Ethikrat-Mitglied zur Debatte um den Immunitätsausweis

"Furchtbar zynische Anreizstruktur"

Wenn sich der neu zusammengesetzte Deutsche Ethikrat an diesem Donnerstag zu seiner konstituierenden Sitzung trifft, geht es auch um einen möglichen Immunitätsausweis. Ethikrat-Mitglied und Theologe Andreas Lob-Hüdepohl sieht viele ungeklärte Fragen.

Immunitätsausweis: Diskussion um Pro und Contra / © Cristian Gennari (KNA)
Immunitätsausweis: Diskussion um Pro und Contra / © Cristian Gennari ( KNA )

DOMRADIO.DE: Aktuell scheint die Corona-Krise die Gesellschaft zu spalten. Virologen erleben einen Shitstorm in den sozialen Netzwerken. Christian Drosten von der Charité in Berlin hat schon Morddrohungen bekommen, ebenso der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach. Wie bewerten Sie die Lage im Moment in Deutschland? 

Professor Andreas Lob-Hüdepohl (Theologe und Mitglied des Deutschen Ethikrats): Ich sehe die Gesellschaft noch nicht als gespalten an. Eine große Mehrheit steht hinter den beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung, der Landesregierungen oder auch der zuständigen Parlamente. Aber es gibt natürlich immer in einer offenen Gesellschaft eine möglicherweise sehr kleine, aber lautstarke Minderheit, die heftig polemisiert.

Dass das jetzt die Wissenschaft trifft, ist nicht ganz neu. Das haben wir in den letzten Jahren schon beim Anwachsen des rechtspopulistischen Milieus sehen können. Dass es mit Herrn Drosten ausgerechnet einen Kollegen trifft, der ausdrücklich immer darauf hinweist, dass Wissenschaft ein Erkenntnisprozess ist - also, dass wissenschaftliche Erkenntnisse gewonnen, überprüft, diskutiert, möglicherweise revidiert werden müssen und zwar im Pro und Contra der Wissenschaft - finde ich ausgesprochen bedauerlich. Ich fühle mich mit ihm vollkommen solidarisch, wenn er dennoch seine Expertise einbringt und diesem Shitstorm standhält. 

DOMRADIO.DE: Im Ethikrat geht es ja um den Immunitätsausweis. Jeder, der einmal erkrankt war und wieder gesund ist, könnte sich dann freier bewegen mit so einem solchen Ausweis? Klingt doch eigentlich ganz gut. 

Lob-Hüdepohl: Das klingt ganz gut. Aber auch der Deutsche Ethikrat beginnt überhaupt erst mit seinen Beratungen darüber. Heute konstituieren wir uns. Wenn der Rat nicht konstituiert ist, kann er ja noch nicht beraten bzw. sogar Entscheidungen treffen. Wenn wir uns dieser Frage annehmen - ich bin dafür, dass wir das tun und glaube auch, die Mehrheit des Rates ist dafür - dann wird es noch einige Wochen dauern, bis der Ethikrat dazu Stellung nimmt. Insofern kann ich dem Ethikrat nicht vorgreifen.

Ich persönlich sehe das allerdings durchaus gespalten, auch mit Blick auf die internationale Debatte. Auf der einen Seite ist das hochbestechend: Die nachgewiesene Immunität könnte von wichtigen, schwerwiegenden Grundrechtseingriffen befreien. Aber soweit ist es noch gar nicht. Denn wir verfügen noch überhaupt nicht über die erforderlichen Erkenntnisse, ob tatsächlich durch einen solchen Test Immunität valide nachgewiesen wird, für wie lange dann eine solche Immunität tatsächlich anhält und ob der Immune nicht aber dennoch ansteckungsfähig ist. Ich kann ja immun sein gegen eine Krankheit aber kann sie dennoch übertragen. Diese Fragen sind noch ungeklärt.

Es gibt tatsächlich Vorteile, etwa wenn An- und Zugehörige in Pflegeeinrichtungen gehen könnten. Und zwar Vorteile nicht zugunsten dieser Angehörgen, sondern zugunsten derer, die in Pflegeheimen momentan isoliert sind. Darum geht es ja vor allen Dingen. Es gibt bestimmte Bereiche, wo ich mir das gut vorstellen kann. Aber ich persönlich bin da noch sehr skeptisch. Alles weitere werden die Beratungen im Ethikrat zeigen. 

DOMRADIO.DE: Ein Immunitätsausweis könnte ja dann auch dazu animieren, Corona-Partys zu feiern, sich bewusst anzustecken. Zum Beispiel, wenn ein solcher Ausweis auch mehr Reisefreiheit bedeutet. Solche Sachen müssen dann ja auch abgewogen werden. 

Lob-Hüdepohl: Sie haben völlig recht. Das ist ein schwerwiegender Gegengrund, dass Leute sich bewusst anstecken. Aber es gibt ja nicht nur Corona-Partys derer, die sich vermeintlich sicher fühlen. Sondern es können vor allen Dingen Beschäftigte in prekären Lebenslagen oder in prekären Beschäftigungsverhältnissen sich genötigt fühlen, schnell zu erkranken, um immun zu werden, damit sie wieder arbeiten können. Das wäre natürlich eine furchtbar zynische Anreizstruktur, die ein solcher Immunitätsnachweis bieten würde. Unter anderem daraus nährt sich meine Skepsis gegenüber einem solchen Nachweis. 

DOMRADIO.DE: Angenommen, Sie haben nun eine Beschlussfassung im Ethikrat, die Sie dann weitergeben an den Bundesgesundheitsminister. Ist es die Entscheidung, die ihn interessiert, oder die Begründung? 

Lob-Hüdepohl: Ich denke, sowohl als auch. Aber erstens geben wir diese Empfehlung, in welche Richtung sie auch immer ausfallen mag, nicht allein an den Bundesgesundheitsminister. Der hat uns gebeten, uns Gedanken darüber zu machen. Aber wir geben unsere Empfehlungen an das Parlament. Solche Stellungnahmen werden natürlich mit vielen Pros und Kontras abgewogen. Wir wollen nicht einfach Empfehlungen geben, sondern vor allen Dingen unsere Empfehlungen begründen, und zwar so begründen, dass sie nachvollziehbar sind.

Mitunter kommt es auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das spiegelt sich dann in unterschiedlichen Stellungnahmen des Rates: Da gibt es vielleicht Mehrheitsvoten und Minderheitenvoten. Und das ist, glaube ich, für das Parlament, das sich ein Bild über die Lage verschaffen muss, das wichtigste. Also, Argumente für unterschiedliche Optionen zu bekommen, damit die Abgeordneten ihre eigene Entscheidung, die nur sie treffen können, vor den Wählerinnen und Wählern verantworten können.

Das Interview führte Tobias Fricke.


Theologe Andreas Lob-Hüdepohl / © Julia Steinbrecht (KNA)
Theologe Andreas Lob-Hüdepohl / © Julia Steinbrecht ( KNA )
Quelle:
DR