Leipziger Propst sieht Stadtsynode als Vorbild

Entgegen der kirchlichen Binnenorientierung

In Leipzig ist die erste katholische Stadtsynode in Ostdeutschland zum Abschluss gekommen. Propst Gregor Giele erklärt, warum es für alle Pfarreien ein taugliches Instrument zur Überwindung von binnenkirchlicher Fixiertheit sein kann.

Autor/in:
Karin Wollschläger
Propsteikirche Sankt Trinitatis in Leipzig / © Dominik Wolf (KNA)
Propsteikirche Sankt Trinitatis in Leipzig / © Dominik Wolf ( KNA )

Katholische Nachrichtenagentur (KNA): Propst Giele, die Stadtsynode ist mit dem Ziel angetreten, nach dem Willen Gottes für die Christen in der Stadt zu suchen. Wie macht man das?

Gregor Giele (Archivbild) / © Gregor Krumpholz (KNA)
Gregor Giele (Archivbild) / © Gregor Krumpholz ( KNA )

Gregor Giele (Propst von St. Trinitatis Leipzig): Wir haben die Synode als einen geistlichen Prozess aufgebaut. Dabei ging es erst einmal um eine Wahrnehmung von Wirklichkeiten und Lebensrealitäten, äußeren wie inneren - und wo sich darin vielleicht Gott offenbart. Orientiert haben wir uns dabei am Jesuiten Franz Meures und seinem Modell der "Drei Pole der Aufmerksamkeit". Der zweite Schritt war dann der synodale Austausch darüber. Das bedeutete auch: An die Wahrnehmung des oder der anderen erst einmal positiv heranzugehen, selbst wenn es mir nicht passt. Zugleich war für uns zentral, möglichst konkret Projekte und Umsetzungsideen zu formulieren, damit es nicht - wie leider so oft bei uns in der Kirche - nur bei einem schönen Papier am Ende bleibt.

Propst Gregor Giele

"Allerdings ist der Synodale Weg sehr auf den binnenkirchlichen Reformstau ausgerichtet, während unser Fokus war: Was ist unsere Sendung als Christen für den säkularen Raum der Stadt Leipzig, in die Gesellschaft hinein?"

KNA: Wir haben derzeit in Deutschland den katholischen Reformdialog Synodaler Weg, daneben auf katholisch-globaler Ebene die angelaufene Weltsynode. Welchem Projekt steht die Stadtsynode vom Anliegen näher?

Giele: Der Synodale Weg liegt uns näher, weil wir den natürlich sehr nah mitverfolgen. Allerdings ist der Synodale Weg sehr auf den binnenkirchlichen Reformstau ausgerichtet, während unser Fokus war: Was ist unsere Sendung als Christen für den säkularen Raum der Stadt Leipzig, in die Gesellschaft hinein?

KNA: Das Thema der Weltsynode ist ja "Synodalität" selbst. Das Anliegen ist bislang kein inhaltliches, sondern eine grundlegende Veränderung des Miteinanders. Ein Anknüpfungspunkt zur Stadtsynode?

Giele: In der Tat, dieses Einüben von Synodalität ist neben den konkreten inhaltlichen Ergebnissen der Gewinn schlechthin der Stadtsynode. Wir haben gelernt synodal miteinander umzugehen. Und wenn künftig ein großes Thema kirchlicherseits in Leipzig aufploppt, hätten wir sofort ein Format, um als Christen einen Tag hierarchiefrei darüber zu diskutieren und den Heiligen Geist zu befragen.

KNA: Dem Synodalen Weg wirft der Kirchenrechtler Norbert Lüdecke vor, er sei "betreutes Diskutieren" ohne Konsequenzen, da der Spielraum für wirkliche Mitentscheidung sehr gering sei. Wie groß war er bei der Stadtsynode? Wie lang hat das Bistum Dresden-Meißen die Leine gelassen?

Giele: Unsere Spielräume waren zugleich kleiner und größer. Kleiner, weil es eine Stadtsynode als kirchenrechtliche Größe gar nicht gibt. Niemand kann deshalb verbindlich für die Stadt Leipzig unsere Beschlüsse in Kraft setzen. Insofern ist unsere Rechtskonstruktion eine ganz schwache. Das führt aber dazu, dass die Stadtsynode über die Kraft ihrer Ergebnisse überzeugen muss. Das gelingt natürlich nur, wenn sich möglichst viele Christen an der Umsetzung der Beschlüsse beteiligen. Das war allen Delegierten von Anfang an klar.

KNA: Also, jetzt mit Volldampf raus aus der binnenkirchlichen Komfortzone, rein in die Stadtgesellschaft?

