Wie es mit guten Vorsätzen im dritten Pandemiejahr klappen kann

"Mehr wir und weniger ich"

Gute Vorsätze sind schon in normalen Zeiten nicht einfach einzuhalten. Wie kann es gelingen, trotz Pandemie positiv ins neue Jahr zu starten? Die Psychologin Petra Jagow rät, sich auf Gelerntes aus der Corona-Zeit zu besinnen.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Nach dem zweiten Corona-Weihnachten, jetzt also der zweite Corona-Jahresbeginn. Was macht das mit den Leuten, dass sich die Pandemie so hinzieht? Was beobachten Sie da?

Petra Jagow (Psychologin und Coachin): Die erste Reaktion ist, man ist mürbe, gereizt, genervt, egal. Man kann eigentlich jederzeit und überall mit jemand anderem ein Gespräch darüber anfangen, auch wenn man sich sonst nicht gut kennt. Und sich erst mal austauschen, wie blöd man das findet und dass das jetzt bald mal aufhören soll.

Aber wenn man etwas mehr in Kontakt geht und etwas länger mit Menschen spricht - ich mache das in Interviews, aber ich mache das auch mit Coaching-Klienten -, dann kommt noch eine ganz andere Seite raus. Und da zeigt sich interessanterweise: Vieles, was gute Jahresvorsätze sind, wurde während Coronazeit wirklich angegangen.

Man hatte oft mehr Zeit mit der Familie, man hat sich plötzlich mal mehr mit dem Essen beschäftigt. Ich kenne eine ganze Reihe Menschen, die haben sich mehr bewegt. Das heißt, man hat im kleinen Kreis, weil man groß nichts machen konnte, Dinge umgesetzt. Das heißt, es gibt nicht nur diese genervte Seite, es gibt auch die Seite, wo man schon was gemacht hat.

DOMRADIO.DE: Wenn wir jetzt an Reisen denken, an Kongresse, runde Geburtstage - Omikron verhindert im Moment, dass wir so etwas unvoreingenommen planen können. Wie sehr bremst das Virus uns da aus?

Jagow: Ja, natürlich bremst das. Aber das Interessante nach dem Bremsen ist, wir Deutschen sind erfindungsreich. Dann denken wir darüber nach: Muss man es wirklich ausfallen lassen? Kann man es alternativ angehen? Oder kann man es auch verschieben? Und das heißt, was wir vor allen Dingen psychologisch beobachten, Selbstverständlichkeiten werden aufgebrochen. Man denkt jetzt darüber nach. Und ich bin sicher, auch wirtschaftlich wird das schon so gesehen, es wird auch nicht jede Reise zurückkommen, denn wir haben ja auch einige Dinge gelernt.

Wir wissen jetzt, dass es wirklich Alternativen gibt. Ich kann das aus dem Berufsverband sagen, wir haben von jetzt auf gleich alles auf digital und online umgestellt. Und wir haben sehr schnell gelernt, wie eine Veranstaltung aussehen muss, damit die Leute auch Spaß daran haben und sich nicht einfach ausschalten. Und auch privat kann ich sagen: Wir planen Karneval im kleinen Kreis mit Kostüm. Also wir machen das alternativ und wir wollen das ein bisschen feiern, was uns verbindet.

DOMRADIO.DE: So oder so ähnlich denken im Moment viele: "Ich nehme mir gar nichts vor, bringt ja doch nichts", oder "am Ende kommt wieder ein Lockdown und macht alle Pläne zunichte". Ist das eine der Situation angemessene Haltung?

Jagow: Das ist sehr gut nachvollziehbar, aber da möchte ich ein bisschen wissenschaftliche Erkenntnisse einbringen. Neuestes aus der Glücksforschung sagt, dass es zwei Definitionen von Glück gibt. Die eine sagt: "Oh, alles Schöne ist da und alles Schlechte und Unangenehme ist weg. Also bin ich glücklich."

Die komplexere, etwas aufwendigere Vorstellung von Glück heißt: "Ich habe Ziele, ich verfolge etwas im Leben. Ich habe Werte und ich habe viele Bausteine, wo das zum Tragen kommt." Und wenn ich diese komplexere Glücksvorstellung verfolge, dann habe ich auch viele Möglichkeiten, das umzusetzen. Das heißt, bleibe ich an Sachen dran, geht es mir besser - trotz Corona.

DOMRADIO.DE: Sie haben uns schon einen persönlichen Plan für das neue Jahr verraten. Haben Sie darüber hinaus noch Vorsätze, die Sie teilen möchten für 2022?

Jagow: Sie hatten im Vorfeld gesagt, Sie möchten es entspannter angehen lassen. Da habe ich gedacht, witzig, wie individuell das doch ist.

Ich möchte meine Energie effizienter einsetzen. Das heißt, ich möchte mich weniger sinnlos aufregen in Endlosschleifen-Gesprächen. Ich möchte gucken, was kann ich beruflich umsetzen, privat und ehrenamtlich.

DOMRADIO.DE: Also gut strukturiert und der Situation angemessen. Wie können wir das trotz dieser doch ein bisschen widrigen Umstände gerade schaffen, gut, konstruktiv und optimistisch in dieses neue Jahr zu starten?

Jagow: Ich möchte daran erinnern, dass wir was gelernt haben in der Corona-Zeit. Wir haben gelernt, die Bewältigung geht nur gemeinsam. Wir haben bei der Flutkatastrophe gelernt - wir als Nation, das hat uns unmittelbar getroffen -, Helfen hilft. Wenn ich andere unterstütze, fühle ich mich selbst nicht mehr hilflos. Das sind wichtige Erkenntnisse, die wir vorher so nicht hatten.

Und das Dritte ist: global denken, lokal handeln. Wir können sehen, dass in Corona-Zeiten die Menschen sich eher auf ihr Viertel besinnen, vor Ort einkaufen, Händler unterstützen. Und da ist die Jugend weiter vorne als ältere Generationen und man kann sich an denen ein Beispiel nehmen. Ich sage mal so optimistisch in die Zukunft, das heißt mehr wir und weniger ich.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Quelle:
DR