Misereor Geschäftsführer Spiegel erläutert Fastenaktion 2023

Frauen besonders von Armut betroffen

Im Mittelpunkt der diesjährigen Fastenaktion des Hilfswerks Misereor stehen Geschlechtergerechtigkeit und gleiche Bildungschancen für Mädchen und Frauen in Madagaskar. An diesem Sonntag wird die Aktion in Augsburg eröffnet.

Frauen in Madagaskar bei der Ylang-Ylang Ernte  / © Pierre-Yves Babelon (shutterstock)
Frauen in Madagaskar bei der Ylang-Ylang Ernte / © Pierre-Yves Babelon ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Warum ist der afrikanische Inselstaat Madagaskar das Beispielland der Misereor-Fastenaktion 2023?

Pirmin Spiegel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Pirmin Spiegel / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Pirmin Spiegel (Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor): Wir bei Misereor haben die Praxis, dass wir jedes Jahr einen anderen Kontinent auswählen und dann mit den Partnern auf diesem Kontinent gemeinsam einen Themenschwerpunkt herausarbeiten.

Im letzten Jahr war Asien der auserwählte Kontinent und da standen Bangladesch und die Philippinen mit der Frage der Klimaanpassung und damit des Klimawandels im Zentrum.

In diesem Jahr haben wir Madagaskar auf dem afrikanischen Kontinent ausgewählt. Diese Entscheidung haben wir aufgrund der politischen und wirtschaftlichen Situation und auch der Situation der Frauen in Madagaskar getroffen.

DOMRADIO.DE: "Frauen. Macht. Veränderung." heißt das Motto. Welchen Stellenwert haben Frauen auf der Insel?

Eine Delegation des Bischöflichen Hilfswerks Misereor steht mit Dorfbewohnern und Kindern am 16. Februar 2023 vor einer neu erbauten Schule bei deren Einweihung in Ambalamanakana (Madagaskar) / © Alexander Brüggemann (KNA)
Eine Delegation des Bischöflichen Hilfswerks Misereor steht mit Dorfbewohnern und Kindern am 16. Februar 2023 vor einer neu erbauten Schule bei deren Einweihung in Ambalamanakana (Madagaskar) / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Spiegel: Seit Jahrzehnten befindet sich unser Partnerland Madagaskar in einer Abwärtsspirale: fehlende Bildungsmöglichkeiten, fehlende Gesundheitszugänge, eine schwache Infrastruktur, eine alles durchdringende Korruption, schlechte Regierungsführung.

Wenn ein solches Paket von Defiziten da ist, dann fehlt in der Regel Bildung. Wenn Bildung fehlt, hat das fatale Folgen. Sie bedeutet in den meisten Fällen ein Leben in Armut.

Frauen sind in besonderer Weise von der Armut betroffen. Sie haben weniger Zugang zu Gesundheitsmöglichkeiten, Bildungsmöglichkeiten und zu Politik.

Es gibt sehr viele Fallbeispiele, die wir im Verlauf der nächsten Tage im Kontext der Fastenaktion erzählen werden.

Wir haben das fünfte der UN-Nachhaltigkeitsziele ins Zentrum der diesjährigen Fastenaktion gestellt, dabei soll Geschlechtergleichstellung erreicht und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigt werden.

DOMRADIO.DE: Was sind das beispielsweise für Projekte zur Stärkung von Frauen, die Sie in den kommenden Tagen und Wochen vorstellen werden?

Spiegel: Wir haben zwei Projekte ins Zentrum gestellt, die jeweils von zwei Frauen geleitet werden. Das Projekt VOZAMA setzt einen Schwerpunkt auf Bildung als eine Tür aus dem Weg aus der Armut.

Das Projekt kümmert sich um Kinder und besonders Mädchen, die in den weit entlegenen Dörfern im Hochland gar keinen Zugang zu Schule und Bildungsmöglichkeiten haben.

In den Gemeinden soll eine Art Vorschule aufgebaut werden, die dann zu 80 Prozent von Frauen geleitet wird. Diese Frauen werden von den Dörfern selbst ausgewählt und von ihnen werden die Kinder vorbereitet, um in die reguläre staatliche Grundschule gehen zu können. Diese liegen meist bis zu drei Stunden weit entfernt.

Frau auf Madagaskar (shutterstock)

Um den Mädchen die Tür zur Bildung zu öffnen, setzt VOZAMA den Schwerpunkt auf Grundschulbildung. Bei dem anderen Projekt dreht sich alles um Landrechte.

Gerade im Hochland Madagaskars sind es überwiegend Frauen, die in der Landwirtschaft arbeiten. Sie haben aber oft keine Landtitel und werden von den Männern nicht gleichwertig anerkannt.

In den Punkten Anerkennung und Wertschätzung hat sich in den letzten Jahren durch die Projektarbeit sehr vieles verändert. Frauen haben es geschafft, in ihrer Leitungsfunktion Männer in diese Arbeit in der Landwirtschaft einzubinden.

Pirmin Spiegel (Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor)

"Wir müssen jetzt ernst machen und es nicht weiter vor uns herschieben."

DOMRADIO.DE: Madagaskar gehört zu den ärmsten Staaten der Erde, die viertgrößte Insel der Welt leidet außerdem unter den Folgen des Klimawandels. Wie können wir in Europa helfen?

Spiegel: Wir wissen, dass die Folgen des Klimawandels auf unserem Planeten sehr unterschiedlich verteilt sind. Die Länder, die in der Regel die am wenigsten zum Klimawandel durch CO2-Ausstoß beigetragen haben, sind die am meisten Leidtragenden.

Kinder im Süden Madagaskars, wo die schlimmste Dürre seit 40 Jahren herrscht / © Tsiory Andriantsoarana / WFP (dpa)
Kinder im Süden Madagaskars, wo die schlimmste Dürre seit 40 Jahren herrscht / © Tsiory Andriantsoarana / WFP ( dpa )

Genau dazu zählt Madagaskar. Die Regenzeiten, die in Madagaskar immer kürzer und intensiver werden, lassen Probleme entstehen, Ernährung für die Bevölkerung zu garantieren.

Madagaskar war vor sieben Jahren ein Exportland von Nahrungsmitteln, heute muss es eben diese importieren, um die Bevölkerung zu ernähren.

Wir in Deutschland und Europa gehen die Wege der UN-Klimakonferenzen und Klimaverträge. Wir müssen jetzt ernst machen und es nicht weiter vor uns herschieben.

Es gibt viele Herausforderungen, es gibt Kriege, es gibt Ungleichheit und eine Lähmung von multinationalen Organisationen. Aber Klimawandel ist eine zentrale Frage für die Zukunftsfähigkeit für das Leben der Menschen heute. 

Das Interview führte Carsten Döpp.

Bischöfliches Hilfswerk Misereor

Misereor ist das weltweit größte kirchliche Entwicklungshilfswerk. Es wurde 1958 von den katholischen Bischöfen in Deutschland auf Vorschlag des damaligen Kölner Kardinals Josef Frings als Aktion gegen Hunger und Krankheit in der Welt gegründet.

Der Name bezieht sich auf das im Markus-Evangelium überlieferte Jesuswort "Misereor super turbam" (Ich erbarme mich des Volkes). Sitz des Hilfswerks ist Aachen.

Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR