In Lateinamerika liebäugeln immer mehr Präsidenten mit längeren Amtszeiten

Die autoritäre Versuchung

In Lateinamerika wollen immer mehr Staatspräsidenten länger an der Macht bleiben, als die Verfassung erlaubt. Aktuelles Beispiel ist Kolumbiens konservativer Staatschef Álvaro Uribe, der seit 2002 im Amt ist.

Autor/in:
Gerhard Dilger
 (DR)

Zwar sagte er kürzlich, es sei "unpassend, den Präsidenten an der Macht zu verewigen". Aber im Hintergrund arbeiten seine Getreuen in Parlament und Justiz mit allen Mitteln auf eine Verfassungsänderung hin, die ihm ab 2010 eine dritte Amtszeit in Folge ermöglichen soll.

Schon einmal wurde das Grundgesetz für Uribe geändert, damit er ein zweites Mal kandidieren konnte. Sein Liebäugeln mit einer noch längeren Regierungszeit setzt im Kolumbien von heute einen neuen Trend, wo personelle Wechsel an der Staatsspitze die zwingend waren.
In der Geschichte Lateinamerikas aber gab es unzählige "Caudillos" - also charismatische, mächtige Führungspersönlichkeiten, die sich an die Macht klammerten.

Den autoritäre Präsidenten folgten Militärdiktaturen
Im 20. Jahrhundert prägten autoritäre Präsidenten wie Getúlio Vargas (30er bis 50er Jahre) Brasilien oder Juan Domingo Perón Argentinien (50er und 70er Jahre), die lange regierten. Sie begründeten in ihren Ländern aber auch Ansätze eines Sozialstaates. Es folgte die Ära der Militärdiktaturen, die in den 80er Jahren endete. Nun wollten die gewählten Volksvertreter dem Autoritarismus und der Vetternwirtschaft einen Riegel vorschieben. Die neuen Verfassungen des Subkontinents erlaubten keine Wiederwahl des Präsidenten mehr, der immer auch Regierungschef ist.

Doch die guten Vorsätze hielten nicht lange. Den Reigen der Verfassungsänderungen eröffneten der argentinische Staatschef Carlos Menem 1994 und der Brasilianer Fernando Henrique Cardoso 1997. Beide privatisierten lukrative Staatsbetriebe und setzten andere neoliberale Reformen um, Cardoso war acht Jahre im Amt, Menem gar zehn.

Auch Kolumbiens Präsident Uribe darf sich Hoffnungen machen. Sein größtes politisches Kapital besteht in der "demokratischen Sicherheit" - so nennt er den harten Kurs, den er 2002 gegen die FARC-Guerilla eingeschlagen hat. Der Staatschef genießt deswegen großen Rückhalt, vor allem in der Mittel- und Oberschicht.

"Sozialismus des 21. Jahrhunderts" in Venezuela
Im Nachbarland Venezuela strebt dagegen ein Präsident anderer politischer Couleur ebenfalls nach langer Macht: Der linke Hugo Chávez regiert bereits seit zehn Jahren. Auch Chávez er sich als einzig möglichen Garanten seines Gesellschaftsprojekts, eines "Sozialismus des 21. Jahrhunderts". Das Wahlvolk hatte im Februar einer Verfassungsänderung per Referendum zugestimmt. Demnach kann sich der linke Sozialreformer fortan immer wieder im Amt bestätigen lassen - die nächste Präsidentenwahl findet 2012 statt.

Chávez freundschaftlich verbunden ist der Links-Katholik Rafael Correa aus Ecuador, der seit Anfang 2007 regiert. Auch Correa strebt eine "Neugründung" des politischen und wirtschaftlichen Systems an. Ende April wurde er gleich im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit wiedergewählt, in vier Jahren wäre eine erneute Wiederwahl möglich. Den Weg dazu ebnete das neue Grundgesetz aus dem Jahr 2008.

Derzeit sind es vor allem linke Staatschefs, die an der Regierung bleiben wollen. Auch in Lateinamerika stecken die etablierten politischen Parteien in der Krise, was die autoritäre Versuchung der Staatsmänner beflügelt. Die heftigste Kritik kommt aus den Reihen der Oberschicht, die um ihre Pfründe fürchtet, wenn linke Präsidenten zu lange an der Macht bleiben.

"Nicht mit der Demokratie spielen"
Aktivisten von Basisbewegungen sind aber ebenfalls skeptisch und mahnen, die Demokratie ernst zu nehmen. "Die Alternative zum Neoliberalismus muss von unten nach oben wachsen, sonst hat sie tönerne Füße", meint etwa der Brasilianer Francisco Whitaker, einer der Begründer des Weltsozialforums. Der Menschenrechtler warnt: "Jedes System, das von oben aufgedrückt wird, zerspringt, sobald seine Propheten verschwinden".

Auch in Brasilien wird wieder über eine dritte Amtszeit für Präsident Luiz Inácio Lula da Silva diskutiert. Seine Wunschnachfolgerin Dilma Rousseff, die Kandidatin der regierenden Arbeiterpartei, ist an Krebs erkrankt. Zwar versichert der populäre Lula immer wieder, er werde "nicht mit der Demokratie spielen", doch Hinterbänkler im Parlament sammeln weiter Unterschriften für eine Verfassungsänderung.