Metropolit befürchtet Folgen von Krieg und Pandemie

"Eine nie da gewesene Misere"

Die orthodoxe Kirche in Deutschland spürt die Auswirkungen des Kriegs in der Ukraine stark. Ihr Bischofskonferenz-Vorsitzender, Metropolit Augoustinos, sieht im militanten Nationalismus eine Bedrohung und Katastrophe.

Autor/in:
Norbert Zonker
Der griechisch-orthodoxe Metropolit Augoustinos von Deutschland / © Cornelis Gollhardt (KNA)
Der griechisch-orthodoxe Metropolit Augoustinos von Deutschland / © Cornelis Gollhardt ( KNA )

KNA: Metropolit Augoustinos, der Krieg in der Ukraine und die Haltung des Moskauer Patriarchen dazu stellt die Orthodoxie vor eine Zerreißprobe. Welche Auswirkungen hat das auf das Zusammenleben in den Gemeinden in Deutschland?

Augoustinos Labardakis (Griechisch-orthodoxe Metropolit und Vorsitzende der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland): Es trifft zu, dass der Angriffskrieg, den Russland am 24. Februar gegen die Ukraine begonnen hat, eine nie da gewesene Misere für uns darstellt. Denn hier vor Ort, wo unsere Gemeinden immer schon multinational waren, ist das Aufkommen eines buchstäblich militanten Nationalismus eine Bedrohung und eine Katastrophe. Ich selbst habe in meiner Predigt am für uns so wichtigen "Sonntag der Orthodoxie" am 13. März - also kurz nach Kriegsausbruch - in der serbischen orthodoxen Kirche in Düsseldorf alle orthodoxen Gläubigen in Deutschland aufgerufen, für die Einheit unserer Kirchengemeinden und Diözesen in Deutschland einzustehen. Als orthodoxe Bischöfe hatten wir am Tag zuvor "die Invasion und den völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine" verurteilt und zu Frieden und Verständigung aufgerufen.

Auch wenn die drei russischen Bischöfe in Deutschland derzeit nicht an den Arbeiten der OBKD teilnehmen, deren Mitglieder sie aber nach wie vor sind, haben wir als OBKD ihren Appell zu Gebet und zu tätiger Hilfe für die Menschen in der Ukraine und für die Flüchtlinge unterstützt. Dies ist - soweit ich höre - positiv vermerkt worden. Unsere aktuell wichtigste Aufgabe ist es derzeit, neben der praktischen Hilfe für die ukrainischen Notleidenden und Flüchtlinge, die vieler Orten von unseren Kirchengemeinden geleistet wird, dafür zu sorgen, dass sie für die Zeit ihres Aufenthaltes hier auch eine kirchliche Heimat finden. Dies scheint in den Gemeinden des Moskauer Patriarchats nicht überall möglich zu sein.

KNA: Die Covid-19-Pandemie hat auch das kirchliche Leben in den orthodoxen Gemeinden stark beeinträchtigt, und es gab in der weltweiten Orthodoxie kontroverse Ansichten zum Umgang mit der Krankheit. Welche Bilanz ziehen Sie nach gut zwei Jahren?

Labardakis: Die Pandemie hat uns als Orthodoxe Kirche in Deutschland auf verschiedenen Ebenen sehr getroffen. Zum einen war es in der Tat die Art und Weise, wie über Covid-19, über Hygienemaßnahmen und Impfung sowie über Einschränkungen des gottesdienstlichen und sonstigen Lebens unserer Kirchengemeinden diskutiert wurde. Hier ging es uns nicht besser oder schlechter als den übrigen Kirchen und Religionsgemeinschaften unseres Landes. Unterschiedlich war vielleicht die Tatsache, dass durch die familiäre und soziale Bindung vieler unserer Gemeindemitglieder in die ursprünglichen Herkunftsländer ein Teil des dortigen Diskurses zu diesen Fragen auch hierzulande ankam. Ähnlich wie in "kommunizierenden Gefäßen" fanden also unter unseren Gläubigen Gespräche statt, die eigentlich in anderen gesellschaftlichen, politischen und religiösen Kontexten angesiedelt waren.

Dies ist ein Phänomen, das wir übrigens gerade auch in Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg erleben. Eine ganz einschneidende - ja man könnte sagen: lebensbedrohliche - Folge der Pandemie war darüber hinaus die massive finanzielle Schieflage, in welche die meisten unserer Kirchengemeinden geraten sind: Eine Kirche, die sich nicht durch Kirchensteueraufkommen, sondern größtenteils durch Kerzenspenden und Kollekten, also durch den Gottesdienstbesuch finanziert, verträgt nun mal keinen Lockdown bzw. Zugangsbeschränkungen zu Gottesdiensten und anderen Veranstaltungen. Aus dieser finanziellen Krise sind wir noch nicht raus. Da wird in nächster Zeit noch viel zu tun sein - ebenso wie für die Behebung der geistlichen Not, welche die Pandemie verursacht hat.

