Schmerzensgeld-Klage könnte deutsche Kirche viel kosten

Erzdiözese signalisiert Gesprächsbereitschaft

Missbrauchsopfer bekommen von der katholischen Kirche freiwillige Zahlungen. Viele Betroffene halten die für zu niedrig. Vor Gericht erstrittene Schmerzensgelder könnten wesentlich höher liegen, wie nun ein Prozess zeigt.

Autor/in:
Anita Hirschbeck
Landgericht und Amtsgericht Köln / © Julia Steinbrecht (KNA)
Landgericht und Amtsgericht Köln / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Die katholische Kirche in Deutschland muss sich auf weitere Schmerzensgeldklagen durch Missbrauchsbetroffene einstellen.

Anwalt mit Gesetzestexten / © r.classen (shutterstock)

Das zeichnet sich nach einem ersten Verhandlungstermin in einem Schmerzensgeld-Prozess vor dem Landgericht Köln ab. Hier verlangt ein Betroffener 725.000 Euro vom Erzbistum Köln sowie weitere 80.000 Euro für mögliche, zukünftige Schäden.

Bislang hat der Mann, der in den 1970er-Jahren mehr als 320-mal von einem Priester missbraucht worden sein soll, 25.000 Euro von der Kirche erhalten. Es handelt sich um freiwillige Zahlungen in Anerkennung des Leids. Im Prozess wirft der Kläger dem Erzbistum Köln Amtspflichtverletzung durch Unterlassen vor, weil es nicht konsequent genug auf Hinweise gegen den Geistlichen reagierte und dieser somit viele Jahre weiter als Seelsorger arbeiten konnte.

Erzbistum Köln verzichtet auf Verjährung

Landgericht Köln / © Theo Barth (KNA)
Landgericht Köln / © Theo Barth ( KNA )

Bemerkenswert ist nun zweierlei: Erstens verzichtete das Erzbistum auf Verjährung. Zweitens zieht es eine Amtshaftung gar nicht erst in Zweifel. Jetzt gehe es vor allem darum, in welcher Höhe der Fall zu entschädigen sei, machte der Vorsitzende Richter Stephan Singbartl am Dienstag deutlich. Er schlug einen Vergleich im unteren sechsstelligen Bereich vor, wobei er betonte, dass auch höhere Zahlungen möglich seien. Aber: Bei einem Vergleich gäbe es kein Urteil.

Während das Erzbistum Verhandlungsbereitschaft signalisierte, führte die Klägerseite das Argument der Abschreckung ins Feld.

Hoffen auf Präzedenzfall

Offensichtlich hofft der Betroffene auf ein Urteil in dem Rechtsstreit - somit wäre ein Präzedenzfall für weitere Missbrauchsopfer geschaffen. "Ich kämpfe sicherlich auch für viele andere Betroffene, die es dann nicht mehr so schwer haben wie ich", sagte er nach der Verhandlung.

Auch Richter Singbartl betonte in der Verhandlung, dass es einen wirklich vergleichbaren Fall bislang noch nicht gebe. Daher sei es auch so schwierig, eine angemessene Höhe für eine Zahlung festzulegen.

Das Erzbistum Köln

Ende 2021 gehörten 1.805.430 Katholiken zum Erzbistum Köln. Das sind 63.137 weniger als im Jahr davor. Der Rückgang setzt sich im Vergleich zum Corona-Jahr 2020 zusammen aus 40.772 Kirchenaustritten (2020: 17.281) sowie der Differenz zwischen den Sterbefällen (27.503) und den Taufen (10.286), die gegenüber 2020 (7.845) angestiegen sind. 

Blick auf den Kölner Dom / © Harald Oppitz (KNA)
Blick auf den Kölner Dom / © Harald Oppitz ( KNA )

Eigentlich hatte sich das Gericht auf eine Diskussion über die Verjährungsfrist eingestellt, die bis zu 30 Jahre betragen kann.

Selbst diese Höchstspanne wäre wohl immer noch zu wenig im vorliegenden Fall. Dennoch verzichtete das Erzbistum einen Tag vor der Verhandlung auf dieses Mittel. Es wolle wissen, ob das Gericht die bisher gezahlten Anerkennungsleistungen als angemessen erachtet, hieß es zur Begründung.

In der Verhandlung wurde dann offenbar, dass wohl auch andere Argumente gegen die Verjährung gesprochen hätten. Sie wäre möglicherweise "treuwidrig" gewesen, da es im vorliegenden Fall ein besonderes Vertrauensverhältnis und eine soziale Abhängigkeit gab.

Druck auf andere Bistümer

Dass sich nun - mindestens - ein niedriger sechsstelliger Betrag für den Kläger abzeichnet, dürfte weitere Missbrauchsopfer motivieren, sich ebenfalls an die Gerichte zu wenden. Zugleich dürfte es andere Bistümer unter Druck setzen, dass Deutschlands mitgliederstärkste Diözese auf die Verjährung verzichtet. Zwar betont das Erzbistum Köln, dass es sich um eine Entscheidung nur in diesem Fall handele.

Gesamtsystem steht in Frage

Dennoch stehen die freiwilligen Anerkennungsleistungen insgesamt infrage. Ihr kircheninternes System hatten die deutschen Bischöfe erst vor zwei Jahren neu geordnet. Seit Januar 2021 können Betroffene Leistungen von in der Regel maximal 50.000 Euro erhalten. Zuvor hatten sie im Schnitt 5.000 Euro bekommen, in Härtefällen auch mehr.

Über die Höhe im Einzelfall entscheidet die sogenannte Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistung (UKA). Die Mitglieder aus den Bereichen Recht, Medizin und Psychologie werden zwar von der Deutschen Bischofskonferenz ernannt, sollen aber weisungsunabhängig handeln.

Viele Betroffene kritisieren wie der Kläger im Schmerzensgeld-Prozess die Höhe der Zahlungen. Nach der Verhandlung sagte er: "In jedem Fall kann ich davon ausgehen, dass das, was ich bekommen habe, nicht reicht."

Der Betroffene hat nun bis Ende Januar Zeit für eine Stellungnahme. Wenn das Erzbistum darauf reagiert hat, entscheidet das Gericht, ob Beweise erhoben werden oder ob es eine weitere mündliche Verhandlung gibt.

 

Quelle:
KNA