Kirche sieht Gesprächskanäle auch zur neuen Koalition

Leichtes Aufatmen

Wenn manche steilen Forderungen aus den Wahlprogrammen im Koalitionsvertrag der "Ampel" aufgenommen worden wären, hätte dies eine klare Akzentverschiebung im kooperativen Miteinander von Staat und Religionsgemeinschaften bedeutet.

Autor/in:
Christoph Scholz
Kirchturm und Ampel / © Harald Oppitz (KNA)
Kirchturm und Ampel / © Harald Oppitz ( KNA )

Auch die gesellschaftspolitischen Veränderungen hören sich trotz des Paradigmenwechsels aus kirchlicher Sicht etwas moderater an. Zumindest sieht sie noch die Möglichkeiten, sich gerade bei Konfliktthemen einzubringen zu können. So hob der Leiter des Katholischen Büros in Berlin, Prälat Karl Jüsten, hervor, dass selbst bei schwierigen Fragen, die etwa das Staat-Kirche-Verhältnis betreffen, die Regierungskoalition die Kirchen einbeziehen will. "Wir hoffen, dass sie insoweit in der Legislaturperiode Wort hält", sagte Jüsten in einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Dabei kann die Kirche - zumal in den Schlüsselpositionen der Regierung - auf Verständnis hoffen. Dafür steht nicht zuletzt Olaf Scholz (SPD), der erste konfessionslose Kanzler der Bundesrepublik - wie seinerzeit der Sozialdemokrat und erste Reichskanzler der Weimarer Republik Friedrich Ebert. Zudem sind gut die Hälfte der Minister Mitglieder einer der beiden großen Kirchen - also fast spiegelbildlich zur Gesellschaft. Die für Religions- und Kirchenfragen zuständige neue Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) gehört zu den wenigen Katholiken und soll dem Vernehmen nach sehr aufgeschlossen für kirchliche Anliegen sein.

Kommission soll Abschaffung des Paragrafen 218 prüfen

Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann bekennt sich zur römisch-katholischen Kirche, und sprach wie alle anderen drei FDP-Minister die Gottesformel beim Amtseid aus. Seine Ankündigung, das Werbeverbot bei Abtreibungen aufzuheben, war zu erwarten, zumal die Streichung in der vergangenen Legislatur nur am Widerstand der Union gescheitert war. Weitergehenden Forderungen der Wahlprogramme, gleich den Paragrafen 218 Strafgesetzbuch mit zu kippen, folgt der Koalitionsvertrag aber nicht. Dies soll zunächst eine Kommission prüfen. Damit bietet sich für die Kirche zumindest die Chance, nochmals ihre Position zum Schutz des ungeborenen Lebens geltend zu machen.

Das Gremium soll zudem die Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft prüfen. Diese Forderung war wiederum Teil des Wahlprogramms der FDP. Damit wird zwar deutlich, dass die Koalition die ethisch brisanten Fragen von der sogenannten reproduktiven Selbstbestimmung her angeht, sich aber Einwänden wie der Gefahr einer wachsenden Kommerzialisierung der Fortpflanzungsmedizin nicht von vornherein verschließt. Vor allem dürfte sie kein Interesse an einer ähnlich aufreibenden Auseinandersetzung haben wie in den 1990er Jahren in der Abtreibungsdebatte.

Dritter Weg im Arbeitsrecht von Verfassung garantiert

Auf Einsicht hofft die Kirche ferner bei der Präimplantationsdiagnostik und der Auswahl von Embryonen zur künstlichen Befruchtung. Hier wird eine Einflussnahme wohl schwieriger. Das dürfte auch für die Vorhaben in der Familienpolitik gelten, etwa für die Ausweitung der bestehenden Familienformen auf Verantwortungsgemeinschaften oder die Einführung der Co-Mutterschaft, die bei lesbischen Paaren dieselbe Stellung wie die leibliche Mutterschaft einnehmen soll.

Bei manchen Vorhaben wie dem umstrittenen Transsexuellengesetz wird die Koalition auf Gesetzentwürfe der früheren Opposition zurückgreifen. Hier werden die Ministerien die Vorlagen nochmals prüfen und möglicherweise deutliche Änderungen anbringen. Besondere Sorgen bereitet der Kirche die mögliche Abschaffung des Dritten Weges, was vor allem die Gewerkschaften fordern. Doch auch hier gilt laut Koalitionsvereinbarung ein Prüfauftrag, und zwar wiederum gemeinsam mit den Kirchen. Dabei sieht sich die katholische Kirche argumentativ gut gewappnet, nicht nur weil der Dritte Weg grundsätzlich von der Verfassung garantiert wird. Sie kann darauf verweisen, dass die kirchlichen Arbeitsrechtlichen Kommissionen ein hohes Vergütungsniveau durchsetzen konnten. Zudem wird im System des Dritten Weges durchgängig eine weitestgehend arbeitgeberfinanzierte betriebliche Altersversorgung gewährt, was im nichtkirchlichen Bereich seinesgleichen sucht. "Wer zu Recht gute Löhne und eine hohe Tarifbindung anstrebt, sollte nicht das kirchliche Arbeitsrecht in Frage stellen", brachte es Jüsten auf den Punkt.

Verhandlungsspielraum bei vielen Konfliktthemen

Zu den besonders komplexen Themen gehört die Ablösung der Staatskirchenleistungen. Hier sind die Interessenlagen sowohl der Länder wie auch der Diözesen und Landeskirchen sehr unterschiedlich. Die Koalition will mit einem Grundsätzegesetz die Voraussetzungen schaffen, und zwar wiederum im Dialog mit den Ländern und den Kirchen. Hier geht es den Kirchen nicht zuletzt um die Beachtung des Äquivalenzprinzips.

Damit eröffnet sich für die Kirche bei vielen Konfliktthemen Verhandlungsspielraum, zumindest wenn man den Koalitionsvertrag und die ersten Absichtsbekundungen der Minister zugrunde legt. Die Kirche kann wiederum auf große Übereinstimmungen in der Sozial-, Asyl- und Klimapolitik mit dem Zielen der Regierung verweisen. Und bei manchen der anvisierten Maßnahmen wird die Ampelkoalition auf eine möglichst breite gesellschaftliche Unterstützung zumal auch der Kirchen angewiesen sein.


Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin / © Jannis Chavakis (KNA)
Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der deutschen Bischöfe - Katholisches Büro in Berlin / © Jannis Chavakis ( KNA )
Quelle:
KNA
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