Opfervertreter Katsch über Rückschläge in der Aufarbeitung

"Mir macht das auch keinen Spaß"

Vor einem Jahr lagen in Fulda konkrete Empfehlungen zur Entschädigung von Missbrauchsopfern auf dem Tisch. Aber getan habe sich nichts, so deren Sprecher Matthias Katsch. An den Rückschlägen im Erzbistum Köln sei Erzbischof Heße nicht unbeteiligt.

Matthias Katsch / © Julia Steinbrecht (KNA)
Matthias Katsch / © Julia Steinbrecht ( KNA )

DOMRADIO.DE: Sie haben hier mit Ihren Mitstreitern eine ganze Reihe von weißen Ballons aufgehängt. Warum?

Matthias Katsch (Sprecher der Opferinitiative Eckiger Tisch): Diese Ballons - 50 an der Zahl - repräsentieren die 5.089 bekannten und dokumentierten Fälle sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche durch Kleriker der katholischen Kirche. Wir wollen mit dieser Aktion an diese Opfer erinnern, die heute nicht alle hier sein können. Sie werden bemerken: Dazwischen sind auch einige schwarze Ballons. Die erinnern an diejenigen von uns, die nicht mehr dabei sind, die in der Zwischenzeit schon verstorben sind, die es nicht geschafft haben. Und der Raum zwischen den Ballons symbolisiert letztlich all diejenigen Opfer, die wir bisher nicht kennen, die unbekannt geblieben sind, weil die Vertuschung funktioniert hat und ihr Fall nicht aufgedeckt worden ist.

Wir mahnen mit dieser Aktion die Bischöfe, die Opfer nicht zu vergessen und den Weg weiterzugehen, den sie im letzten Jahr eingeschlagen haben: Nämlich das Gespräch über Empfehlungen für eine angemessene Entschädigung mit den Opfern zu suchen und nicht zu versuchen, in alter böser Tradition von oben herab den Betroffenen eine Regelung überzustülpen, statt diese Empfehlungen zur Grundlage von Gesprächen zu machen.

DOMRADIO.DE: Die Bischöfe sagen, sie haben das im Blick und bemühen sich um eine Lösung. Die Sache sei kompliziert.

Katsch: Kompliziert – das lasse ich nach zehn Jahren als Ausrede nicht gelten. Die Empfehlungen sind klar und eindeutig gewesen. Im letzten Jahr haben wir sie den Bischöfen hier vorgestellt. Auf der Grundlage hätte man weiterarbeiten können. Stattdessen hat man überstürzt gesagt: Nein, wir fangen noch mal von vorne an. Und hat eigene Richtlinien versucht zu entwickeln. Das halte ich für keinen guten Stil. Wozu beauftragt man 30 Expertinnen und Experten, ausgewiesene Rechtspolitikerinnen und -politiker, Betroffenenvertreter, ein Konzept zu entwickeln und eine Regelung vorzuschlagen, wenn man dann anschließend sagt: Nein, wir fangen noch mal von vorne an?

Es ist kompliziert? Es ist nicht kompliziert. Es geht darum, dass die Kirche bereit sein muss, Verantwortung für ihr institutionelles Versagen zu übernehmen. Zwischen beiden Modellen, die vorgeschlagen worden sind - einer Abstufung oder einer Pauschalisierung - hätte man sich entscheiden und mit der Umsetzung beginnen können. Stattdessen fangen wir jetzt erst wieder an zu diskutieren, wie nun ein neues Verfahren, das die Bischöfe sich überlegt haben, in die Umsetzung gehen soll.

DOMRADIO.DE: Müssen die Bischöfe nicht selbst ein Interesse daran haben, dass das nicht auf jeder Vollversammlung wieder Thema ist?

Katsch: Ich verstehe es auch nicht. Es ist das dritte Mal, dass ich hier nach Fulda komme - nach 2018 und 2019. Mir macht das auch keinen Spaß. Es ist kein Vergnügen, hier permanent an diese Tragik zu erinnern und sich damit auseinanderzusetzen. Ich verstehe nicht, warum die Bischöfe sich nicht getraut haben, vor einem Jahr zu sagen: 'Okay, das ist es jetzt. Das versuchen wir umzusetzen'. 

Es war immer klar, dass in der Umsetzung über die Summen gesprochen werden würde, dass das eine erhebliche Belastung auch für die Kirche bedeutet, ihre Opfer in dieser Weise zu entschädigen. Aber man hat sich nicht getraut.

Vor einem Jahr hatte ich das Gefühl, dass die Bischöfe verstanden haben, dass da auch eine Chance für sie liegt - nicht, sich freizukaufen, aber einmal das Richtige zu tun in dieser Krise, die jetzt schon seit zehn Jahren andauert. Diese Chance ist leider verspielt worden. Stattdessen hat man sich von dem Aufschrei einiger Bedenkenträger irritieren lassen und hat wieder von vorne angefangen. Jetzt warten wir darauf, wie dieses Konzept genau aussehen wird.

DOMRADIO.DE: Die MHG-Studie hat ja einen Fehler im System festgestellt. Haben Sie den Eindruck, dass das System immer noch funktioniert und weiter funktionieren soll?