Leipziger Stadtsynode

Vor gut einem Jahr startete die Leipziger Stadtsynode als Gemeinschaftsprojekt der katholischen Pfarreien und Institutionen in Leipzig. Nach Abschluss der diversen Pfarrei-Neugründungen im Rahmen der Strukturreform des Bistums Dresden-Meißen war es Ziel, den Blick über das Binnenkirchliche hinaus zu weiten und gemeinsam zu fragen, was der Auftrag als Christen in und für die Stadt und Region Leipzig sei. Zudem sollten konkrete Umsetzungsideen entwickelt werden.

Propsteikirche Sankt Trinitatis in Leipzig / © Harald Oppitz (KNA)
Propsteikirche Sankt Trinitatis in Leipzig / © Harald Oppitz ( KNA )

Giele: Uns ist vor Augen geführt worden, dass wir vielfach noch sehr innerpfarrlich verbleiben. Dieser Schritt nach draußen fällt uns immer noch schwer. Da gibt es eine innere Scheu. Vielleicht auch aus unserer ostdeutschen Erfahrung heraus. Aber die Synode hat uns auch die Erkenntnis gebracht: Wir brauchen uns nicht zu verstecken, mit dem was wir haben und anbieten können.

KNA: Wenn man die Beschlüsse sieht, was alles jetzt auf der to-do-list steht, muss man sich fragen: Wer kann und soll das alles leisten? Woher die Engagierten dafür nehmen?

Giele: Das ist natürlich ein Prüfstein, ob nun andere gewonnen werden können, mitzumachen. Aufgabe der Delegierten ist es, Werbung für die konkreten Projekte zu machen. Ob es gelingt, das Ganze mit Leben zu füllen - müssen wir sehen. Mit einigem Abstand ist auf jeden Fall noch ein Synodentreffen geplant, um die Umsetzungsfortschritte in den Blick zu nehmen und zu reflektieren.

KNA: Ein erklärtes Ziel ist, aktiv auf Menschen in schwierigen sozialen Situationen zuzugehen, auf Einsame oder aber auf Konfessionslose und jene, die sich von der Kirche entfernt haben. Dräut da womöglich auch pastorale "Zwangsbeglückung"?

Giele: Das ist eine spannende Frage. Dennoch glaube ich, dass die Ausgangssituation eine andere ist. Viele Synodale berichteten, dass sie im beruflichen Kontext, im Bekanntenkreis oder im Vereinsleben immer wieder gefragt würden: Wo seid ihr Christen eigentlich in der Stadtgesellschaft? Warum seid ihr so stumm? Das Problem bisher ist also eher unsere Zurückhaltung. Mein Eindruck ist: Es gibt einen großen Bedarf an sozialer und menschlicher Zuwendung, und wir tun bisher zu wenig.

Propst Gregor Giele

"Aber wir haben auch gesehen, dass wir oder unsere Initiativen oft nicht voneinander wissen und wir uns deutlich besser vernetzen müssen, auch mit anderen bestehenden Angeboten und Hilfesystemen in der Stadt."

KNA: Was waren die wichtigsten Erkenntnisse im Zuge der Stadtsynode?

Giele: Neben dem rein Inhaltlichen war es etwa die Erfahrung, dass ganz viel Glaube nach außen gelebt wird, auch wenn wir Katholiken nur knapp vier Prozent der Stadtbevölkerung ausmachen. Das ist als eine große Kraftquelle zu sehen: Obwohl wir wenige sind, geschieht viel. Aber wir haben auch gesehen, dass wir oder unsere Initiativen oft nicht voneinander wissen und wir uns deutlich besser vernetzen müssen, auch mit anderen bestehenden Angeboten und Hilfesystemen in der Stadt.

Wir haben aber auch gelernt, dass "Synode" mitunter verstanden oder missverstanden wird als Möglichkeit, basisdemokratische Elemente in die katholische Kirche einzuführen. Da muss man sauber unterscheiden. Eine Synode ist basishaft, aber keine Basisdemokratie. Das unterscheiden zu lernen, war ein spannender Prozess. Aber: Jetzt können wir Synode!

KNA: Taugt das Leipziger Modell auch für andere Pfarreienverbünde in Deutschland?

Giele: Auf jeden Fall. Die Leipziger Stadtsynode kann Vorbild für Pfarreien in ganz Deutschland sein. Es ist ein gutes Instrument, um sich unseren Grundauftrag als Christen neu zu vergegenwärtigen. Wenn Umstrukturierungen und Pfarreizusammenlegungen abgeschlossen sind, ist es wichtig, dass man sich wieder darauf besinnt, dass wir als Christen zuallererst Gesandte sind und von Gott an einen Ort gestellt sind, um dort zu wirken - und zwar in die Gesellschaft hinein. Klar, so eine Synode bindet viele Kapazitäten, aber es lohnt sich. Es ist eine große Hilfestellung, unsere viel zu große kirchliche Binnenorientierung aufzubrechen.

Quelle:
KNA