Mehr Rechtssicherheit für Lebensmittelretter gefordert

Zu viel geht in die Tonne

Millionen Tonnen von Lebensmitteln landen in Deutschland jährlich im Müll. Viel zu viel, meinen Umweltverbände und fordern die Politik zum Handeln auf. Alternativen gibt es, doch müssen diese auch abgesichert sein.

Autor/in:
Johannes Senk
Aussortiertes Obst und Gemüse, das für den Verzehr nicht mehr geeignet ist, liegt in einer Biotonne. / © Harald Oppitz (KNA)
Aussortiertes Obst und Gemüse, das für den Verzehr nicht mehr geeignet ist, liegt in einer Biotonne. / © Harald Oppitz ( KNA )

Mindestens elf Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland nach Angaben des Bundesagrarministeriums jährlich weggeworfen.

Was für immense Mengen das sind, zeigt ein einfacher Vergleich: Der Kölner Dom wiegt nach offiziellen Schätzungen etwa 300.000 Tonnen – unsere Lebensmittelabfälle kommen also auf bald das 40-fache des monumentalen Steinbaus.

Fast 80 Kilo pro Kopf

Auch wenn Produktion (0,2 Millionen Tonnen), Verarbeitung (1,6 Millionen Tonnen), Handel (0,8 Millionen Tonnen) und Gastronomie (1,9Millionen Tonnen) in den Abfallmengen schon für sich sprechen, entsteht doch mit 6,5 Millionen Tonnen der überwiegende Teil von 59 Prozent der Lebensmittelverschwendung in Privathaushalten.

Jeder Verbraucher und jede Verbraucherin wirft demnach pro Kopf etwa 78 Kilogramm Lebensmittel im Jahr weg, wobei darin auch Reste wie etwa Nussschalen, Kaffeesatz oder Knochen enthalten sind.

Lebensmittelverschwendung / © Fevziie (shutterstock)

Dennoch: Es wird deutlich zu viel Nahrung verschwendet. Aufmerksamkeit dafür soll der von Aktionsverbänden ausgerufene Tag gegen Lebensmittelverschwendung erzeugen. Dieser wird seit 2016 jährlich am 2. Mai begangen. Dabei soll das gewählte Datum den Moment markieren, in dem die Menge aller seit Jahresbeginn produzierten Lebensmittel im Müll gelandet ist.

Dafür wird jedoch – anders als etwa beim wechselnden Erdüberlastungstag – keine jährliche Erhebung durchgeführt. Dafür wäre auch die Gemengelage zu ausufernd, wie der WWF als einer der Initiatoren auf Anfrage erklärt.

Menge der Abfälle halbieren

Gemeinsam mit anderen Verbänden hat der WWF nun einen neuen Aufruf an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gestartet. Bis 2030 soll demnach die Menge der in Deutschland weggeworfenen Lebensmittel halbiert werden.

Das Bündnis fordert dazu konkrete Maßnahmen wie Begrenzungen für alle Branchen von Produktion bis Handel, eine höhere Wertschätzung von Lebensmitteln durch die Umsetzung einer Ernährungsstrategie sowie eine Aufhebung der "ästhetischen Standards" bei Obst und Gemüse: So sollen auch die "zweibeinige" Möhre und die krumme Gurke noch im Supermarkt verkauft werden können.

Rechtssicherheit für Lebensmittelretter

Außerdem ruft das Bündnis dazu auf, den Bürgern mehr Möglichkeiten einzuräumen. Es brauche eine Rechtsicherheit für die Lebensmittelrettung. Das betrifft beispielsweise das sogenannte Foodsharing – also Essen teilen.

Das 2012 gegründete Internetportal foodsharing.de bringt die Lebensmittelretter untereinander sowie mit Handelspartnern zusammen. So beteiligen sich inzwischen vielerorts Supermärkte – auch Ketten – Bioläden und Bäckereien am Programm und geben nicht mehr zu verkaufende Lebensmittel kostenfrei heraus.

Weggeworfenes Gemüse / © joerngebhardt68 (shutterstock)
Weggeworfenes Gemüse / © joerngebhardt68 ( shutterstock )

Nach Angaben des Netzwerks konnten dadurch in ganz Deutschland schon 100.000 Tonnen Lebensmittel vor dem Müll gerettet und verteilt werden. Einiges wird privat genutzt oder über persönliche Netzwerke direkt weitergegeben, anderes kommt zu öffentlich verfügbaren Boxen, den "Fairteilern". Hier können sie kostenfrei abgeholt werden – gerade für Menschen mit einem geringen Einkommen eine lohnenswerte Alternative.

Ergänzung zur Tafel

Dieser soziale Faktor ist einer der ausschlaggebenden Punkte, die das Foodsharing attraktiv machen. Dabei tritt die Initiative aber ganz bewusst nicht in Konkurrenz zu den Tafeln, sondern ist vielmehr als Ergänzung zu sehen. Was "Foodsharer" noch unter die Leute bringen, könnte bei den Tafeln teilweise schon nicht mehr ausgegeben werden.

Dabei gibt es jdeoch auch rechtliche Fallstricke, die zum Problem werden können. Etwa wenn es um Haftungsfragen für die Lebensmittel geht, die in den Fairteiler-Boxen ausgelegt werden. Und auch die Betriebe können unter Umständen zur Rechenschaft gezogen werden, weswegen einige noch vor Kooperationen zurückschrecken.

Stopp für Lebensmittelverschwendung

Doch der Zeitpunkt ist günstig: Der Kampf gegen Lebensmittelverschwendung steht derzeit weit oben auf der Agenda der Bundesregierung. Das Netzwerk fordert deshalb, die im Koalitionsvertrag der Ampel festgelegten haftungsrechtlichen Erleichterungen für das Foodsharing umzusetzen. "Wer mehr gute Lebensmittel vor der Tonne bewahren will, muss auch die Steine und Hürden aus dem Weg räumen", betonte foodsharing-Vorstand Stefan Kreutzberger.

Quelle:
KNA