Debatte um Immunitätsausweis für von Corona genesene Bürger

Mehr Freiheit oder Spaltung der Gesellschaft?

Sollen Bürger, die eine Corona-Infektion überstanden haben, künftig einen Immunitätsausweis erhalten? Diesen Vorschlag hatte Bundesgesundheitsminister Spahn unterbreitet und den Ethikrat eingeschaltet, der am Donnerstag darüber beraten will.

Autor/in:
Christoph Arens
Mann mit Mund-Nase-Schutz / © Ander5 (shutterstock)

Was plant der Bundesgesundheitsminister?

Das von Spahn vorgelegte "Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung in einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" sah zunächst unter anderem die Einführung eines Immunitätsausweises für genesene Covid-19-Patienten vor. Wörtlich hieß es in dem Gesetzentwurf: "Eine Immunitätsdokumentation soll künftig analog der Impfdokumentation (auch zusammen in einem Dokument) die mögliche Grundlage dafür sein, eine entsprechende Immunität nachzuweisen." Nach Protesten hat Spahn Anfang Mai aber dieses Thema auf Eis gelegt und den Ethikrat eingeschaltet, um die ethischen Konsequenzen eines solchen Ausweises überprüfen zu lassen. Das 24-köpfige Gremium berät an diesem Donnerstag erstmals über das Thema, wie die "Neue Osnabrücker Zeitung" berichtet. Mit einer Stellungnahme für oder gegen die geplante Entscheidung am selben Tag sei indes noch nicht zu rechnen, erklärte sie.

Gibt es international ähnliche Pläne?

Länder wie Chile haben angekündigt, genesenen Patienten "Gesundheitspässe" auszustellen und sie wieder zur Arbeit zu schicken. Urlaubsländer wie Österreich haben signalisiert, bei möglichen Einreisen im Sommerurlaub Nachweise über den Corona-Infektionsstatus verlangen zu wollen.

Wie begründet Spahn sein Vorhaben?

Aus seiner Sicht würde ein solcher Pass gerade bei Beschäftigten im Gesundheitswesen und in Senioreneinrichtungen einen großen Unterschied machen. Ärzte und Pflegekräfte könnten dann ohne Ansteckungsgefahr überall eingesetzt werden. Gegenwärtig können Bürger aus den Kreisen Gütersloh und Warendorf in NRW wegen des Coronaausbruchs möglicherweise nicht in Urlaub fahren, weil die Urlaubsgebiete sie abweisen könnten. Ein Immunitätsausweis könnte Urlaubsreisen erleichtern. Spahn verweist darauf, dass ein solcher Immunitätspass nichts Neues wäre, weil auch alle Impfungen in Impfpässen eingetragen und damit Immunitäten dokumentiert werden.

Welche positiven Folgen könnte ein solcher Ausweis noch haben?

Für Bürger, die die Krankheit überstanden haben, könnten möglicherweise Kontaktverbote aufgehoben werden. Sie könnten sich frei bewegen und ohne Gefahr ältere Verwandte oder Gottesdienste besuchen, in Fußballstadien oder auf Konzerte gehen.

Ist wissenschaftlich gesichert, ob überhaupt eine Immunität besteht?

Spahn betont, dass mittlerweile sehr verlässliche Antikörpertests entwickelt wurden. Debattiert wird in der Wissenschaft und Medizin aber, ob und wie lange ein von der Krankheit genesener Patient anschließend mit hoher Wahrscheinlichkeit immun ist. Die Weltgesundheitsorganisation hatte angemahnt, dass Antikörpertests auf Zuverlässigkeit hin überprüft werden müssten. Zudem gebe es derzeit keinen Nachweis, dass Menschen, die sich von Covid-19 erholt und Antikörper haben, vor einer zweiten Infektion geschützt seien.

Spahn hat den Deutschen Ethikrat einbezogen. Warum?

Der Minister selber hat die Frage gestellt, ob man so gravierende Unterschiede zwischen den Menschen machen darf, die schon immun sind, und denen, die die Krankheit noch nicht gehabt haben. Immerhin geht es um Einschränkungen von Grundrechten. Kritiker befürchten, dass durch den Immunitätsausweis eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstehen könnte: Menschen, die von Corona genesen sind, dürften Partys feiern.

Diejenigen, die sich an alle Regeln gehalten haben und noch nicht erkrankt sind, dürften das nicht. Denkbar wäre dann, dass sich Menschen bewusst mit Corona infizieren, um danach ihre Freiheitsrechte wieder genießen zu können. Das würde nach Ansicht von Kritikern sehr schnell die Fallzahlen in die Höhe treiben.

Kritik gibt es auch von Datenschützern. Warum?

Sie befürchten, dass Arbeitgeber oder Versicherungen künftig vermehrt Immunitätsnachweise verlangen könnten. Ein Corona-Immunitätsausweis könnte ein Einstieg sein, um - etwa bei Mitarbeitern im Gesundheitswesen - weitere Befunde zu übertragbaren Krankheiten zu registrieren, etwa eine Aids-Infektion. Außerdem gibt es Befürchtungen, dass Arbeitgeber künftig vor einer Einstellung einen Immunitätsnachweis fordern könnten. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber (SPD) erklärte, es handele sich um Gesundheitsdaten, die besonders zu schützen seien und nicht zu Diskriminierung führen dürften.


Jens Spahn auf dem Katholikentag in Münster 2018 / © Rolf Vennenbernd (dpa)
Jens Spahn auf dem Katholikentag in Münster 2018 / © Rolf Vennenbernd ( dpa )
Quelle:
KNA