Lidl-Affäre: Wirtschaftsethiker im domradio

Menschenbild faul

Vergangene Woche die Spitzel-Vorwürfe gegen die Discounterkette Lidl, nun beschuldigt die Gewerkschaft Verdi die Drogeriemarktkette Schlecker. Auch hier sollen die Mitarbeiter heimlich von Detektiven ausspioniert worden sein. "Das ist eine Art von Personalführung, die sich seit den 70er Jahren überlebt haben sollte", kritisiert im domradio-Interview der Wirtschaftsethiker Prof. Michael Aßländer.

 (DR)

domradio: Erst Lidl vergangene Woche. Jetzt ist auch Schlecker unter Verdacht: ist das nur die Spitze des Eisberges, das heißt: gibt es einen Trend zur mehr Überwachung?

Prof. Michael Aßländer: Die Frage ist so falsch gestellt. Natürlich gehört es zu den Aufgaben eines Filialleiters oder Geschäftleiters, seine Mitarbeiter auch zu kontrollieren. Die Fragen müssen lauten: Wo zieht man die Grenze? Wie weit darf man gehen? Ab wann wird die Privatsphäre von Mitarbeitern verletzt? Und ist die Frage, ob man Derartiges an eine Detektei außer Hauses abgeben darf, ist hochgradig brisant.

domradio: Bis wohin dürfte man denn kontrollieren?

Prof. Michael Aßländer: Das ist schwer zu beantworten. Auf der einen Seite können Sie mit spezieller Software das Nutzungsverhalten von Mitarbeitern im Internet kontrollieren. Das macht bis zu einem gewissen Grad auch Sinn. Sie müssen Informationen darüber haben, wie viel Prozent der Arbeitszeit für andere Dinge verausgabt werden oder ob brisante Seiten aufgerufen werden. Wie wollen Sie hier im Einzelfall entscheiden, ab wann einzuschreiten ist? Hier eine generelle Regelung festzumachen, halte ich für problematisch. Allerdings der Fall Lidl mit seiner Detektei - das ist über das Ziel hinausgeschossen.

domradio: Was motiviert Firmen wie Lidl dazu, ihre Mitarbeiter auszuspionieren?

Prof. Michael Aßländer: Da steckt ein bestimmtes Menschenbild hinter. Hier sieht man den Mitarbeiter zunächst einmal als jemanden, der faul ist, der dazu tendiert, seine Leistung einzubehalten und der notorisch schlampig arbeitet. Die Frage ist natürlich, ob so ein Menschenbild zutrifft. Das ist eigentlich eine Art von Personalführung, die sich seit den 70er Jahren überlebt haben sollte. Hier hat Lidl ein generelles Problem bei der Mitarbeiterführung und der Frage "Wie motiviere ich Mitarbeiter". Ein derartiger "Ausrutscher" ist in der Tat nur die Spitze des Eisberges.

domradio: Lidl scheint einzusehen, übers Ziel hinausgeschossen zu haben und verweist in Zeitungsanzeigen auf Inventurverluste - durch Mitarbeiter…

Prof. Michael Aßländer: Man kennt das von anderen Einzelhandelsketten wie Wal-Mart in den USA. Schon dort war diese Argumentation brisant. Ich denke nicht, dass Mitarbeiter mit einem bestimmten Potential an krimineller Energie ausgestattet sein müssen, um sich als Kassiererinnen oder Kassierer bei Lidl zu bewerben. So Schäden von Mitarbeitern verursacht wurden - der Nachweis bleibt hier noch immer offen - dann hat das ganz andere Gründe. Dann ist das möglicherweise eine Trotzreaktion; der Wunsch, dem Unternehmen etwas heimzuzahlen - eine Reaktion darauf, dass man sich ungerecht behandelt fühlt oder eben ausgebeutet sieht.

domradio: Wie können Mitarbeiter geschützt werden?

Prof. Michael Aßländer: Man muss nicht nach neuen Regelungen rufen. Die vorhandenen reichen aus. Ich glaube, das ist gar nicht das Grundproblem. Lidl täte gut daran, diese Praktiken einzustellen  und über eine Schulung der Geschäftsführer und Filialleiter nachzudenken, um das Verhältnis zu den Mitarbeitern zu verbessern.