Lidl ließ Mitarbeiter systematisch bespitzeln - ver.di ruft zu Schadenersatzklagen auf

Big Brother in Blau-Gelb

Der Lebensmitteldiscounter Lidl steht in dem Verdacht, seine Mitarbeiter bespitzelt zu haben. Eine der größten Supermarktketten Deutschlands spionierte einem Bericht des Magazins "Sterns" zufolge seine Beschäftigten systematisch aus. Interne Berichte protokollierten demnach detailliert die Verhaltensweisen der Angestellten bei der Arbeit. Die Daten stammten aus der Überwachung mit Miniaturkameras. Offiziell sollten diese dem Schutz vor Ladendieben dienen. Lidl erklärte unterdessen, künftig keine Kameras mehr einzusetzen und keine Detektivbüros mehr mit der Überwachung von Filialen zu beauftragen.

Autor/in:
Nadine Schimroszik
 (DR)

Laut «Stern» stammen die Protokolle aus den Jahren 2006 und 2007. Sie zeigten auf, dass jeweils am Montagmorgen in Filialen Konzernmitarbeiter fünf bis zehn streichholzgroße Kameras installiert hätten. Zudem seien Monitore im Pausenraum aufgestellt worden, und ein Detektiv sei mit Diktiergerät durch den Discounter gelaufen. Er habe die Aufgabe gehabt, mehr über die Mitarbeiter, auch den Filialleiter, herauszufinden. Nach einer Woche schrieben die Überwacher dem Bericht zufolge ihre Informationen auf und leiteten diese an die Lidl-Regionalleitung weiter.

Lidl räumte gegenüber dem Magazin ein, die Detektei MiG Security, von der die meisten Protokolle stammten, von Mai bis Dezember 2007 beauftragt zu haben. «Hinweise und Beobachtungen entsprechen weder im Umgangston noch in der Diktion unserem Verständnis vom Umgang miteinander», habe Lidl das Ende der Zusammenarbeit begründet.

Eine andere Detektei ist nach Angaben von Lidl seit 1997 beauftragt. Die Arbeit von Ladendetektiven dient laut Lidl-Sprecherin Petra Trabert der Sicherung der Ware vor Diebstahl, jedoch seien «Kontrollen der vorhandenen Arbeitsabläufe und Verhaltensweisen von Mitarbeitern» unabdingbar. Der «Heilbronner Stimme» (Donnerstagausgabe) sagte Lidl-Geschäftsführer Jürgen Kisseberth, dass 2006 Detektive in etwa 150 Filialen tätig gewesen seien und im vergangenen Jahr in rund 210. Das werde jetzt nicht mehr passieren. «Wir gehen kein Risiko mehr ein», betonte Kisseberth.

Erst Ende 2004 hatte ver.di ein «Schwarzbuch Lidl» veröffentlicht und darin «arbeitnehmerfeindliche» Züge des Lidl-Systems angeprangert. Nach dem Erscheinen des Buches stand Lidl in der öffentlichen Kritik. Die Gewerkschaft kritisierte jetzt auch Lidl für die «Bespitzelungsprotokolle» und die anhaltende Bekämpfung von Betriebsratswahlen. Die Gewerkschaft betonte, dass Spionage mit Betriebsräten nicht passiert wäre, da diese «bei allen Fragen der Verhaltens- und Leistungskontrolle der Beschäftigten mitzubestimmen» hätten.

Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Peter Schaar, sagte dem Magazin, dass das Protokollieren eines Toilettenbesuchs und ähnliches einen schweren Verstoß gegen das Bundesdatenschutzgesetz darstellt. «Ich gehe davon aus, dass, wenn solche Vorgänge bekanntwerden, die zuständige Datenschutzbehörde tätig wird und Ermittlungen einleitet», erklärte er.

Eine Sprecherin des Stuttgarter Innenministeriums erklärte vor diesem Hintergrund, dass die im Ministerium angesiedelte Aufsichtsbehörde für den Datenschutz im nicht-öffentlichen Bereich ein Prüfverfahren einleite, um den Sachverhalt aufzuklären. Lidl hat seinen Hauptsitz im baden-württembergischen Neckarsulm.

ver.di ruft Lidl-Mitarbeiter zu Schadenersatzklagen auf
Die Gewerkschaft ver.di ruft mutmaßlich bespitzelte Lidl-Mitarbeiter zu Schadenersatzklagen gegen den Discounter auf. «Ich kann den betroffenen Lidl-Mitarbeitern raten, sich untereinander zu verabreden und gemeinsam zu ver.di zu kommen. Möglicherweise könnte man dann Musterklagen gegen Lidl anstrengen», sagte die stellvertretende ver.di-Bundesvorsitzende Margret Mönig-Raane dem Online-Magazin «Stern.de» am Donnerstag.