KNA: Sie sind seit 50 Jahren Bischof in Deutschland und haben Generationen von Bischöfen der anderen Kirchen kennengelernt. Wie haben sich aus Ihrer Sicht in dieser Zeit die ökumenischen Beziehungen verändert?

Labardakis: Man sagt, wir leben in einer schnelllebigen Zeit und dies kann ich nach meiner langen Amtszeit durchaus bejahen. Deutschland ist ein anderes Land als vor fünf Jahrzehnten, die Ökumene ist eine andere und - wenn Sie mir gestatten - auch die Bischöfe sind anders als früher. Ich glaube nicht, dass es um eine altersmäßig bedingte Heroisierung der Vergangenheit geht, wenn ich behaupte, dass - in allen Kirchen übrigens - der Typ des
Charismatikers und der individuellen Einzelpersönlichkeit häufig dem Akademiker oder dem Manager (oder einer Kombination von beidem) gewichen ist.

Wenn ich dies sage, nehme ich um Gottes willen keine Wertung vor, erwähne dies aber, weil ich behaupte, dass auch die ökumenischen Beziehungen sich dadurch verändert haben. Sicherlich waren im Rückblick die Wiedervereinigung und die Wende die größte Veränderung dieser 50 Jahre - nicht nur in gesellschaftlicher, sondern auch in kirchlicher Hinsicht. Dies betrifft im Übrigen auch meine eigene Kirche.

Ich bin für die zahlreichen Begegnungen und Kontakte mit den verschiedenen kirchenleitenden Personen äußerst dankbar. Ich durfte in dieser Zeit mit sechs Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz und mit elf Ratsvorsitzenden der EKD zusammenarbeiten; manche dieser Kontakte haben zu intensiven Begegnungen und wahren Freundschaften geführt. Und jedes Mal wird einem deutlich: Ökumene ist zwar ein Gottesgeschenk, bedarf aber auch einer soliden menschlichen Anstrengung.

KNA: Sie waren auf fast jedem Katholiken- und Kirchentag in den vergangenen Jahrzehnten zu Gast. Welche Erwartungen haben Sie an das bevorstehende Treffen in Stuttgart?

Labardakis: Ja, es trifft zu, dass mir die persönliche Anwesenheit auch auf diesen kirchlichen Großveranstaltungen immer sehr wichtig war, da dies für mich immer die Gelegenheit zu einer unmittelbaren Begegnung mit den Christen und Christinnen anderer Kirchen bedeutete. Das war dann eine Ökumene sozusagen jenseits der Kirchendiplomatie oder der theologischen Thesenpapiere, vielmehr - wie man im Griechischen sagt: prosopon pros prosopon - von Angesicht zu Angesicht. Es mag provozierend klingen, aber auf dieser Ebene habe ich mindestens ebenso viel über meine Mitchristen gelernt wie in der kirchenoffiziellen Ökumene.

Ich verfolge ja seit meinem ersten Tag in Deutschland aufmerksam die Entwicklungen in den Schwesterkirchen. Nicht alles ist dabei für mich direkt nachvollziehbar oder übertragbar, aber ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass wir ohne die empathische Kenntnis unserer christlichen Geschwister keine Zukunft haben und dass die Sorge um dieses Verstehen der Anderen uns aufgetragen ist. Vor einigen Jahren habe ich dies auf die seitdem gern zitierte Formel gebracht: Ökumene ist keine Häresie.

Das Interview führte Norbert Zonker.

Orthodoxe Kirche

Als orthodoxe Kirche wird die aus dem byzantinischen (Oströmischen) Reich hervorgegangene Kirchenfamilie bezeichnet. Sie besteht je nach Standpunkt aus 14 beziehungsweise 15 selbstständigen ("autokephalen") Landeskirchen. "Orthodox" ist griechisch und bedeutet "rechtgläubig". Trotz großer nationaler Unterschiede und innerer Konflikte versteht sich die Orthodoxie in Bekenntnis und Liturgie als eine einzige Kirche. Ehrenoberhaupt ist der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I. (84).

Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus (shutterstock)
Christlich-orthodoxes Holzkreuz und Kirche in der Nähe von Kharkiv in der Ukraine / © aquatarkus ( shutterstock )
Quelle:
KNA