DOMRADIO.DE: In Ostfriesland ist man ja besonders kreativ, was Osterbräuche angeht. Wir reden jetzt über das Eiertrüllen oder auch Eiertrullern. Das meint aber dasselbe, oder?
Oliver Freise (Museumsleiter Heimatmuseum Leer): Das meint dasselbe, genau. Es ist ein traditioneller Eier-Vierkampf auf dem Plytenberg. Die Hauptdisziplin, also die Eröffnungsdisziplin, ist das Eiertrüllen oder Eiertrullern. Dabei geht es darum, ein hart gekochtes Ei von einem Deich, einer Düne oder auch von einem Berg herunterrollen zu lassen – möglichst weit und möglichst unversehrt.
DOMRADIO.DE: Wo kommt der Name her? Wo kommt der Brauch her? Wissen Sie da was?
Freise: Wo er genau herkommt, konnte bisher nicht rekonstruiert werden. In der Literatur steht, dass bereits seit dem 19. Jahrhundert Leeraner Familien traditionell mit ihren Kindern zum Plytenberg gewandert sind – zu Ostern, um das Osterfest und den Frühling zu feiern. Das Ganze fand an einem geschmückten Berg mit vielen Überraschungen und Ostereierspielen für Kinder statt.
DOMRADIO.DE: So, und wir benötigen für diesen Brauch hartgekochte Eier und einen Berg. Eier in Ostfriesland, ja, aber ein Berg? Jetzt bin ich ein bisschen sprachlos auf dem Plattenland. Gibt es Erhebungen, die da ausreichen?
Freise: Ja, genau – das ist der Plytenberg. Die höchste Erhebung hier, mit sagenhaften neun Metern. Den zu erklimmen, ist schon eine kleine Herausforderung.
DOMRADIO.DE: Und was passiert dann da oben mit den Eiern?
Freise: Zuerst wird natürlich Ostern gefeiert und der Frühling begrüßt. Traditionell werden ein paar Frühlingslieder gesungen. Dann gehen die Kinder an das untere Ende des Berges ins Tal. Die Erwachsenen oder älteren Geschwister stellen sich oben auf den Berg und lassen das Ei herunterrollen. Die Kinder unten versuchen, das Ei aufzufangen. Dafür sucht man sich vorher eine geeignete Bahn – möglichst ohne Hindernisse wie langes Gras oder Gehölz. Das Ei soll gut rollen können.
DOMRADIO.DE: Und wer das Ei am weitesten rollt – spielt das eine Rolle?
Freise: Das spielt keine große Rolle. Es gibt keine Prämierung. Die Eier werden danach für die anderen Eierstationen benutzt – für Eiersmieten, Eierlopen oder auch Hicken-Bicken, das heißt auch Eierbicken.
DOMRADIO.DE: Das heißt, da kommen noch weitere Disziplinen dazu? Das klingt nach einem richtigen Vierkampf. Können Sie den nochmal erklären?
Freise: Genau, das ist ein Vierkampf. Angefangen mit dem Eiertrüllen, das hatte ich ja schon beschrieben. Danach gibt es das Eierbicken, das heißt zwei Kinder stellen sich gegenüber und nehmen ihre hart gekochten Eier und klopfen die Spitzen aneinander und wessen Ei dabei kaputt geht, hat leider verloren und muss das kaputte Ei dem Sieger oder der Siegerin übergeben.
Dann gibt es noch das Eiersmieten, da werfen die Kinder auf einer Wiese, die davor ist, die hart gekochten Eier in einem Strumpf und der Sieger ist derjenige oder diejenige, die das Ei möglichst weit fliegen und er sollte natürlich auch nach Möglichkeit unversehrt bleiben. Das ist immer gut zu beobachten, weil viele Bäume im Weg stehen, also der ein oder andere Strumpf mit dem Ei landet auch schon mal im Baum.
DOMRADIO.DE: Das klingt nach einem richtigen Familienfest am Ostermontag. Wie viele Menschen kommen da?
Freise: Das hängt vom Wetter ab. In der Regel sind es so 200 bis 250, manchmal auch bis zu 300 Leute. Es ist ein Fest für die ganze Familie. Der Eintritt ist frei, und es macht einfach vielen Spaß.
DOMRADIO.DE: Und das Wetter spielt dieses Jahr hoffentlich mit – nicht so wie letztes Jahr, da musste es kurzfristig abgesagt werden, oder?
Freise: Genau, letztes Jahr war das Wetter so regnerisch, dass der Plytenberg unter Matsch stand. Es war einfach zu gefährlich, die Leute auf den Berg zu lassen. Aber dieses Jahr sind wir vorbereitet. Sollte das Wetter wieder zu schlecht sein, wird das Ganze im Klottje-Huus des Heimatvereins Leer stattfinden – in kleinerer Ausgabe und natürlich ohne Berg.
Das Interview führte Carsten Döpp.