georg Menne steht mit einem seiner Anwälte nach der Verhandlung im Landgericht Köln / © Thomas Banneyer ( dpa )

Windel: Ich glaube, eine Sicherheit werden wir auch mit mit dem Fall Georg Menne nicht erhalten, weil jedes Bistum selber entscheiden kann, ob es sich auf die Verjährung beruft oder nicht.

Aber es wäre ein klares und deutliches Signal, jetzt endlich mal Verantwortung zu übernehmen und auch anzuerkennen, dass wir Gerechtigkeit erfahren müssen.

DOMRADIO.DE: Regelmäßig bitten die Bischöfe für die Taten und die kirchliche Vertuschung um Entschuldigung. Wäre es da nicht auch angemessen, wenn die Bischofskonferenz ein für alle Mal empfiehlt, generell auf Verjährung zu verzichten?

Windel: Ja, ich halte es von beiden Seiten für sehr wichtig. Es ist wichtig, dass man sich auf Höhe der Politik endlich dafür einsetzt, dass der sexuelle Missbrauch nicht mehr verjährt.

Ganz besonders darf sich die katholische Kirche nicht darauf berufen. Sie hat einen Auftrag, den sie für sich erfüllen möchte. Sie spricht von Gerechtigkeit, christlichem Glauben. Da gehört eine Berufung auf Verjährung nicht mit hinzu.

DOMRADIO.DE: Sehen Sie im kirchlichen Verzicht auf die Verjährung in diesem Fall einen ersten Schritt in Richtung dieses Ziels?

Windel: Wir fordern das schon lange. Bisher sind wir da nicht durchgedrungen. Ich glaube, es wird dieser eine Prozess zeigen, ob die Kirche sich daran halten möchte oder nicht. Aber ich vermute mal, dass dieser Prozess nicht ausschlaggebend ist für andere Bistümer, falls Betroffene klagen möchten.

Das Interview führte Dagmar Peters.

Quelle:
DR