Katsch: Die wesentlichen Eckpfeiler dieses Systems funktionieren nach wie vor. Ob heute noch in der gleichen Weise Täter verschoben und versetzt werden, wie es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist? Ich hoffe es nicht. Aber dass das System sich schwer tut, das sieht man ja zum Beispiel an der aktuellen Berichterstattung über die kirchenrechtlichen Verfahren gegen diesen "Peter H.", wie auch immer in der Presse genannt wird. Also den Pfarrer, der in der Zeit von Kardinal Ratzinger von Essen nach München versetzt worden ist. Da ist das kirchenrechtliche Verfahren erst 2016/17 zu einem Abschluss gebracht worden. All die Schwierigkeiten, die aus dem Umgang der Kirche mit dem Thema resultieren, haben sich in diesem Verfahren gezeigt.

Ich glaube, es fehlt nach wie vor an Transparenz. Es fehlt nach wie vor an der Bereitschaft, Externe mit der Ermittlung und der Aufklärung zu beauftragen und sich dann auch ein Stück weit in deren Hand zu begeben. Natürlich, wenn ich die Tür aufmache, dann gebe ich auch Macht ab. Dann gebe ich auch Kontrolle ab. Das fällt nach wie vor schwer - abgesehen davon, dass die Hierarchie natürlich immer noch die gleiche ist, die sie vor zehn oder 15 Jahren war.

Das heißt, viele Bischöfe waren Teil des Systems, über das wir sprechen. Ich warte eigentlich seit Fulda 2018, seit der Vorstellung der MHG-Studie, auf eine Antwort von Bischöfen, die sagen: 'Ja, ich bin Teil dieses Systems gewesen. Ich habe mich da auch schuldig gemacht. Ich habe Verantwortung und ich übernehme jetzt Verantwortung für das, was da - auch durch mich - angerichtet worden ist.'

DOMRADIO.DE: In einem Interview mit dem Deutschlandfunk haben Sie dem Erzbistum Köln schwere Vorwürfe gemacht. Konkret Bischof Heße, dem jetzigen Erzbischof von Hamburg, der damals Personalverantwortlicher war. Worauf beziehen Sie sich da konkret?

Katsch: Ich bin gefragt worden, ob ich konkret Bischöfe benennen könnte, bei denen ich sehe, dass es offensichtlich eine Verantwortung für die Vergangenheit gibt. Da habe ich auf die Verantwortung des ehemaligen Personalverantwortlichen und Generalvikar im Erzbistum Köln hingewiesen.

Das Erzbistum Köln wollte im Frühjahr einen Bericht veröffentlichen, in dem offensichtlich das Handeln von Personalverantwortlichen und von Generalvikaren in der Vergangenheit kritisch beleuchtet werden sollte - wo dieses System des Missbrauchs beleuchtet und aufgedeckt werden sollte. Dieser Bericht konnte bis heute nicht veröffentlicht werden, weil das offensichtlich einer der dort Genannten verhindert hat. Das scheint der Erzbischof von Hamburg gewesen zu sein. Deswegen muss man ihn tatsächlich fragen, was er dazu sagt und wie er zu seiner Verantwortung heute steht.

Man muss auch sich klar machen: Das ist ein einer von 27. Ich glaube, so wie Kardinal Marx sich fragen lassen muss, wie er den Fall Peter H. behandelt hat, seitdem er in Verantwortung in München ist - wie sich seine Vorgänger in München und Essen fragen lassen müssen, was sie in diesem Fall getan haben - werden sehr viele Bischöfe sich fragen lassen müssen, was ihre Handlungsweise in der Vergangenheit gewesen ist. Es wäre gut, wenn sie jetzt nicht nur den Erzbischof Heße an den Pranger stellen, weil er offensichtlich in Köln suboptimal versucht hat, mit den Missbrauchsfällen umzugehen. Die Bischöfe müssen sich alle fragen: 'Was ist eigentlich meine Rolle in der Vergangenheit in diesem System gewesen?' Das höre ich bis heute nicht.

DOMRADIO.DE: Sind Sie nach wie vor im Gespräch mit den Bischöfen?

Katsch: Immer dann, wenn ich ihnen - wie hier in Fulda - auflauere und sie damit zum Gespräch nötige. Die Expertinnen und Experten, die im letzten Jahr hier versucht haben, für die Kirche einen Weg aufzuzeigen, auch unter Berücksichtigung der Interessen von Betroffenen, haben es verdient, dass wir einen offenen und transparenten Dialog mit den Bischöfen führen. Aber da sind die auch in der Pflicht, das in die Wege zu leiten. Ich bin es langsam leid, ihnen ständig hinterherzulaufen und sie zu mahnen: 'Sollen wir uns mal zusammensetzen?'

Wir brauchen ein Format und wir brauchen einen Mediator für diesen Prozess. Ich sehe eigentlich die Politik hier in der Verantwortung zu sagen: 'Es gibt jetzt zwei konkurrierende Konzepte. Es gibt Forderungen der Betroffenen, die aber auch gestützt werden von Experten. Es gibt den Vorschlag der Bischöfe. Die sind offensichtlich weit auseinander. Wir holen jetzt die Parteien an einen Tisch und sprechen über eine Entschädigungszahlung, die die Kirche in der Lage und bereit ist zu finanzieren, aber die Opfer auch als wirkliche Entschädigung empfinden und annehmen können.'

Das Interview führte Ingo Brüggenjürgen.


Ballons erinnern vor dem Fuldaer Dom an die Opfer des Missbrauchs in der katholischen Kirche / © Ingo Brüggenjürgen (DR)
Ballons erinnern vor dem Fuldaer Dom an die Opfer des Missbrauchs in der katholischen Kirche / © Ingo Brüggenjürgen ( DR )

Erzbischof Stefan Heße / © nn (DR)
Erzbischof Stefan Heße / © nn ( DR )
Quelle:
DR