Misereor-Chef will Arme nicht gegeneinander ausspielen

"Die Armen wären erneut die Verlierer"

Der Welttag der Armen wurde 2016 von Papst Franziskus ins Leben gerufen. Sechs katholische Hilfswerke in Deutschland haben diesen Tag zum Anlass für einen gemeinsamen Appell genommen: Arme Menschen nicht gegeneinander auszuspielen.

Warme Mahlzeit bei einer Essensausgabe für bedürftige Menschen / © Oliver Berg (dpa)
Warme Mahlzeit bei einer Essensausgabe für bedürftige Menschen / © Oliver Berg ( dpa )

DOMRADIO.DE: 2022 ist ein Jahr der Krisen und da gibt es gleich mehrere Ursachen, die die Armut weltweit verschärfen. Was sind diese Armutstreiber?

Pirmin Spiegel (Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des Bischöflichen Hilfswerkes MISEREOR): Die Nachhaltigkeitsziele haben Armut und Hunger auszuradieren als die zwei größten Ziele 2015 definiert. Hunger und Kranksein sind armutsbedingt und wir sehen als Armutstreiber vor allen Dingen die Covid-Pandemie, Kriege und die Preissteigerungen, Ungleichheiten, Klima, Flucht, Migration.

Besonders sind Frauen und Kinder betroffen und alle diese Armen oder arm gemachten Menschen haben Namen und Gesichter. Es geht also ganz konkret um Menschen.

Pirmin Spiegel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Pirmin Spiegel / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Gemeinsam mit missio Aachen, missio München, dem Kindermissionswerk "Die Sternsinger" und Renovabis, sagen Sie von Misereor: Wir dürfen bloß nicht den Fehler machen, arme Menschen gegeneinander auszuspielen. Um welche Armen geht es da auf der einen und welche auf der anderen Seite?

Spiegel: In der großen Perspektive könnten wir sagen, es geht um die Armen im globalen Süden und es geht um die Armen im globalen Norden. Wir sind überzeugt, wenn wir Armut und Hunger gegeneinander ausspielen würden, dann wären die Armen erneut die Verlierer, besonders die Armen im globalen Süden.

Deswegen gehen wir von der positiven Idee aus, dass alle Menschen auf dieser Welt Würde haben, dass niemand zurückbleiben soll und dass, wie Papst Franziskus sagte, alle im gemeinsamen Haus leben. Und wer hat keinen Platz in diesem gemeinsamen Haus, um in Würde zu leben? Und da sollten wir Armut nicht gegeneinander ausspielen, unabhängig an welchen Orten Armut präsent ist.

Armut / © Kharaim Pavlo (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie sagen auch, dass die Kirche im globalen Süden ein Vorbild für unsere Kirche hier in Deutschland ist. Inwiefern?

Spiegel: Wir sehen Vorbildfunktion in der Idee des gegenseitigen Lernens. Zum Beispiel von Asien lernen wir, wie die Kirche eine Minderheitskirche ist. Mit Ausnahme von wenigen Ländern sind Christinnen und Christen in der Minderheit. Und da können wir in Deutschland und in Europa lernen, weil auch wir zu Minderheitskirchen werden.

Wie geht Dialog mit Kultur, mit Dialog mit anderen? Von Lateinamerika lernen wir die Option an der Seite der Armen. Von der Pazifikregion, die Menschen, die Hilfswerke, die da unterwegs sind, sagen, wenn die Bischöfe und die Kirche in Ozeanien sprechen, dann geht es zumeist um Ozeane und um Wasser. Und da gibt es eine große Kompetenz. Da können wir lernen, wie Menschenrecht auf Wasser geht.

In Afrika, ein weiter Kontinent, lernen wir von den Kirchen, dass Afrika kein Katastrophenkontinent ist, sondern ein Kontinent mit 54 Ländern mit enorm vielen Potenzialen. Und immer geht es in den Kontinentalkirchen des Südens darum, die Stimmen der Betroffenen zu hören. Da denken wir von den Werken, dass dies Vorbild sein könnte: zuhören und wach werden, um die Stimmen der Betroffenen zu hören.

DOMRADIO.DE: Die katholischen Hilfswerke unterstützen viele Projekte in den Ländern des Südens und sind dafür natürlich auf Spenden angewiesen. Gleichzeitig sind aber auch hier bei uns in Deutschland wieder mehr Leute hilfsbedürftig geworden und brauchen auch Spenden. Ist da nicht eine Spendenkonkurrenz vorprogrammiert?

Armut / © MR.SUWAT RITTIRON (shutterstock)

Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des Bischöflichen Hilfswerkes Misereor

"Wir sind überzeugt, dass alle die, die spenden, die teilen, die Solidarität üben, ein sehr großes Gespür haben, auf was es eigentlich ankommt."

Spiegel: Das ist eigentlich ein Grund, warum es diesen Verbund der Werke innerhalb unserer Kirche gibt. Wir als Werke sind sehr breit aufgestellt, mit unterschiedlichem Profil, mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Und dennoch kommt es vor, dass die Werke die gleichen Spender und Spenderinnen gemeinsam bewerben, um Spenden für die jeweilige Anliegen, die den Profilen entsprechen. Wir sind überzeugt, dass alle die, die spenden, die teilen, die Solidarität üben, ein sehr großes Gespür haben, auf was es eigentlich ankommt.

Wir spüren auch immer mehr bei den Werken, dass die Hilfsbedürftigkeit oftmals ähnliche Ursachen hat. Sie haben nach den Armutstreibern gefragt. Die sind in allen Kontinenten vorhanden. Wir vertrauen darauf, dass das Gespür eines und einer jeden, der teilt, der spendet, weiß, warum er jetzt in diesem Moment unterstützt.

DOMRADIO.DE: Welche praktischen Konsequenzen folgen daraus?

Pirmin Spiegel, Hauptgeschäftsführer und Vorstandsvorsitzender des Bischöflichen Hilfswerkes Misereor

"Das Ziel ist ein Leben in Würde für alle Menschen."

Spiegel: Das Ziel ist ein Leben in Würde für alle Menschen. Welttag der Armen, sagt Papst Franziskus, ist eine gesunde Provokation, provozieren zu lassen von dem Leid anderer. Da geht es zuerst darum, nicht die Ohren und nicht die Augen zu schließen. Das heißt Leiden an sich herankommen zu lassen. Und da meinen wir das Teilen, so wie es Papst Franziskus im Aufruf dieses Jahr sagt, ist wichtig, damit niemand zurückbleibt und alle am Tisch Platz haben.

In diesem Sinn steht unser Glaube, unsere Spiritualität als Grundsatz, um die Leute nicht gegeneinander auszuspielen und Solidarität lokal, national und universal zusammen zu denken.

Das Interview führte Hilde Regeniter. 

Bischöfliches Hilfswerk Misereor

Misereor ist das weltweit größte kirchliche Entwicklungshilfswerk. Es wurde 1958 von den katholischen Bischöfen in Deutschland auf Vorschlag des damaligen Kölner Kardinals Josef Frings als Aktion gegen Hunger und Krankheit in der Welt gegründet.

Der Name bezieht sich auf das im Markus-Evangelium überlieferte Jesuswort "Misereor super turbam" (Ich erbarme mich des Volkes). Sitz des Hilfswerks ist Aachen.

Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht (KNA)
Logo des Bischöflichen Hilfswerks Misereor in einem Schaufenster / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR