Liane Bednarz warnt davor, die Rolle des Abtreibungsthemas im Wahlverhalten zu unterschätzen. Im Deutschlandfunk sagte sie am Montag, dass die Frage nach Schwangerschaftsabbrüchen ungemein mobilisieren könne, weil der Schutz des werdenden Lebens einen extrem hohen Stellenwert habe.
"Das kann man nicht unterschätzen in frommen Kreisen", so die Publizistin. Wenn man dort das Gefühl habe, dass die CDU das nicht mehr ernst nehme, "dann ist die Gefahr eben sehr, sehr groß, dass sie sich hin zur AfD orientieren", sagte Bednarz.
Christlich-konservative Kreise fühlten sich angesichts starker progressiver Entwicklungen übergangen, führte Bednarz aus. Im Kern gehe es dabei um die Themen Abtreibung, Homo-Ehe und Diversität, auf die sich die Diskussion verenge. Es sei in einigen Teilen der Gesellschaft das Gefühl entstanden, "von einer progressive woken Welle überrollt zu werden" und selber "als gesellschaftlich schlecht, als irgendwie überholt und reaktionär und irgendwie rechts dazustehen". Das Thema Homosexualität sei beispielsweise auch in der CDU kein Thema mehr, das in Frage gestellt werde. So fühlten sich konservativ-christliche Kreise, die Angst hätten sich diesbezüglich gegen Gott zu versündigen, auch dort nicht verstanden.
"Marsch für das Leben" problematisch
Bednarz erklärte, der "Marsch für das Leben" sei eine problematische Veranstaltung, "weil die Organisatoren keine klare Grenze zur AfD ziehen". AfD-Mitglieder würden seit Jahren zur Teilnahme an dem Marsch aufrufen, aber die Organisatoren würden sich nicht von der Partei distanzieren. Es reiche nicht aus, dass AfD-Politiker dort nicht als Redner auftreten, weil die AfD, das Thema Abtreibung für sich instrumentalisiere und damit konservative Christen anlocke, die von der CDU enttäuscht sind.
Positiv hob Bednarz hervor, dass Bischof Georg Bätzing als Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz in seinem Grußwort an die Teilnehmer des "Marsch für das Leben" betont habe, das Anliegen des Lebensschutzes dürfe nicht für nationalistische oder gar völkische Interessen verzweckt werden. Und auch der Passauer Bischof Stefan Oster habe in sozialen Medien explizit vor der Gefahr gewarnt, im konservativen Katholizismus politisch nach rechts abzudriften.
Nächstenliebe umgedeutet
Die AfD verknüpfe das Thema Abtreibung mit völkischem Denken, was "zutiefst unchristlich" sei, so Bednarz. "Aus christlicher Sicht ist jedes werdende Leben, egal welcher Herkunft, ein Ebenbild Gottes." So sei aus christlicher Sicht jedes Leben schützenswert. In den USA werde aber durchaus die Todesstrafe propagiert und in rechten Kreisen gebe es wenig Mitleid mit auf der Flucht ertrinkenden Migranten.
Diese Paradoxie erkläre sich durch eine Umdeutung des christlichen Begriffs der Nächstenliebe: Rechte Kreise unterschieden zwischen Nächsten- und "Fernstenliebe". Während Familie, und Nation zu ersterer gehörten, seien Flüchtlinge so "fern", dass man sie nicht schützen müsse. Das führe zu einer "auffälligen Empathielosigkeit", die man auch im Lebensschutzmilieu sehe: "Das passt nicht zusammen."